Der NSU-Komplex Was die Berichterstattung weiterhin erschwert, ist die Komplexität der Materie: Es gibt keine zentrale These. Kleinster gemeinsamer Nenner ist bislang die „Pannen“-serie bei Polizei und Verfassungsschutz, wobei der Begriff Panne keinesfalls die Vorgänge, die Ausmaße eines tiefen oder sogar Staates im Staat aufweisen, treffend umschreibt, sondern verniedlicht. Das Versagen, das Wegschauen, die Kooperationen mit militanten Neonazis werden zu einem Versagen auf individueller Ebene – strukturelle, sehr grundlegende Probleme bei der Arbeit und Ausrichtung von Polizei und Geheimdienste werden so ausgeblendet. Nach der Reform des VS, die die Innenminister nun auf den Weg gebracht haben, und die faktisch eine Stärkung des Geheimdienstes bedeutet, scheint das Thema vorerst vom Tisch.
Viele Journalisten, Zuschauer und Leser dürften angesichts der Komplexität ohnehin längst den Überblick verloren haben, was den Stand in Sachen NSU-Aufarbeitung angeht. Und je näher der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte rückt, umso mehr scheint die “Nazi-Braut” (BILD) in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Eine personalisierte Berichterstattung ist einfach leichter zu vermitteln. Doch die Nachteile liegen auf der Hand: Geschichten über Zschäpe, die in der Zelle angeblich friert oder die auf einem BKA-Video ein paar Schritte vor und zurückgeht, bringen keinen Erkenntnisgewinn über den Skandal hinter dem Gesicht des Rechtsterrorismus’. Die BILD-Zeitung zitierte jüngst aus einem BKA-Papier, das aus dem Sommer 2012 stammt. Darin sind viele Details aufgeführt, die helfen können, sich ein Gesamtbild von Zschäpe zusammenzusetzen. Aber einzelne Informationen, wie beispielsweise, dass Zschäpe in Haft viel Videotext gelesen habe, haben kaum Relevanz oder einen Nachrichtenwert.
Umso wichtiger ist es, dass möglichst viele Journalisten weiterhin an dem NSU „dranbleiben“. Dafür brauchen sie aber Redaktionen, die Geld, Zeit und Raum für das Thema einsetzen. Was noch fehlt: eine große mediale, öffentliche Debatte über Alltagsrassismus. Diese blieb bislang aus – und ist auch nicht (mehr) in Sicht.