Wow.
Dieser "Welt"-Artikel ist nichts anderes als die vollständige Zerstörung des Christian Drosten.
Nebenbei wird hier noch mit dem linkstotalitären Begriff der "Wissenschaftsleugnung" aufgeräumt.
"Das erste Grundmotiv der Wissenschaftsleugnung heißt: "Pseudoexperte". Das sind diejenigen, die "gerne im Fernsehen präsentiert werden". Damit meint Drosten nun allerdings nicht sich selbst - er wird schließlich auch oft in den Nachrichten zitiert - oder Karl Lauterbach, der keine Talkshow auslässt. Er meint Leute, "die haben Professoren- und Doktortitel, aber in einem anderen Fach" - in einem anderen Fach als er, muss man wohl ergänzen.
Drosten nennt "hier mal ganz absichtlich" den Namen von Wolfgang Wodarg "als Paradebeispiel". Dass Wodarg eine übergroße Medienpräsenz hätte, lässt sich allerdings nicht ohne Weiteres nachvollziehen. Eine Recherche nach seinem Namen in anerkannten Medien liefert darüber hinaus ausnahmslos kritische Berichte. Auf Bild.de findet sich der Name gerade einmal viermal, zuletzt in einer Meldung, die mehr als ein Jahr alt ist.
Aber mit Belegen für seine Aussagen ist Drosten ohnehin sparsam, stattdessen reiht er in loser Folge Beispiele aneinander - die allerdings seine These, fachfremde Wissenschaftler seien besonders häufig in den Medien präsent, nicht unbedingt stützen. Auf Wodarg folgt als Beispiel die "Great Barrington Declaration", ein Aufruf von Wissenschaftlern, die den Lockdown kritisch sehen. Martin Kulldorff, Professor an der Harvard Medical School und erster Unterzeichner, sieht nicht so aus, als ob er schon im Ruhestand wäre, wie Drosten über die "Pseudoexperten" sagt. In Kulldorfs Publikationsliste tauchen auch fast nur epidemiologische Fachjournale auf. Vor allem aber lässt sich niemand in der Liste finden, den man hierzulande aus dem Fernsehen kennen würde. Die etwa drei Dutzend Unterzeichner aus Deutschland sind dem Schreiber dieser Zeilen jedenfalls unbekannt.
Unter dem Stichwort "Pseudoexperten" führt Drosten aber noch weitere Fälle auf: Er erwähnt die Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom Herbst 2020, die bekanntlich unter Beteiligung von Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie der Universität Bonn, und Jonas Schmidt-Chanasit, Leiter der Abteilung Arbovirologie am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, entstand. Weder Streeck noch Schmidt-Chanasit werden von Drosten namentlich genannt, aber es fällt nicht schwer, zu erkennen, dass Hendrik Streeck gemeint ist, wenn Drosten Beispiele von "Mehrdeutigkeit" als Zeichen für Wissenschaftsleugnung aufführt: "Ich will zwei von diesen mehrdeutigen Begriffen mal nennen. Das eine ist 'mit dem Virus leben lernen', und das andere ist der Begriff der Dauerwelle. Beide sind typische, mehrdeutige Begriffe im Sinne der Wissenschaftsleugnung."
Es ist ein ungewöhnlicher Schritt, einen Fachkollegen, der sich öffentlich für einen anderen Umgang mit dem Virus ausspricht, öffentlich als Wissenschaftsleugner zu diffamieren. Wenn bereits Mehrdeutigkeit ein Kriterium für Wissenschaftsleugnung wäre, dann würde allerdings auch der von Drosten reichlich unscharf verwendete Begriff der "Wissenschaftsleugnung" diesen Tatbestand erfüllen. Da es schwer sein dürfte, die Behauptung zu halten, dass Streeck und Schmidt-Chanasit nicht vom Fach sind, führt Christian Drosten ein anderes Kriterium ein: die "absolute Minderheitsmeinung".
Inwiefern das als Analyse zutrifft, sei dahingestellt - vor allem aber, inwiefern es als Vorwurf gerechtfertigt ist. Über wissenschaftliche Wahrheiten wird zum Glück nicht nach dem Mehrheitsprinzip entschieden. Die Wissenschaftsgeschichte ist reich an Beispielen, in denen Theorien zunächst oder auch für lange Zeit von Einzelnen oder Minderheiten vertreten wurden, die sich aber am Ende als zutreffend, erfolgreich oder nützlich herausgestellt haben. Selbst die Überzeugung, dass die Erde um die Sonne kreist, war zu den Zeiten von Galileo Galilei eine Minderheitenmeinung."
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