"Der Papst hat die EU gegründet" - Wie Türken Europa sehen
von Boris Kalnoky
Istanbul - 63 Prozent der Türken, so die aktuellsten Umfragen, sind für den Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union. Aber was wissen sie wirklich über die EU?
von Boris Kalnoky
Istanbul - 63 Prozent der Türken, so die aktuellsten Umfragen, sind für den Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union. Aber was wissen sie wirklich über die EU?
Jene gebildetere Minderheit, die Bücher liest, gewinnt ihre Eindrücke über die EU nicht zuletzt aus dem türkischen Bestseller "Stahlsturm", ein Roman, der vielen Türken so aus der Seele spricht, daß sogar ranghohe Militärs schon einmal die eine oder andere Fiktion aus diesem Werk als Realität zitierten. Thema: Die EU interveniert militärisch an der Seite Rußlands und rettet so die Türkei in einem Krieg gegen die USA.
Ein führender Islamist, Bahri Zengin von der Saadek-Partei, als deren Vordenker er gilt, sagte kürzlich im Interview mit der WELT, "der Papst hat die EU gegründet", und wenn die Türkei erst Mitglied sei "wird die EU den Islam verbieten". Das mag man ihm eher als Propaganda denn als Unwissen werten, aber wer weiß?
Nichts zu deuteln gibt es bezüglich einer Umfrage unter 4500 türkischen Abiturienten. 35,4 Prozent dieser Elite der jungen Generation kreuzten die USA als EU-Mitglied an, und 25 Prozent den US-Dollar als europäische Währung. Das europäische Parlament wähnten 25 Prozent in Paris, und 62,3 Prozent waren der Meinung, die EU habe nur zwölf Mitglieder.
So wenig man die EU kennt, so sehr möchte man dort leben: 62,8 Prozent der Befragten bejahten die Frage, ob sie in ein Mitgliedsland der EU ziehen und dort arbeiten wollten. Am höchsten war diese Zahl bei den Berufsabiturienten an Fachgymnasien (75 Prozent), am geringsten dagegen bei Absolventen der religiösen Imam-Hatip-Schulen (50 Prozent).
Eine bedenkliche Entwicklung ist das negative Vorurteil gegenüber der EU bei besagten Imam-Hatip-Schülern. 41 Prozent von ihnen nennen die EU eine Welt, in der Moral keine Rolle spielt, und 55 Prozent sind der Meinung, ihre europäischen Altergenossen litten - im Gegensatz zu ihnen selbst - an einem umfassenden moralischen Werteverfall. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der den EU-Beitritt zur Priorität seiner Politik gemacht hat, alles unternimmt, um die Imam-Hatip-Schulen zu stärken (er selbst ging dort zur Schule). Der Mann, der sein Land in die EU führen will, fördert also Institutionen, an denen die EU-Feindlichkeit stärker ausgeprägt ist, als im übrigen Volk.
Artikel erschienen am Fr, 30. September 2005
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Eine Minderheit, die Bücher liest, Abiturienten, die nicht einmal die EU-Währung kennen - und Islamisten, die uns Moral beibringen wollen mittels Islam. Wenn so viele kommen werden, wie möchten, dürfte das kein Problem sein.
Unser Bildungsstand wird sich drastisch verbessern und endlich wird man uns auch beibringen was unter "Ehre" zu verstehen ist.