Zitat von
Leo Navis
Kaum; ich denke mal, solche Menschen befinden sich eher nicht in der Intensivstation.
Allerdings habe ich viele kennengelernt, die das gar nicht einordnen konnten. Diese schwanken meist zwischen totaler Ablehnung, und fangen an, das ganze als Hirngespienst zu betrachten, ihre Medikation zu nehmen und versuchen, alles zu vergessen, und völliger Hingabe, und fangen an, alles, was sie erleben, sei undifferenziert so zu glauben. Beides relativ gefährliche Wege.
Eine Frau, die ich kennengelernt habe, schwankte stets zwischen beidem. Sie hatte ein Trauma nach einer Vergewaltigung erlebt und ist danach psychotisch geworden, das zumindest erzählte sie mir, und es schien glaubhaft. In der Psychiatrie selber konnte sie unter Medikation normal agieren, aber es war wohl schon von vornerein klar, dass sie, sobald sie zuhause sei, die Medikation absetzen einen Rückfall erleiden werde. Ein anderer fand seine Psychose zum Kotzen, aber er konnte damit umgehen. Er war im zarten Alter von 40 oder so verrentet, weil er schlichtweg nicht arbeiten konnte, und ist alle halbe bis dreiviertel Jahr in die Psychiatrie geschneit, weil es wieder anfing.
Mein einer Zimmernachbar in der Geschlossenen war ein fast hoffnungsloser Fall. Er hörte den ganzen Tag sehr laut Radio, was einem durchaus auf die Nerven gehen kann, wobei er teilweise auch nur lautes Rauschen hörte. Wenn seine Stimmen ihn zu sehr quälten sprang er auf, rannte aus der Tür, und rannte wieder herein, und warf sich aufs Bett. Einst legte er sich zu mir ins Bett, und flüsterte mir zu, er sei gar nicht schwul. Ich hielt es für eine gute Idee, ihm zu versichern, ich schon, wodurch ich ihn recht effektiv losgeworden bin.
Einmal war ich auf Toilette, und er hielt die Tür einige Zeit lang zu, was einen schon ein wenig panisch werden lassen kann.
Irgendwann allerdings fand er eins meiner Bücher, die ich mithatte: [Links nur für registrierte Nutzer] - von einer schwedischen Psychologin, die lange Zeit selbst als unheilbar schizophren erkrankt galt, sich die Pulsadern aufschnitt und insgesamt vollständig abschottet von der Außenwelt lebte, und es da nach Jahren wieder rausgeschafft hatte. Es schien eine Art Hoffnung in ihm zu wecken, und er wurde bedeutend ruhiger; als ich ging, ließ ich es ihm, ich wechselte das Zimmer, weil ich - obwohl er ein wenig zahmer wurde - das ständige Rauschen einfach nicht mehr aushalten konnte.
Mein folgender Zimmernachbar war zwar auch völlig durchgeknallt, aber bedeutend lustiger. Er glaubte, man hätte ihm einen Chip in den Arm eingepflanzt, um ihn orten zu können, also bat er mich, ihm den Arm zu brechen. Er wirkte vollständig harmlos, ist aber regelmäßig aus der geschlossenen getürmt; und dass er auf mich dermaßen harmlos wirkte, lag vielleicht auch an meiner Erfahrung.
Als ich das erste Mal in die Geschlossene kam kam ich mit einem Mann aufs Zimmer, der den ganzen Tag und die ganze Nacht schrie. Er sah aus, als würde er gerade in der Hölle gebraten. Tatsächlich habe ich es zeitweise geschafft, in ruhig zu stellen, indem ich leise und entspannt mit ihm redete, was sich leider kaum einer wagte, da er ständig nackt war. Apropos nackt: Einer dieser Typen, ein uralter Kerl mit weißen langen Haaren, der offensichtlich auch unter Schizophrenie litt, mit dem redete ich gerne über alles, denn obgleich diese Menschen ein wenig durch sind, so scheint doch ihr Gehirn noch einigermaßen zu funktionieren. Wie dem auch sei, als meine Schwestern zu Besuch waren, fing dieser dürre Mann plötzlich an, sich hinter uns auszuziehen, sehr zum Schrecken meiner Schwestern, die damit gar nicht klarkamen. Zu dem Zeitpunkt allerdings fühlte ich mich diesem verwirrten Verrückten sehr viel näher als meinen Schwestern ...
Insofern: Wirklich hoffnungslose Fälle habe ich nie kennengelernt, höchstens welche, die aufgegeben wurden. Eine Art Restverstand hatten die sich alle noch bewahrt, auch wenn sie völligen Unfug glaubten.