Der Kreationismus gilt heute als eine Bedrohung des evolutionsbiologischen Argumentierens. Es wird in ihm - insbesondere in der amerikanischen Debatte - eine Alternativtheorie zur Evolutionstheorie erblickt. Diese Alternative setzt in verschiedenen Varianten den Schöpfungsbericht an die Stelle evolutionsbiologischer und paläontologischer Argumente und Begründungszusammenhänge. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Bewegung ist schon allein deshalb schwierig, weil mit dem Ausdruck "Kreationismus" die unterschiedlichsten weltanschaulichen, religiösen und sektiererischen Strömungen bezeichnet werden. In Konsequenz haben sich derzeit mehrere Fronten aufgetan, an denen ein gegenseitiger Schlagabtausch (Schöpfung gegen Evolution) stattfindet, ohne daß jedoch die jeweils vorgetragenen Argumente in ihrem historischen und wissenschaftstheoretischen Kontext analysiert würden. Bemerkenswerterweise wird nämlich regelmäßig übersehen, daß der Kreationismus nicht ausschließlich eine Gegenbewegung gegen die Evolutionstheorie war, sondern im engen Zusammenhang der Darwinschen Evolutionstheorie diskutiert wurde. Wenn also heute der Kreationismus als Bedrohung der Evolutionstheorie dargestellt wird, so kann dies nur dann gelten, wenn man vermutet, daß die Evolutionstheorie synonym zum Darwinismus ist. Kritik am Darwinismus wird somit oft als Kritik an der Evolutionstheorie schlechthin verstanden. Dass dies nur teilweise stimmt, ist schon daran zu sehen, daß gerade ein Kritiker des Darwinismus in der Form der neudarwinistischen Theorie, nämlich Steven Jay Gould, sich immer wieder mit dem Kreationismus auseinandergesetzt hat, ohne deshalb den evolutionsbiologischen Aspekt vollständig dem Darwinismus als einzig möglicher Evolutionstheorie zu überlassen. Tatsächlich gibt es verschiedenste Evolutionstheorien und viele Anti-Darwinistische Theorien, die sich konkret mit genau denjenigen Problemen befassen, die von Kreationisten als "Beweise" gegen Evolution und für den Schöpfungsglauben angeführt werden. Wenn "Die Evolutionstheorie" von Kreationisten angegriffen wird, so ist zu allererst zu fragen, welche Evolutionstheorie denn überhaupt gemeint ist, und wenn es um Probleme und Unzulänglichkeiten der Neodarwinistischen (Synthetischen) Konzeption geht, so ist im zweiten Schritt darauf hinzuweisen, daß Probleme und offene Fragen vielmehr Forschungsmotivationen darstellen und keinesfalls "Beweise" gegen den Vorgang der Evolution sind.