Land Grabbing, was ist das?
Private InvestorInnen aus Industrie- und Schwellenländern und staatliche Akteure sichern sich durch sogenannte Auslandsdirektinvestitionen (Foreign Direct Investments) und mittels langfristiger Pacht- oder Kaufverträge große Agrarflächen in Entwicklungsländern.*Dort werden vorrangig Nahrungsmittel oder Energiepflanzen für den Export angebaut, die der Ernährungs- und Energiesicherung der Investorländer dienen. Auch die Sicherung von Süßwasserquellen und Rohstoffen*ist ein entscheidendes Motiv.
Was ist neu an der Landnahme?
Profitorientierte Konzerne eignen sich schon seit vielen Jahrzehnten fruchtbares Tropenland an, um Kaffee, Kakao oder Bananen für den Export anzubauen. Neu sind jedoch das Ausmaß und die Geschwindigkeit dieses Landerwerbs sowie die dabei zu beobachtende massive Umgehung von Landrechten. Bei der neuen Landnahme heute werden nicht nur wie zuvor Cash Crops (Kaffee, Kakao, Bananen) angebaut, sondern auch Grundnahrungsmittel wie Weizen, Reis und Mais. Zu dem traditionellen Motiv der Profitmaximierung ausländischer Investoren gesellt sich das*der eigenen Ernährungssicherung der investierenden Länder.
In welchem Umfang findet Landnahme statt?
Das wahre Ausmaß der neuen Landnahme und der ihr zugrunde liegenden Geschäfte sowie die konkrete Zahl der Verträge sind aufgrund mangelnder Transparenz in den Verhandlungen schwer zu erfassen. Der Weltbank-Ökonom Klaus Deininger schätzt, dass über*zehn bis 30 Prozent des global verfügbaren Ackerlandes Verhandlungen laufen. Die Organisation GRAIN veranschlagt die bisher für internationale Landkäufe investierte Summe auf 100 Milliarden US-Dollar. Die Weltbank geht dagegen vorsichtig von 50 Milliarden US-Dollar aus. Das wissenschaftliche Institut IFPRI (International Food Policy Research Institute) gibt an, dass ausländische Investoren sich in den Entwicklungsländern bereits zwischen 15*und 19,8 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche gesichert haben oder kurz davor stehen, diese zu erwerben.
Wo findet Land Grabbing bisher statt?
Nach den verfügbaren Informationen sind die folgenden Entwicklungsländer in Afrika und Asien besonders betroffen: Angola, Äthiopien, Indonesien, Kambodscha, Kenia, Demokratische Republik Kongo, Republik Kongo, Laos, Madagaskar, Mali, Mongolei, Mosambik, Sambia, (Süd-) Sudan, Tansania, Uganda und die Philippinen sowie Myanmar. Vergleichbare Entwicklungen sind aber auch in Brasilien, Kolumbien, in der Russischen Föderation und in der Ukraine zu beobachten.
Wo liegen die Ursachen für Land Grabbing?
Vor dem Hintergrund der wachsenden Weltbevölkerung, zunehmender Landnutzungskonflikte und ökologischer Belastungen wie dem Klimawandel wird auch landwirtschaftlicher Boden immer mehr zu einem knappen Gut und rückt somit verstärkt ins ökonomische Interesse. In diesen Zusammenhang ist auch Land Grabbing einzuordnen. Der Boden als Produktionsfaktor steht mehr denn je unter dem Druck verschiedener Nutzungsinteressen. Anhaltendes Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und damit einhergehende fortschreitende Flächenversiegelung sowie Klimawandel, Desertifikation und großflächige Erosionen erhöhen die Nachfrage und den Preis des Bodens sowie der damit verbundenen natürlichen Ressourcen. Weitere Faktoren verstärken die neue Landnahme:
Nahrungsmittelkrise
Der Preisanstieg für Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt in den Jahren 2005 bis 2008 hat den Prozess der Landnahme gefährlich beschleunigt. Im Zuge der ansteigenden Weltmarktpreise auf Agrarprodukte stiegen auch die Preise für Boden in den rasch wachsenden Schwellenländern und der industrialisierten Welt. Dies machte das billigere Land in den Entwicklungsländern für InvestorInnen zunehmend attraktiv. Die Explosion der Nahrungsmittelpreise führte dazu, dass vom Nahrungsmittelimport abhängige Staaten befürchteten, ihren steigenden Nahrungsmittelbedarf nicht mehr vom Weltmarkt abdecken zu können. Zu diesen Staaten zählen China, Indien, Südkorea, Japan und Saudi Arabien. Die Bevölkerung dieser Staaten wächst stark an, während ihre nutzbare Ackerfläche begrenzt ist. Eine zunehmende Nahrungsmittelimportabhängigkeit ist die Folge. Vor diesem Hintergrund kaufen oder pachten staatliche und halbstaatliche Firmen mit Unterstützung der Regierungen große Ackerflächen in Drittländern. Die darauf angebauten Produkte sind fast ausschließlich für den Export bestimmt. Das heißt, sie werden in die Staaten der InvestorInnen importiert und dienen so der Ernährungssicherheit dieser Staaten.
Die Finanzmarktkrise
Eine weitere Ursache der neuen Landnahme stellt die globale Finanzmarktkrise dar. Nach der Hypotheken- und Finanzkrise sind InvestorInnen nun auf der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten. Das Geschäft mit Ackerland stellt für sie eine sichere Anlagemöglichkeit mit lukrativen Renditemöglichkeiten dar. Hedgefonds und Banken investieren Geld in Landgeschäfte in der Hoffnung auf große Profite. Ackerland wird so zum Spekulationsobjekt. Angesichts mittelfristig steigender Agrarpreise wird das Interesse an Landgeschäften noch steigen. Der in den letzten Jahren deregulierte intransparente internationale Finanzmarkt macht dies möglich.
Der Klimawandel
Der Klimawandel verschärft die Lage zusätzlich. Globale Erwärmung, kürzere Regenzeiten, der Anstieg des Meeresspiegels, zunehmende Dürren und Schädlingsbefall führen zu Ernteausfällen. Knapper werdende Ackerlandressourcen stehen einer steigenden Bevölkerungszahl gegenüber. Auf dem globalen freien Markt verstärken diese Faktoren den Ausverkauf von Land.
Die Neoliberale Wirtschaftspolitik und Investitionsschutzabkommen
Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung, die Kernelemente der neoliberalen Wirtschaftspolitik, wurden ab den 1980er Jahren von Internationalem Währungsfonds (IWF) und der Weltbank unter maßgeblicher Führung der USA fast weltweit durchgesetzt. Diese langfristigen strukturellen Veränderungen stärkten und formalisierten die Privatisierung von Land und den internationalen Fluss von Investitionen. Heute unterstützen und legalisieren die neuen internationalen Freihandels- und Investitionsabkommen als Teil dieser neoliberalen Politik die Landnahme. Freihandelsabkommen wie NAFTA (North American Free Trade Agreement), das US-Peru-Freetrade Agreement und andere haben strenge Vorschriften, die es den InvestorInnen erlauben, Schadenersatz einzuklagen, wenn sie glauben, dass ihre Investitionen und Profite durch nationale Entscheidungen gefährdet werden könnten. Ende 2008 waren knapp 2.700 bilaterale Investitionsschutzabkommen in Kraft, wovon 42 Prozent zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern abgeschlossen worden waren. Landaufkäufe und Pachtverträge werden so mittels der Schutzvorschriften für Investitionen in den internationalen Handelsabkommen juristisch legitimiert und abgesichert. Diese Investitionsschutzabkommen sowie die allgemeine Privatisierung und Liberalisierung im globalen Wirtschaftssystem macht Land zu einer global handelbaren Ware und ermöglicht bzw. forciert Land Grabbing. *
Akteure
Wer sind die Akteure? Die Länder, aus denen die Investitionen zur Landnahme stammen, lassen sich in drei*Gruppen unterteilen:
1. Die expanierenden Länder Ostasiens: China, Südkorea und Japan. Diese Länder verzeichnen ein hohes Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum. Ihr Bedarf an Nahrungsmitteln und Agrarrohstoffen steigt. Mit der Produktion von Grundnahrungsmitteln in Drittländern für den eigenen Bedarf verfolgen sie das Ziel einer höheren Unabhängigkeit vom Weltmarkt.
2. Die zweite Gruppe sind die vom Nahrungsmittelimport abhängigen Golfstaaten. Sie verfügen über eine hohes Investitionskapital aus Ölgeschäften. Ihre Ackerland- und Wasserressourcen sind stark begrenzt. Auch diese Gruppe verfolgt mit der Landnahme eine höhere Unabhängigkeit vom Weltmarkt.
3. Die dritte Gruppe stellen die multinationalen Großkonzerne der Industriestaaten. Diese investieren hauptsächlich in Anbauflächen für Agrarrohstoffe. Europäische und nordamerikanische Agrarkonzerne sichern sich überwiegend Land zum Anbau von Pflanzen zur Energieproduktion (Mais, Zuckerrohr, Ölpflanzen).
Die Akteure lassen sich in staatliche, halbstaatliche und private InvestorInnen unterteilen. Teilweise sind es Regierungen, welche die Pachtverträge aushandeln. Oft sind es Staatsfonds, staatliche oder halbstaatliche Unternehmen, die als Investor auftreten, während private Unternehmen die Produktion übernehmen.
Staatliche und halbstaatliche Akteure beim Land Grabbing finden sich vor allem in den ostasiatischen Staaten sowie den Golfstaaten. Die Mehrzahl der Landkäufe wird von multinationalen privaten Großkonzernen abgewickelt. Neben den privaten Konzernen sichern sich auch zunehmend Investmentfonds, Banken und Hedgefonds Ackerland in armen Ländern.
Viele der vorgesehenen oder bereits realisierten Landverkäufe bzw. -verpachtungen finden in Ländern statt, die von der FAO (Food and Agricultural Organization, Teilorganisation der UNO) als Länder mit unsicherer Ernährungssituation eingestuft wurden, so beispielsweise Kenia, Sudan, Uganda und Myanmar.
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