Die Juche-Ideologie: Versuch einer Erläuterung
Der User Fars hatte mich im Rahmen der Diskussion zum Thema “Wie hoch ist der Lebensstandard in Nordkorea?“ darum gebeten, die Juche-Ideologie zu erläutern. Da ich die Meinung vertrete, dass die Auseinandersetzung mit der Juche-Ideologie ein neues Diskussionsfeld eröffnet, habe ich mir erlaubt, dafür ein neues Thema zu schaffen.
Ich hoffe, dass mein Versuch der Erläuterung der Juche-Ideologie einen Beitrag dazu leisten kann, die Entwicklungen und aktuellen Ereignisse in der Demokratischen Volksrepublik Korea und die Ursachen für die schwere ökonomische Krise in diesem Land ein wenig besser zu verstehen.
Definition
Die Juche-Ideologie [sprich: Dschutsche, korean.: 주체 사상, chin./japan.: 主体思想] , auch bekannt als Kimilsungismus, ist die offizielle Staatsideologie der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea). Der koreanische Begriff Juche bedeutet Subjekt, genauer gesagt, das denkende, fühlende und wollende Ich [1], gedacht als dasjenige, das denkend und handelnd die Welt meistert, wie es Kim Jong-Il (sprich: Kim Dschong-Il) des öfteren zu erklären pflegt. Oder um es in der englischen Übersetzung eines Zitats ihres Schöpfers Kim Il-Sung auszudrücken:
“In a nutshell, the idea of Juche means that the masters of the revolution and the work of construction are the masses of the people and that they are also the motive force of the revolution and the work of construction.“ [2]
Mensch und Gesellschaft gelten demgemäss als den objektiven Bedingungen der Umwelt durch die Kraft ihres Willens und der Ideologie als überlegen. Daran geknüpft wird meist der Begriff Chajusong (sprich: Tschadschusong), die reichlich mystisch gehaltene Formel von der souveränen Selbstbestimmung des Subjekts. Der Mensch ist Herr über alles, ist Herr der Welt und sein eigenes Schicksal und entscheidet daher alles. Der Mensch kennt keine Grenzen, alle Schwierigkeiten, mit denen er konfrontiert wird, sind Menschenwerk und können daher bezwungen werden.
Entstehungsgeschichte
Wie alle bemerkenswerten Phänomene der heutigen DVR Korea wird auch die Entstehung der Juche-Ideologie in die zwanziger Jahre datiert. Im Konflikt zwischen Nationalisten, Linksradikalen und den Anhängern der Komintern habe der Führer Kim Il-Sung (1912-1994) als Jüngling einen eigenständigen revolutionären Weg für die koreanische Halbinsel konzipiert. Die Frühschriften von Kim Il-Sung bestätigen scheinbar diesen Anspruch, doch werden sie erst seit Ende der sechziger Jahre publiziert. Vorher wurde nicht von ihnen gesprochen. Tatsächlich ist die erste Verwendung des Begriffs Juche erst 1955 nachweisbar. Als sich der Konflikt zwischen der Fraktion von Kim Il-Sung und den wirtschaftspolitisch bevormundeten Tendenzen der sowjetischen Schutzmacht abzeichnete, hielt Kim Il-Sung seine berühmte Ansprache “Über die Beseitigung des Dogmatismus und des Formalismus sowie die Durchsetzung des Juche in der ideologischen Arbeit“. Zunächst war damit noch keine völlige Absage an den proletarischen Internationalismus beabsichtigt. Doch von nun an stellte Kim Il-Sung ständig öffentlich die Frage: “Was ist gut für uns, was entspricht unseren speziellen koreanischen Gegebenheiten?“ Die heftigen Fraktionskämpfe innerhalb der Partei wurden von der siegreichen Gruppe um Kim Il-Sung im Namen des Patriotismus geführt. Die Gegner des Führers Kim Il-Sung, die sich am sozialistischen Lager orientieren wollte, wurden seit damals als “Kriecher“ und “Knechte der Fremden“ denunziert.
Erst mit dem endgültigen Sieg von Kim Il-Sung über seine Gegner begann der Ausbau der Juche-Ideologie zu einer “vollständigen“ Weltanschauung, ein Projekt, das eng mit den Nachfolgeambitionen von Kim Jong-Il verbunden ist.
Charakteristika
Die vier Hauptsäulen der Juche-Ideologie sind Juche in der Ideologie, Souveränität in der Politik, Selbständigkeit in der Wirtschaft und Selbstverteidigung zum Schutze des Landes. Hierzu einige Zitate von Kim Jong-Il:
“Juche in der Ideologie bedeutet geradezu die Befreiung der Menschen von den überholten Ideen und die ideologische Revolution zur Herausbildung einer neuen, der Juche-Weltanschauung. Das erfordert, alle dieser Weltanschauung wesensfremden überkommenen Ideen zurückzuweisen und insbesondere dem Kriechertum den Garaus zu machen. Das Kriechertum bedeutet Untertanengeist, der sich in der Verherrlichung und Anbetung grosser und entwickelter Länder äussert, ist der Nihilismus, der sich darin äussert, das eigene Land, die eigene Nation zu unterschätzen und sie herabzuwürdigen. Wer mit Kriechertum behaftet ist, himmelt andere an und gehorcht ihnen, auch den Revisionisten und Dogmatikern“ [3]
“Das politische Chajusong ist, wie Genosse Kim Il-Sung sagte, das entscheidende Kriterium eines souveränen und unabhängigen Staates und der Lebensnerv. Jede Nation vermag erst dann ihre Unabhängigkeit und Freiheit zu gewährleisten, ihr Wohl und Gedeihen zu sichern, wenn die das politische Chajusong bewahrt.“ [4]
“Die Wirtschaft ist die materielle Basis des gesellschaftlichen Lebens. Eine selbständige Wirtschaft ist eine Gewähr dafür, die Unabhängigkeit eines Landes zu konsolidieren, ein souveränes Leben zu gestalten, das Juche in der Ideologie , die Souveränität in der Politik und die Selbstverteidigung zuverlässig zu sichern und dem Volke ein wohlhabendes materielles und kulturelles Leben zuteil werden zu lassen. […] Der Aufbau einer selbständigen Nationalwirtschaft erfordert die Befolgung des Prinzips, aus eigener Kraft zu schaffen.“ [5]
“Die Schaffung eines das ganze Volk und den ganzen Staat umfassenden Verteidigungssystems erfordert ausserdem, das ganze Volk zu bewaffnen und das ganze Land in eine Festung zu verwandeln.“ [6]
Diese Zitate von Kim Jong-Il zu den vier Hauptsäulen der Juche-Ideologie mit ihrer besonders starken Betonung des Nationalen und der Forderung nach der Militarisierung der Gesellschaft verdeutlichen auch, weshalb es in der BRD gerade innerhalb der NPD (sic!) wachsende Sympathien für das politische System in der DVR Korea gibt. Das wird umso verständlicher, wenn man sich das folgende Zitat von Kim Jong-Il mal zu Gemüte gibt, das ausgerechnet auf jener vom User Genosse Ulbricht so oft und gerne zitierten Internetpräsenz [Links nur für registrierte Nutzer] zur Verfügung gestellt wird. Ich kann es mir nicht verkneifen, aber Juche ist die beste Waffe gegen Juche!
“Da der sozialpolitische Organismus die Mitwirkung zahlreicher Menschen voraussetzt, ist ein Zentrum notwendig, das die Lebenstätigkeit der gesellschaftlichen Gemeinschaft einheitlich führt. Das Zentrum für das Leben des einzelnen Menschen ist das Gehirn. Ebenso ist das Zentrum für die Existenz der sozialpolitischen Gemeinschaft der Führer als das Gehirn des Kollektivs. Das rührt daher, dass er von zentraler Position aus die Tätigkeit dieses Organismus einheitlich lenkt. Der Führer ist das Zentrum, das die souveränen Ansprüche und Interessen der Volksmassen analysiert, zusammenfasst und zu einem Ganzen vereint. Gleichzeitig ist er der Mittelpunkt, der die schöpferischen Aktivitäten der Volksmassen zu deren Verwirklichung einheitlich führt.“ [7]
Der “Führer“ – kaum ein Teil dieses Zitats löst bei uns in Deutschland derartiges Befremden aus. Unangenehme Assoziationen an die Vergangenheit der eigenen Heimat tauchen auf. Wer seine Kritik mit einer sachlichen Haltung formulieren will, zieht sich auf das Wort vom “Personenkult“ zurück. Doch das kann nicht über den totalitären Charakter der Juche-Ideologie hinwegtäuschen, deren stalinistischer Ursprung direkt erkennbar ist. Daneben existieren auffällige Anlehnungen an den Maoismus. Das gilt vor allem für die Wertschätzung von Kampagnen und grossen Sprüngen in der Wirtschaftsentwicklung, wie z.B. die Chollima-Bewegung (sprich: Tschollima) in den sechziger Jahren. Hierbei handelt es sich sozusagen um das nordkoreanische Pendant zum “Grossen Sprung nach vorne“ in der Volksrepublik China (Anm.: Chollima, ist ein Pferd aus der koreanischen Mythologie, das 400 Meilen an einem Tag zurücklegen kann). Aus der Sphäre Maos stammen auch viele Züge der nordkoreanischen Kultur- und Ideologiepolitik.
Persönliche Anmerkungen
Die Juche-Ideologie ist, wie nun jedermann unschwer einsehen kann, eine totalitäre Ideologie, in welcher ein Führer als Gehirn, und die ihm treu ergebene Partei als Nervenbahnen eines von den Volksmassen gebildeten Organismus fungieren, indem das Individuum aufgeht. Mir ist vollkommen schleierhaft, wieso es immer noch Menschen wie den Genossen Ulbricht gibt, die eine solche Weltanschauung hochleben lassen, die eindeutig faschistoide, teilweise sogar religiöse Charakterzüge trägt.
Der 1994 verstorbene Begründer der Juche-Ideologie, der “Grosse Führer“ Kim Il-Sung, der, einzigartig in der Welt, obwohl tot, noch immer Präsident der DVR Korea ist und zwar bis in alle Ewigkeit (offizielle Bezeichnung: Ewiger Präsident), wird wie ein Gott verehrt. Seinem Sohn dem “Geliebten Führer“ Kim Jong-Il, der seine Nachfolge antrat, wird nicht wesentlich weniger gehuldigt. Gemeinsam mit der Juche-Ideologie bilden die beiden Kims die nordkoreanische Dreifaltigkeit: Den Vater (Kim Il-Sung), den Sohn (Kim Jong-Il) und den heiligen Geist (Juche-Ideologie). Amen!
Zudem muss man sagen, dass es sich bei der Juche-Ideologie, gemessen an der Praxis des nordkoreanischen Daseins um eine sprüchemacherische Falschmünze handelt. Von einem wohlhabenden materiellen und kulturellen Leben kann angesichts der seit Jahren andauernden Wirtschaftskrise und der damit einhergehenden Nahrungsmittelknappheit nicht die Rede sein, auch wenn der Genosse Ulbricht & Co. nach wie vor felsenfest davon überzeugt sind, dass solche Behauptungen nichts als imperialistische Lügenmärchen sind.
Darüber hinaus werden geschichtliche Ereignisse in P’yŏngyang nachträglich so verdreht, dass sie mit der Juche-Ideologie konform gehen. Augenscheinlichstes Beispiel dafür ist der Umstand, dass die militärische Unterstützung durch die Volksrepublik China, welche Nordkorea im Korea-Krieg ab dem 25. November 1950 zuteil wurde und das Land vor der sich abzeichnenden totalen Niederlage bewahrte, mit keinem Wort erwähnt wird. Stattdessen wird versucht, den Eindruck zu erwecken, die Koreanische Volksarmee hätte den Korea-Krieg völlig eigenständig und ohne fremde Hilfe ausgefochten, ja sogar gewonnen. Eine Schande, wenn man bedenkt, dass ca. 90.000 chinesische Volksarmisten ihr Leben liessen um das sozialistische Bruderland zu verteidigen.
So, genug getextet für heute! Ich bin schon sehr gespannt, wie die weitere Diskussion zum Thema Juche-Ideologie verlaufen wird, obwohl ich mir keine falschen Hoffnungen mache, dass sich unverbesserliche, ideologisch verblendete Menschen vom Schlage des Genossen Ulbricht dadurch eines Besseren belehren lassen.
Mit tonnenideologischen Grüssen
Quellen
[1] Essence Deutsch-Koreanisches Wörterbuch, Sŏul, S. 1613
[2] Korean Review, P’yŏngyang 1982, S. 152
[3] Kim Jong-Il, Über die Juche-Ideologie, P’yŏngyang 1982, S. 45
[4] Kim Jong-Il, Über die Juche-Ideologie, P’yŏngyang 1982, S. 46
[5] Kim Jong-Il, Über die Juche-Ideologie, P’yŏngyang 1982, S. 50-51
[6] Kim Jong-Il, Über die Juche-Ideologie, P’yŏngyang 1982, S. 57-58
[7] [Links nur für registrierte Nutzer]