Zentih / 10.03.2015 / Christina Nagel
Hände am Abzug
Seit Monaten wird hinter den Kulissen um sichere Abzugsrouten für die Isaf gefeilscht. Delegationen aus Nato-Ländern kommen, schauen und prüfen.
Russland und die zentralasiatischen Republiken locken, drohen und bieten.
Die Nato schätzt, dass sie über 125.000 Container und bis zu 80.000 Fahrzeuge aus 1.300 Feldlagern und Operationsbasen in Afghanistan herausbringen muss. Davon allein 6.000 Container und 1.700 Fahrzeuge – vom Geländewagen bis zum Schützenpanzer – die zurück nach Deutschland gebracht werden müssen.
Ein lukratives Geschäft für Logistik- und Transportunternehmen. Und eine gute Möglichkeit für die umliegenden Staaten, aus dem Abzug der Isaf-Truppen politisch Kapital zu schlagen. Dass Russland die Wolgastadt Uljanowsk mit ihrem für große Transportmaschinen ausgelegten Flughafen und ihrer guten Eisenbahnanbindung als Logistikpunkt angeboten hat, ist aus Sicht des russischen Nahost-Experten Jewgenij Satanowski ein kluger Schachzug des Kreml:
»Das eine glänzende Idee. Denn es bringt die Amerikaner in eine recht ernste Abhängigkeit von Russland.«
Das sehen vor allem die Kommunisten anders. Sie werfen dem Kreml vor, die Sicherheitsinteressen des Landes zu verkaufen: ausgerechnet an die Nato, die in der russischen Militärdoktrin unter der Rubrik »grundlegende äußere Kriegsgefahren« geführt wird.
Russland, so die Botschaft zahlreicher Demonstrationen, brauche keine Nato-Basis. Vor allem nicht in Uljanowsk, wettert Kommunisten-Chef Gennadij Sjuganow: »Die Nato strebt an die Wolga, wohlwissend, dass sie hier am Ufer eines unserer wichtigsten Flüsse einen Aufmarschplatz hat, von dem es wunderbar Richtung Osten geht, der eine direkte Wasserader nach Süden bildet, die sich bestens für zukünftige Abenteuer im Iran eignet.«
»Wir wollen nicht, dass unsere Soldaten an der tadschikisch-afghanischen Grenze kämpfen«
Populistische Töne, die Präsident Wladimir Putin selbst verschuldet habe, meint der Moskauer Militär-Experte Alexander Golz. Immer wieder müsse die Nato als Sündenbock, als Feind von außen herhalten, um von innenpolitischen Problemen abzulenken: »Die russische Führung beschwört immer wieder die These, dass die Nato Russland Böses will.
Nun ist es plötzlich anders: Russland und die Nato haben sich auf eine sehr nützliche Sache geeinigt. Für die Kommunisten eine Möglichkeit, das gesamte, von Putins Regierung geschaffene, Hasspotenzial gegenüber der Allianz, für sich zu nutzen.« Dabei würde bewusst von einer Nato-Basis gesprochen, sagt Golz.
Obwohl es sich eigentlich um einen reinen Transport- und Logistikpunkt handele:
»Im internationalen Recht gibt es eine feststehende Definition des Begriffs Militärbasis. Auf dem Territorium, das von einem Staat vermietet wird, gelten die Gesetze des Landes beziehungsweise der Länder, die die Basis mieten. Es gilt also das Prinzip der Exterritorialität.«
Das Territorium in Uljanowsk wird jedoch nicht an die Nato vermietet. Alles bleibe in russischer Hand, betont der ehemalige russische Nato-Botschafter und heutige Vize-Premierminister Dmitrij Rogosin:
»In der Luft sind russische Flugzeuge im Einsatz, an Land russische Züge, das war es! Es sind fremde Container, aber unsere Transportmittel. Auch das Personal ist unseres. Keine Nato-Truppen, keine Nato-Basen, kein Stacheldraht, keine Visagen in schönen Nato-Uniformen, das alles ist ausgeschlossen!«
Der Militärexperte Golz glaubt nicht, dass der Kreml allein ein kurzfristiges Geschäft im Auge hat. Es gehe auch um eigene Sicherheitsinteressen. Schon früh habe Russland den Transit so genannter nicht-tödlicher Güter nach Afghanistan möglich gemacht. Dazu gebe es bilaterale Abkommen, die weit über die Rahmenverträge hinausgingen.
Auch mit Deutschland. Die Bundeswehr darf Kampftechnik, Waffen und Soldaten via Russland transportieren. Aus gutem Grund, wie Präsident Putin im April klar machte:
»Wir alle sind im Bilde, was sich in Afghanistan zuträgt. Nicht wahr? Wir sind interessiert daran, dass die Situation dort unter Kontrolle bleibt. Und wir wollen nicht, dass unsere Soldaten an der tadschikisch-afghanischen Grenze kämpfen.«
Das östliche Nato-Gegenstück gilt als Papiertiger
Nach dem Abzug der Isaf-Truppen aus Afghanistan stehe Russland wieder selbst vor dem Problem, meint Golz
»Es ist eine Frage von Monaten, bis die Taliban wieder an die Macht kommen. Dann dauert es nicht lange, bis militante Islamisten den Grenzfluss Amudarja überqueren und Bürgerkriege in den schwachen, autoritären Staaten beginnen. Der Transit, die Zusammenarbeit in Sachen Afghanistan, gibt Russland die Chance, eine Sicherheits-Partnerschaft mit der internationalen Koalition für die zentralasiatische Region in Gang zu setzen.«
Große Hoffnungen, dass das östliche Sicherheitsbündnis, die »Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit« (OVKS), die Lücke schließen könnte, hat kaum jemand. Die OVKS, die sich als Gegenstück zur Nato verstanden wissen will, gilt als Papiertiger. Im Dezember gab es in Moskau einen erneuten Versuch, der Organisation mehr Profil zu verleihen. Ein neues Abkommen wurde unterzeichnet.
»Das wichtigste Ergebnis unseres Treffens ist sicherlich das Abkommen, das die Stationierung militärischer Infrastrukturobjekte von Nichtmitgliedsländern auf dem Territorium der OVKS-Staaten regelt«, lobte Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew. »Um eine Militärbasis eines Drittlandes auf dem Territorium eines OVKS-Staats zu stationieren, braucht man nun die offizielle Zustimmung aller Mitglieder.«
Und dazu gehören neben Kasachstan und Russland Kirgistan, Armenien, Tadschikistan, Weißrussland und Usbekistan. Bis heute ist das Abkommen nicht in Kraft. Das russische Parlament hat das Protokoll noch nicht ratifiziert. Usbekistan ging noch einen Schritt weiter – und legte kurze Zeit später seine Mitgliedschaft auf Eis.
Offiziell begründet wurde der Schritt nicht. Experten sehen aber einen klaren Zusammenhang mit dem Abzug der Truppen aus Afghanistan. Es wird spekuliert, dass Usbekistan den Stützpunkt Chanabad wieder an die Amerikaner vermieten will. Für zig Millionen Dollar, um so sicherheitstechnisch vorzubeugen. Auch mit Blick auf regionale Konflikte – vor allem mit dem Nachbarland Tadschikistan.
Das Feilschen ist noch lange nicht vorbei
Die engere Zusammenarbeit mit der Nato und den Amerikanern zahlt sich für die politische Führung in Taschkent bereits jetzt aus. Weil Usbekistan neben dem für Deutschland wichtigen Luftfracht-Logistikdrehpunkt Termez auch über eine Eisenbahnverbindung bis ins afghanische Mazar-i-Sharif verfügt, hofierten westliche Staaten zuletzt eifrig den umstrittenen Präsidenten Islam Karimov. Kritik an Menschenrechtsverletzungen und seiner autoritären Staatsführung verstummten.
Russland sieht das amerikanische Engagement in Zentralasien kritisch. Es geht um Macht und Einfluss, aber auch um die unterschwellige Angst, dass die USA unter dem Deckmäntelchen der Demokratisierung die Ideen des Arabischen Frühlings in die autoritär geführten Länder tragen könnten. Andererseits weiß der Kreml, dass die Region von der Präsenz der Amerikaner beziehungsweise der Nato im Kampf gegen militante Islamisten, Terroristen, aber auch gegen Drogenkartelle profitieren würde.
Eine klare Linie in der russischen Politik gegenüber den zentralasiatischen Ländern sei zurzeit nicht auszumachen, meint der Militärexperte Alexander Golz:
»Je intensiver die Amerikaner ihre Politik dort vorantreiben, desto stärker werden die Widersprüche. Denn, sagen wir es ganz offen, außer dem Schutz durch die schnelle Einsatztruppe der OVKS kann Russland nichts bieten. Weder bedeutende wirtschaftliche Projekte noch ernsthafte Finanzhilfen sind drin.«
Nicht zuletzt deshalb versuche es Moskau regelmäßig mit Druck. Möglicherweise aufgeschreckt durch Spekulationen, Tadschikistan könne eine amerikanische Militärbasis zulassen, drängt die russische Regierung zurzeit auf eine Vertragsverlängerung über die Nutzung seiner Militärbasis in Tadschikistan: um 49 Jahre. Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan und auch Russland haben inzwischen Rahmenverträge mit der Nato abgeschlossen. Das Feilschen ist damit aber noch lange nicht vorbei. Denn jetzt geht es um die bilateralen Abkommen, um konkrete Containerpreise, Überflugrechte und Transportkapazitäten.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von NDR Info »Streitkräfte und Strategien«.
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