Wer glaubt, dass Überfremdungsängste ein Privileg der Rechten seien, ist lange nicht mehr vor die Tür getreten. Was dem Rechten der Muslim, ist dem Linken der Schwabe. Der Eindringling aus dem Südwesten der Republik steht für alles, was man in den aufgeklärten Kreisen für fremd und damit gefährlich hält. Glaubt man den Schwaben-Kritikern, dann hat sich zwischen Kollwitzplatz und Friedrichshain eine Parallelgesellschaft entwickelt, die auch in der zweiten Generation noch alle Zeichen der Integrationsunwilligkeit trägt: mangelnde Hochdeutschkenntnisse, überdurchschnittlicher Kinderreichtum und das Beharren auf merkwürdigen Traditionen wie der wöchentlichen Reinigung des Treppenhauses.
Die Pointe dabei ist: Die meisten, die jetzt so gerne über die Schwaben herziehen, sind selber Neu-Berliner. Man muss lange suchen, um im Prenzlauer Berg auf jemanden wie Thierse zu stoßen, der dort schon lebte, als man im Westen in den linken Zirkeln noch der DDR die Daumen drückte. Die eifrigsten Schwabenhasser von heute sind oftmals nur die Schwaben von gestern. Daran ändert auch die Behauptung nichts, dass es bei den Protesten darum gehe, der weiteren Gentrifizierung Einhalt zu gebieten.
Gentrifizierungskritik war schon immer das Steckenpferd von Leuten, die nach zehn Semestern Dies-und-das-Studium feststellen, dass der Bedarf an Kommunikationswissenschaftlern oder diplomierten Kulturwirten in der freien Arbeitswelt eher begrenzt ist. Nun fürchten sie zu Recht, den Anschluss zu verlieren. Für den Alltag reicht die Mischfinanzierung aus Gelegenheits-Hartz-IV, Übergangsprojekten und väterlichem Unterstützungsscheck noch - für die Vier-Zimmer-Wohnung an der Zionskirche irgendwann nicht mehr, wenn die Mietentwicklung so weitergeht.