"Wir sollten nicht all unsere Hoffnungen in den Computer setzen" Der britische Künstler und Autor James Bridle ist mit seinem Buch "New Dark Age" zum Popstar der Digitalisierungskritik geworden. Wie stellt er sich gute Technologie vor?
Interview:
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25. September 2019, 18:08 Uhr
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Bridle trägt gern Schwarz. Die deutsche Fassung von "New Dark Age" ist bei C. H. Beck erschienen. © Mikael Lundblad
Inhalt- Seite 1 — "Wir sollten nicht all unsere Hoffnungen in den Computer setzen"
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Es gibt mittlerweile relativ viele Mahner vor der digitalen Welt, die warnende Bücher verfassen. Manche sind [Links nur für registrierte Nutzer], andere erleben als Professoren einen zweiten Frühling der Kritischen Theorie. Der Enddreißiger James Bridle hingegen ist bildender Künstler und Autor aus London. Sein im vergangenen Jahr auf Englisch erschienenes Buch "New Dark Age", das nun auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt, hat ihn zum Popstar der Digitalisierungskritik gemacht. Das Buch handelt von der Geschichte des Datendenkens und dem Zusammenhang von Technologie und Klimawandel, von Überwachung und Verschwörungstheorien – letztlich von der dunklen Seite der Technologie. Bridle versteht auch praktisch viel davon selbst, er kann programmieren. Dieses Gespräch über Technologie lief über eine ziemlich schlechte Skype-Verbindung.
ZEIT ONLINE: Mr. Bridle, hatten Sie als Kind Angst vor der Dunkelheit? Oder machte es Ihnen auch Spaß, nicht gesehen zu werden?
James Bridle: Ich hatte eher Angst davor.
ZEIT ONLINE: Der Vorteil der Dunkelheit ist, dass man in ihrem Schutz Verbotenes tun kann.
Bridle: Ja, das hat wohl später eine Rolle gespielt.
ZEIT ONLINE: Den Titel Ihres Buches
New Dark Age haben Sie sich vom
[Links nur für registrierte Nutzer] geliehen, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Gefahr voraussah, der Mensch könne einmal in zu viel Information ertrinken. Mehr Daten sind nicht immer bessere Daten, schreiben Sie heute. Die gegenwärtig meisteingesetzte Art
[Links nur für registrierte Nutzer], das Machine Learning, benötigt aber Unmengen davon, um aus Daten lernen zu können. Was nun?
Bridle: Die bisherigen Erfahrungen lehren, dass KI die zu lösenden Probleme unter immer neuen Schichten von Komplexität versteckt. Ein Beispiel, ich war gerade im Norden Griechenlands. Man weiß schon länger, dass es dort größere Ölvorkommen gibt, doch bislang erschien die Förderung nicht wirtschaftlich. Nun gibt es künstliche Intelligenz, die das möglich machen soll. Wir wissen, dass wird nur schaden: der Schönheit der Natur, die dabei zerstört wird, und dem Klima auf der Welt, das durch mehr Verbrennung von fossilen Energieträgern weiter belastet wird. Aber künstliche Intelligenz hilft dabei. Eigentlich nicht verwunderlich, denn auch künstliche Intelligenz braucht Öl.
ZEIT ONLINE: Wir sehen, etwas passiert, und sehen nichts: die transparente Dunkelheit. Sie erzählen im Buch die Geschichte von einem frühen IBM-Supercomputer, der aus PR-Gründen 1948 in einem Geschäft in New York aufgestellt wurde. Was man durchs Schaufenster nicht sah: Der
[Links nur für registrierte Nutzer] rechnete Wasserstoffbombensimulationen für Forscher in Los Alamos. Ist der bloße Anschein von Transparenz ein Kennzeichen des Computerzeitalters? Oder interessieren sich die mächtigen Leute dahinter einfach nicht dafür, ob ihr Handeln legitim ist?
Bridle: Nun, der Macht ist das ja gerade nicht egal, sie verhüllt ihren Zweck in diesem Fall. Die Leute sahen den tollen raumgreifenden Computer, aber nicht die Simulation der Bombe. Solches Fehlverhalten von staatlicher Seite ist im Computerzeitalter sehr viel einfacher zu verstecken. Der Vorteil heute ist, dass das Wissen viel zugänglicher ist, um hinter diese Vorgänge sehen zu können. Alles, was Computer betrifft, muss als Code geschrieben und gespeichert werden. Das bedeutet auch, dass wir den Code aufspüren und enthüllen können.
ZEIT ONLINE: Reicht enthüllen? Überwachung ist ein Beweis für das Gegenteil: Selbst nach Edward Snowdens NSA-Enthüllungen hat sich nichts wirklich verändert.
Bridle: Ja, wir wissen relativ gut Bescheid, wie und wie viel Massenüberwachung im Dunkeln passiert. Das heißt aber noch nicht, dass wir das Phänomen wirklich denken können. Weil es so furchtbar ist und kaum auszuhalten: dass jeder Schritt aufgezeichnet werden kann. Lieber nicht dran denken! Deshalb ist mein Buch eher düster, weil es von Dingen handelt, über die wir lieber nicht reden. Das macht es schwierig, politischen Druck aufzubauen. Aber es ist möglich. Auch technologisch, das finde ich interessant: Viele haben mittlerweile mehr über die Funktionsweise von Computern gelernt, weil sie sich gewehrt haben gegen Überwachung. Sie benutzen VPNs, verschlüsselte Messenger-Apps, unterschiedliche Betriebssysteme. Das kann ein Ansporn sein, mehr Handlungsmacht zu erlangen. Es ist auch total leicht: Man lässt sein Smartphone zu Hause und zahlt in bar. Und schon bewegt man sich mehr oder weniger unsichtbar für elektronische Überwachung. Als lebe man im 17. Jahrhundert.