Alfred_Schmidt: Zum Thema "deutschümeln" kann ich als Österreicher nur sagen, daß ich mich wundere, wie sehr sich die meisten Deutschen dafür schämen
Michael Schlechtriem: Lieber Alfred,
nun ja, meine Generation ist so erzogen worden.
Zu Recht!
Es wurde alles hinterfragt, was das 3.Reich angeht, und ich persönlich bin als Europäer aufgewachsen mit keinem bisschen Identität als Deutscher.
Vielleicht mit der Identität eines Rheinländers, aber "Deutschland" ist für mich ein abstrakter Begriff, der vor allem und überhaupt für mich nichts bedeutet.
Daß man sich als Deutscher schämen muß, wurde mir als Jugendlichem in den 70er Jahren bei jedem Ausflug nach Frankreich oder England klargemacht und unmißverständlich unter die Nase gerieben.
Da gab es gar keine Hemmungen von Seiten der Gastgeber.
Dabei war ich zu der Zeit, als diese ganze Scheisse 1933-45 passierte, noch überhaupt nicht geboren gewesen.
Aber die Konsequenzen, die durfte ich erleben.
Es ist eine große Last gewesen, mit der Schuld einer älteren Generation auf dem Rücken aufzuwachsen.
Und ich werde mich bis an das Ende meiner Tage dafür schämen, denn ich bin so erzogen worden und das ist richtig so!
In Österreich sieht die Sache anders aus, also seit glücklich darüber.
Mehr möchte ich darauf nicht eingehen, denn ich fürchte, man würde es in Österreich nicht verstehen.
Personen, welche in vorderster Reihen und lautstark im 3.Reich mitgemacht haben, können von mir niemals posthum eine "faire" Behandlung bekommen.
Alle diese Rädchen im Getriebe des 3.Reiches sind mitverantwortlich dafür, daß ich als Deutscher heute keine Identität spüre und habe.
Ich beneide die Amerikaner, Engländer, Franzosen, ja auch die Österreicher, um Ihrer nationale Identität.
Eine deutsche nationale Identität hingegen möchte ich eigentlich nicht erleben müssen.
Was das angeht, reicht es einfach.
Und überhaupt, was ist schon Deutschland?
Dieses Land gibt es doch überhaupt nicht, es ist ein Zusammenschluß verschiedenster Länder, Ihrer Gebräuche und Traditionen.
Elly Ney war eine erwachsene, hyperegozentrische Musikerin, welche sich begeistert dem 3.Reich angedient hat.
Hätten die Nazis den Krieg gewonnen, dann wäre Sie fein raus gewesen.
Es kam aber anders-zum Glück!
Es ist ein wenig zu viel verlangt, finde ich, daß man Personen wie Ney posthum mit Samthandschuhen anfassen und nur die Musik gelten lassen soll.
Meine Symphatien liegen eher bei den Opfern des 3.Reiches wie Karlrobert Kreiten, der sowieso ein weitaus besserer und interessanterer Pianist war- und geköpft wurde, was der damalige Mitläufer Werner Höfer mit Begeisterung gut hieß.
Hätte er nicht machen müssen, und auch Ney hätte nicht alle diese Bemerkungen, welche hier bereits wiedergegeben wurden, abgeben müssen.
Dazu hat Sie niemand gezwungen, es war ihre alleinige Entscheidung und Überzeugung, auf welche Seite sie sich lauthals schlug.
Meiner Meinung nach wird bereits sehr fair und ungemein verständnisvoll mit führenden Musikern des 3.Reiches umgegangen- zu Recht, finde ich.
Ich weiß auch nicht, wie ich mich damals verhalten hätte, wäre ich dabeigewesen.
Wahrscheinlich wäre ich ein feiger Mitläufer gewesen, der auch nur seine Schäfchen ins Trockene bringt und auf Kosten verschleppter oder ermorderter Musiker seine Karriere macht.
Möglich wäre das gewesen, denn ich bin kein Engel.
Insoferne schwinge ich mich nicht als Richter über fehlgeleitete Menschen wie Ney auf.
Aber es gibt Fälle, da kann ich den Musiker nicht losgelöst von seiner politischen und menschlichen Haltung wahrnehmen.
Elly Ney gehört für mich zu diesen Personen, und es ist mir völlig gleichgültig, wie sie gespielt hat.
Von mir aus könnte Sie der weltbeste Pianist aller Zeiten gewesen sein, die Person Elly Ney ist mir zuwider und ich sehe überhaupt nicht ein, daran etwas zu ändern.
Insoferne ist Sie mir gleichgültig.
Diese lautstarken Parteigänger von damals haben es fast nie für nötig gehalten, Ihre Fehler einzugestehen.
Im Gegenteil.
Und dafür muß ich heute Verständnis aufbringen?
Nein danke.
Wirkliche Größe hätte für mich nur jemand, der seine Fehler öffentlich eingesteht, der dazugelernt hat.
Dann sähe die ganze Sache schon weitaus anders aus.
Einen Künstler völlig losgelöst von seiner politischen und menschlichen Haltung zu sehen, nein, das ist nicht möglich.
Jedenfalls für mich.
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