Telepolis / 16. November 2022
Milliardengrab Kampfjet F-35 – auch für Deutschland
Der F-35 ist ein Exportschlager der USA als "fortschrittlichster" Kampfjet aller Zeiten, kann aber zugleich als "Schrottkiste" bezeichnet werden. Wie passt das zusammen?
Als wesentlicher Teil des 100 Milliarden Euro "Sondervermögens" für die Bundeswehr ist die Beschaffung von
35 Flugzeuge des
US-Kampfjets F-35 vorgesehen. Die Beschaffungskosten belaufen sich aktuell auf
8,4 Milliarden Dollar.
Für die Bundeswehr ist ein Großteil der bestellten Kampfjets als Trägersystem für die im Fliegerhorst Büchel lagernden US-Atomwaffen vorgesehen, die – nach erfolgter Modernisierung – nur auf US-zertifizierten Kampfjets bestückt werden dürfen. Die F-35-Kampfjets sollen damit die vor mehr als 40 Jahren eingeführte Tornado-Flotte ablösen, die für das bisherige Atomwaffenarsenal als Trägersystem diente.
Verantwortlich für die
Produktion des F-35 ist Lockheed Martin. Teilweise erfolgt aber auch eine Endfertigung in Japan und Südkorea, die sich ebenso wie Großbritannien, Italien, Niederlande, Australien, Kanada, Dänemark, Norwegen und die Türkei an der Entwicklung beteiligt haben.Die Türkei – immerhin Nato-Mitglied – wurde 2019 aufgrund der Beschaffung russischer Flugabwehrsysteme aus dem F-35-Programm entfernt. Zuvor wurde bereits entschieden, keine F-35 mehr an die Türkei zu liefern.
Ausgeliefert wurden von
Beginn der Produktion 2001 bis Ende
2021 ca.
750 Stück, davon die meisten an das US-Militär mit einer Langzeitplanung von ca. 2.500 Stück. Vor der Bestellung Deutschlands in den USA haben bereits 10 andere Länder den F-35 bestellt und mehr oder weniger bereits im Einsatz. Dessen Umfang beläuft sich derzeit auf ca.
450 Stück.
Der "fortschrittlichste" Kampfjet aller Zeiten
Der F-35 gilt nicht nur als das teuerste und ambitionierteste Rüstungsprojekt des US-Militärs, sondern ist bis heute auch mit massiven Verzögerungen der "vollen Serienproduktion" verbunden, was mit dem beabsichtigten Fähigkeitsprofil als "fortschrittlichstes und tödlichstes Kampfflugzeug" zu tun hat.
Die Gründe für die Komplexität ergeben sich vereinfachend auf zwei Ebenen:
Erstens: Die Tarnkappentechnik stellt extrem hohe Anforderung an die Konstruktion und verwendeten Materialien. Mit vielen konstruktiven Details soll die Erkennung durch gegnerisches Radar verhindert werden. Unklar ist jedoch, ob diese Eigenschaften durch neuere technische Entwicklungen der Radartechnik nicht obsolet werden.
Zweitens: Die mit dem F-35 zum Einsatz kommende vernetzte Kriegsführung mit allein 50 Datenschnittstellen zu Bodenstationen und dem Hersteller in den USA erfordert langjährige Erprobungen und ständige Software-Updates. Damit sollen zwar primär instandhaltungsrelevante Daten geliefert werden, jedoch ist dieses auch politisch hoch brisant.
Faktisch werden damit alle Einsatz-Informationen an die USA weiter geleitet, was theoretisch auch eine Startblockierung per Fernsteuerung beinhalten könnte.
Beschaffungskosten: Nicht berechenbar
Über die tatsächlichen Kosten bzw. Kostenrisiken dieses Kampfjets gibt es weltweit mehrere Studien, in denen die massiven Probleme des F-35 offen gelegt werden. Auch in Deutschland wurde dazu im Mai 2022 eine im Auftrag von Greenpeace Deutschland durch Johannes Mikeska erstellte Studie veröffentlicht. Einen breiten Raum nimmt in der Studie die Abschätzung der Kosten für Beschaffung und Betrieb über eine jahrzehntelange Nutzungsdauer ein. Die hierbei aufgezeigten Kostenrisiken verweisen auf die völlige Intransparenz der Kostenermittlung, die auch vertraglich mit dem Hersteller kaum reduziert werden können.
Seitens des US-Rechnungshofes GAO wurden bereits mehrere kritische Berichte publiziert, die sich von der Beauftragung im Jahr 2001 bis heute hinziehen. In dem umfangreichen "Cost Estimating and Assessment Guide" vom März 2020 wird auf mehrere frühere Fallstudien zum F-35 hingewiesen.
Auch nach zwei Jahrzehnten der Entwicklung existieren noch immer über 800 bekannte Mängel, weshalb eine F-35 im Schnitt nur zu 40 Prozent der Zeit voll einsatzbereit ist.
Fast ein Dutzend Mängel sind derart gravierend, dass sie zum Absturz des Flugzeugs führen können. Insbesondere sind die Problem mit dem Triebwerk gravierend. Bei allen bislang produzierten und ausgelieferten F-35 handelt es sich deshalb um Modelle aus der sogenannten "Anfangsproduktion", die noch nicht alle Anforderungen an ein vollständig ausgereiftes Flugzeug erfüllen müssen.
Für den Stückpreis in der Beschaffung lässt sich systembedingt nur eine grobe Größenordnung angeben, die derzeit bei ca. 200 Millionen Euro liegt.
Die
tatsächlichen Kosten sind eine Mischung von variablen Kosten aufgrund der Stückzahlen, der Einbeziehung von Betriebsmaterial pro Einheit und Fixkosten für die zugehörige Infrastruktur. Überschlägig kann man davon ausgehen, dass mindestens ein Drittel der Beschaffungskosten als Fixkosten bzw. Systemkosten anzusehen sind.
Für die von der Bundeswehr geplante Stückzahl von 35 sind Beschaffungskosten von 8,4 Milliarden US-Dollar veranschlagt, gemäß Stand vom
Juli 2022. Allein aufgrund zwischenzeitlich erfolgter Wechselkursverluste des Euro gegenüber dem Dollar haben sich diese Kosten jedoch bereits deutlich erhöht.
Lebenszykluskosten: Das schwarze Loch
Produziert wird die F-35 von Lockheed Martin. Für die Bestellung durch die Bundeswehr wird eine Beteiligung deutscher Firmen zur Produktion einzelner Teile oder an der Instandhaltung gewünscht. Faktisch dürfte damit auch die ohnehin bereits komplexe Logistik noch mehr aufgebläht werden, was zu weiteren Kostentreibern führen wird.
Für die zu erwartenden Betriebskosten spielt die geplante Flugstundenzahl eine maßgebende Rolle. Diese hängt z.B. davon ab, welchen Anteil an physischen Flugstunden durch Simulatoren ersetzt werden kann.
Eine Flugstunde des F-35 kostet die US Air Force aktuell
44.000 US-Dollar, wobei der Hersteller seit Jahren eine Reduktion auf 25.000 US-Dollar bis 2025 verspricht.
Zu einem von der Schweiz erstellten Kaufvertrag über 36 Stück F-35 erschien am 8.7.2022 ein Bericht der eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) zum Risikomanagement dieses Projektes. Wesentliche Punkte der EFK sind: Die USA haben der Schweiz zur Beschaffung der F-35 nie verbindliche Festpreise und noch viel weniger Preisgarantien angeboten. Vielmehr handelt es sich bei den im Kaufvertrag zwischen der Schweiz und den USA allein um geschätzte Preise.
Die Betriebskosten werden demnach in den einschlägigen Dokumenten "immer als Schätzungen dargestellt". Es gibt viel Grund zur Annahme, dass die tatsächlichen Betriebskosten um Milliardenbeträge höher liegen werden als Lockheed Martin zwecks Verkaufsförderung jetzt behauptet.
Der ehemalige Chef der Schweizer Armee André Blattmann rechnet mit jährlichen Kosten von 12 Prozent des Anschaffungspreises, was über 30 Jahre hinweg Lebenszykluskosten in der Höhe von 23 Milliarden Franken bei einem vorgesehenen Beschaffungspreis von fünf Milliarden Franken zur Folge hätte.
Die kanadische Regierung hat bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG eine Studie erstellen lassen, die zum Schluss kommt, dass der F-35 bei einem Beschaffungsvolumen von neun Milliarden kanadischer Dollar über die gesamte Lebensdauer über 45 Milliarden kanadische Dollar kosten würde.
Die Lebenszykluskosten betragen deshalb nach verschiedenen Schätzungen bis zum fünffachen des Anschaffungspreises, während bisher bei Kampfjets der Wert 2,5 als Standard galt.
Ein Haupt-Abnehmer für den Kampfjet F-35 war bisher Südkorea. Wegen der horrenden Betriebskosten ist Südkorea jedoch derzeit dabei, einen eigenen Kampfjet KF-21 zu entwickeln, der mit einem abgespeckten Funktionsumfang nur die Hälfte der Betriebskosten des F-35 erfordern soll.
Die bereits genannte, beschränkte Einsatzfähigkeit des F-35 liegt weit unter dem Durchschnitt von typischen Kampfjets. Weniger Flugstunden bedeuten zwar weniger Treibhausgas-Emissionen, jedoch anderweitig höhere Kosten durch den hohen Instandhaltungsaufwand. Dieses erklärt auch, weshalb die vorhandenen Abschätzungen der Lebenszykluskosten weit auseinander gehen.
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Viele Widerstände gegen den F-35 auch von unten
Der Widerstand gegen Kampfjetprogramme und speziell den F-35 ist bereits seit mehreren Jahren in verschiedenen Ländern vorhanden. In der Schweiz wurde eine von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) initiierte Volksabstimmung gegen das Kampfjet-Beschaffungsprogramm der Regierung im Jahr 2020 nur sehr knapp abgelehnt.
Eine neuerlich geplante Volksabstimmung im Frühjahr 2023 gegen die nunmehr geplante F-35-Beschaffung wurde trotz des erreichten Unterschriften-Quorums von der GSoA zurück gezogen, weil man seitens der Schweizer Bundesregierung mit einer vorgezogenen Bestellung in den USA bereits vollendete Tatsachen geschaffen hat.
Gleichfalls nicht erfolgreich war man in Kanada. Die Friedensaktivistin Tamara Lorincz hat in einer für die "Women’s International League for Peace & Freedom (WILPF) Canada" verfassten Studie umfassend die Argumente gegen die Kampfjet-Aufrüstung der kanadischen Bundesregierung und speziell zur finalen Festlegung auf den F-35 zusammen gestellt.6
Im Gespräch mit dem Autor fasste sie ihre Kritik mit knappen Worten zusammen:
"It’s a lemon". Auf deutsch:
Eine Schrottkiste. Womit die eingangs gestellte Frage beantwortet werden muss, warum dennoch so viele Länder auf den F-35 großen Wert legen.
...
Da man in der deutschen Politik danach strebt, militärisch unter Einbeziehung der einheimischen Rüstungsindustrie eine europäische Führungsnation zu werden, ist das US-Waffensystem F-35 offenbar unverzichtbar.
Dieses entspräche auch der Logik mit der
Einführung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr. Da die Eurodrohne erst entwickelt werden muss und frühestens 2027 zur Verfügung steht, wurde 2021 als Übergangslösung – zum Aufbau von eigenem Know-how – die
Heron TP von
Israel geleast.
Johannes Mikeska stellt in seiner bereits genannten Studie zum F-35 die Frage, ob dieser nur als "unausgereifte Brückentechnologie" anzusehen sei. Dieses dürfte zumindest aus Sicht der deutschen Politik zweifelsfrei zu bejahen sein. Schließlich möchte man ja mit dem Projekt FCAS (Future Combat Aircraft System) in Verbindung mit dem Projekt MGCS (Main Ground Combat System) selbst das teuerste Rüstungsprojekt aller Zeiten realisieren.
Das heißt: Beginnend mit dem F-35 sollen auch über die nächsten Jahrzehnte gigantische finanzielle und materialle Ressourcen verbrannt werden, die für den notwendigen sozial-ökologiischen Umbau fehlen werden. Würden diese "Zukunftsprojekte" realisiert, werden mit Sicherheit der Klimawandel oder das Militär verbrannte Erde hinterlassen.
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