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Thema: Paradoxon Strategie: der Luftkrieg (1)

  1. #1
    Skandonordid/w Dalofaelid Benutzerbild von Nibelung
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    Standard Paradoxon Strategie: der Luftkrieg (1)

    Das Bombardement Deutschlands durch die Briten wurde provoziert durch die anfänglichen Erfolge der dt. Truppen im Mai 1940. Dt. erntete die ersten paradoxen Früchte seiner schnellen Erfolge, die den Kulminationspunkt noch nicht erreicht hatten, in Form von Luftangriffen. Ab Juni 1940 konnte England nur noch Krieg aus der Luft führen. Die dt. Luftabwehr brachte aber den Bomberverbänden verheerende Verluste bei. Daher musste das Bomber Command nachts fliegen lassen, was zunächst nur Großstädte als Ziele auszuwählen erlaubte.
    Der paradoxe Lohn, den die Dt. für den Sieg ihrer Armee und die Effektivität ihrer Jagdflugzeuge und Flak bei Tage erhielten, war die beginnende Zerstörung ihrer Städte.

    Die ansteigende Kurve britischer Erfolge in der längsten aller Schlachten des 2. WK. setzte am Tiefpunkt nationalen Scheiterns an. Die Royal Navy hatte sich bis Scapa Flow verkrochen, Armee geschlagen, RAF sogar froh über die versehentliche Bombardierung Londons am 24. August.
    In der folgenden Nacht wurde somit Berlin bombardiert.

    Da die Dt. zunächst kaum effektiv reagierten und ein Kulminationspunkt weiterhin nicht in Sicht war, legte Charles Portal (Stabschef der RAF) einen Plan zum direkten Sieg allein durch Bombardierung vor.
    43 ausgewählte dt. Städte mit mehr als 15 Mio. Menschen sollten mit 6 aufeinanderfolgenden Luftschlägen vernichtet werden.
    4000 Flugzeuge sollten dies innerhalb von 6 Monaten bewirken.
    Der Zerstörungsgrad wurde nach dem "Aktivitätsindex" festgelegt, den man aufgrund der Statistiken dt. Angriffe auf England festgelegt hatte.
    Nach jedem Bombenangriff wurde die Industrieproduktion durch Unterbrechungen in der Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung zurückgeworfen.
    Arbeiter blieben aus Angst, Müdigkeit Hunger oder durch die Unterbrechung des öffentlichen Nahverkehrs den Fabriken fern. Eine bestimmte Menge an Bomben pro Bevölkerungseinheit sollte den Aktivitätsindex um einen bestimmten Prozentsatz herunterdrücken (in Coventry fiel er z.B. auf 63 %).
    Folge: Erholung, nächster Angriff, Erholung startet von niedrigerem Level usw. bis Index bei 0 angelangt ist.
    Eine Tonne Bombenladung auf 800 Einwohner, Toleranzspielraum für Ausfälle und Störfeuer wurde großzügig berechnet (man plante nur mit 25 % Treffern).
    Jedes Geschwader (16 Flugzeuge) 100 Starts pro Monat, 3 Tonnen pro Flugzeug. 250 Geschwader für 6 Monate = 4.000 Bomber.

    Als klassischer Fall linear-logischen Denkens ging der Plan implizit davon aus, daß die Dt. weder ihre bescheidenen Anstrengungen in der Flugabwehr verstärken noch die Kriegsindustrie verlagern und verteilen würden, obwohl sie systematisch zerstört werden sollte.

    Diese Strategie war aus der Verzweiflung geboren. Churchill's Ablehnung des von Hitler angebotenen Friedens 1940 führte zu 93.000 zivilen Opfern Englands. Russland stand kurz vor dem Fall und England drohte zu folgen.
    Das Bomberkommando erreichte so auch nie die angepeilten 4.000 Maschinen (auf dem Höhepunkt April 1945 gab es 1609 Bomber).


    Die Flaschenhals-Strategie:

    Die Bombardierung ab 1943 sah als Ziel nur einen einzigen Industrie-Sektor vor, z.B. Kugellager.
    Die US-B17 Bomber wurden als so stark angesehen, daß sie selbst ohne Begleitung bei Tage die Missionen durchführen könnten.
    Am 14. Oktober 1943 wurden denn auch die Schweinfurter Kugellagerfabriken angegriffen. Trotz der elf Maschinengewehre der fliegenden Festungen wurden 60 von 376 US-Bomber abgeschossen, 77 von 291 beim zweiten.
    Arthur Harris schlug witzelnd vor, man solle doch auch alle Schnürsenkelfabriken bombardieren und die Dt. würden kapitulieren, weil sie ständig ihre Stiefel verlieren.
    Die angerichteten Schäden waren zwar beträchtlich, doch die Lagerbestände waren ausreichend groß, um die Schäden unwirksam zu machen.

    Die Antwort der Dt. war die Dezentralisierung und Substitution. Langfristig strukturierte man die Wirtschaft zur totalen Kriegswirtschaft um.
    Das konnten die Alliierten 1942 unmöglich wissen, da sie diesen Zustand bereits seit 1939 zu haben glaubten. Es schien einfach nicht möglich, daß bis Mitte 1943 die meisten dt. Frauen zu Hause blieben und es noch über eine Million häuslicher Dienstboten gab. Erst nach Stalingrad wurde das allmählich geändert.

    Den zunehmenden Bombenabwürfen über Dt. im Jahre 1944 stand daher ein stetig wachsender Umfang der dt. Rüstunsproduktion entgegen.
    Und das nicht zufällig: in gewisser Weise trugen die Luftangriffe selbst zur wachsenden Rüstungsproduktion bei, indem sie das soziale Gefüge der ruhigen Friedenstage zerstörten. Restaurants wurden ausgebombt und sehr viel effizientere Kantinen zur einzigen Alternative. Häuser zerstört und Bewohner evakuiert, womit auch die Dienstboten in die Rüstungsproduktion gehen mußten.

    Es ist der klassische Fall einer scheinbar entscheidenden, systematisch zum Ziel führenden "linearen" Aktion, die aber durch das Wesen der Strategie nicht nur behindert, sondern teilweise kontraproduktiv wurde.


    --------------------

    Quelle: Edward Luttwak "Strategy"

  2. #2

    Standard AW: Paradoxon Strategie: der Luftkrieg (1)

    Sehr interessanter Beitrag.

  3. #3
    Skandonordid/w Dalofaelid Benutzerbild von Nibelung
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    Standard AW: Paradoxon Strategie: der Luftkrieg (1)

    Zitat Zitat von Bodenplatte
    Sehr interessanter Beitrag.
    Wird demnächst erweitert in Bezug auf Aktion und Reaktion, bzw. der Kurzlebigkeit von Innovationen.

  4. #4
    GESPERRT
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    Standard AW: Paradoxon Strategie: der Luftkrieg (1)

    Zitat Zitat von Nibelung
    Es ist der klassische Fall einer scheinbar entscheidenden, systematisch zum Ziel führenden "linearen" Aktion, die aber durch das Wesen der Strategie nicht nur behindert, sondern teilweise kontraproduktiv wurde.
    Quelle: Edward Luttwak "Strategy"
    Eine weitere Folge war die zunehmende Verlagerung der Produktion in den Osten und der Einsatz von Deportierten.

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