Entweder waren die geladenen Männer damals gar nicht dabei oder können sich an fast nichts erinnern. Oder beides. Oder sie berufen sich darauf, dass ihnen ein Aussageverweigerungsrecht zustehe.
So verhält es sich auch bei Enrico T. Vor gut 20 Jahren soll er zusammen mit Uwe Böhnhardt Autos in Jena gestohlen haben. Mehrfach wurde gegen ihn ermittelt, mehrere Jahre saß er im Gefängnis.
Zwischendurch soll er eine Pistole der Marke Ceska, mit der laut Anklage später neun der zehn NSU-Morde begangen wurden, nach Jena vermittelt haben.
Der Zeuge ist also wichtig, es geht, wenn man der Generalbundesanwaltschaft glaubt, um den Weg der Mordwaffe zu den Mördern. Die Karlsruher Behörde behauptet, dass ein Schweizer Zwischenhändler die Waffe nebst Schalldämpfer an Enrico T. verkaufte, der sie seinem Freund Jürgen L. gab, der sie wiederum an Andreas S. im Jenaer Szeneladen "Madley" weiterreichte. Dort, so hat es zumindest Carsten S. vor Gericht ausgesagt, kaufte er die Waffe in Abstimmung mit seinem Mitangeklagten Ralf Wohlleben und brachte sie nach Chemnitz zu Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.
Doch alle anderen womöglich Beteiligten dementierten diesen Ablauf bei ihren polizeilichen Vernehmungen oder schweigen ganz. Sie könnten ja, wenn auch nur sehr theoretisch, wie Carsten S. und
Wohlleben der Beihilfe zu Mord bezichtigt werden und pochen deshalb auf ein Zeugnisverweigerungsrecht.
Doch steht dieses Recht Enrico T. wirklich zu? Könnte er sich wirklich selbst belasten? Darüber streitet am Dienstagmorgen der Vorsitzende Richter mit der Verteidigung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe und
Wohlleben, die darauf drängt, dem Zeugen einen Anwalt als rechtlichen Beistand zuzuordnen. Das juristische Gefecht, in das sich auch Nebenklagevertreter und Ankläger einmischten, währt mehr als eine Stunde.
Enrico T. selbst schaut all dem, sofern er nicht aus dem Saal gebeten wird, ruhig zu und sagt nur, dass er sich selbst gar nicht als Zeuge, sondern als Beschuldigter sehe. Polizisten hätten bei der Durchsuchung seiner Wohnung die Eingangstür eingetreten sowie sein Handy, sein Navigationsgerät und seine Kontobewegungen durchforstet. Kurzum: "Ich möchte gar nichts dazu sagen."
Götzl versichert dem Zeugen, dass gegen ihn nach Wissen des Gerichts nicht ermittelt werde und versucht noch ein-, zweimal mit der Befragung zu beginnen. Doch dies wird immer wieder von den Verteidigern vereitelt.
Jetzt reicht es dem Richter. Mit hochrotem Kopf ruft er: "Es ist nicht gut, wenn hier der Eindruck entsteht, dass versucht wird, den Zeugen zu beeinflussen." Der Nebenklagevertreter Thomas Bliwier formuliert es deutlicher: Die Wortmeldungen der Verteidiger, sagt er, dienten "allein dem Ziel, den Zeugen zu verunsichern".
Dennoch, nach einer Unterbrechung lenkt das Gericht ein. Zu groß ist wohl die Gefahr, dass die Verteidigung aus einem möglichen Formfehler einen Revisionsgrund konstruieren könnte. Also fragt Götzl den Lokführer T., ob er einen Anwalt kenne. Ja, sagt dieser nach einigem Hin und Her, er habe da eine Visitenkarte von einer Kanzlei . . . Der Rechtsanwalt, so stellt sich schnell heraus, vertritt des Öfteren Neonazis. Die Visitenkarte, so räumt T. ein, habe ihm sein Kamerad Jürgen L. zugesteckt.
Und so muss der Zeuge T., der nichts sagen will, Ende April wieder vor Gericht in Münchenerscheinen. Der 100. Verhandlungstag wird da schon längst hinter den Prozessbeteiligten liegen.