Nach einer Schulung im Revier sind sie kurz vor 14 Uhr "direkt, fast zielstrebig auf die Theresienwiese gefahren", so der 31-Jährige. Mehr wisse er nicht. Beate Zschäpe, Hauptangeklagte im Münchner Prozess, verfolgt im braunen Rolli regungslos mit verschränkten Armen die Aussage.
"Wann setzt ihre Erinnerung wieder ein?", will Vorsitzender Richter Manfred Götzl wissen. "Eigentlich gar nicht", erwidert Arnold.
In geheimen Ermittlungsakten der Sonderkommission "Parkplatz" klingt das anders. Demnach wurde der Beamte, nachdem er viereinhalb Wochen im Koma lag, vom 5. Juni 2007 an mehrfach befragt.
Arnold habe "klare und konkrete Erinnerungen an die Situation, die er sich immer wieder vor seinem inneren Auge abrief und beschrieb".
Rückwärts hätten sie neben dem Trafohäuschen geparkt. Ein Mann habe sich von hinten genähert - das habe er im Rückspiegel gesehen - mittleren Alters, bekleidet mit
dunkler Jeans und Kurzarmhemd, dunkle Haare, ohne Bart oder Brille. Kiesewetter habe gesagt: "Da will jemand eine Auskunft." Dann sei auch auf ihrer Seite jemand aufgetaucht:
eine männliche Person mit schwarz-weißer Armbehaarung. Kiesewetter habe kurz mit ihm gesprochen, bevor der Schuss fiel.
Der Beamte erinnerte sich auch daran, wie er aus dem Auto gefallen sei - was er in der dritten Person wahrgenommen habe. Mit der linken Wange sei er auf den Kieselsteinen gelegen, mit der einzigen Sorge, seine Sonnenbrille könnte zerkratzen. Der Hergang passt zur Tatrekonstruktion der Ermittler. Offiziell heißt es vom Innenministerium aber, Arnolds Aussagen seien nicht verwertbar. Vor Gericht werden sie nicht angesprochen.
Dabei wurde der gebürtige Bremer mehrfach an den Tatort gebracht, später unter Hypnose befragt. Mit seinen Beschreibungen wurden Phantombilder gefertigt, bei denen Arnold sich sicher war. Auch mit Angaben von Zeugen, deren Aussagen teilweise detailliert sind, wurden Phantombilder erstellt - sie zeigen 13 männliche und eine weibliche Person - keines ähnelt Mundlos oder Böhnhardt. Obwohl von der Soko empfohlen, wurden diese auf Anordnung der Staatsanwaltschaft nie veröffentlicht.
Jetzt, vor dem Oberlandesgericht, erklärt Arnold, er habe eine zehnminütige Lücke, die keiner füllen könne. Die Bilder, die ihm ständig durch den Kopf gingen, habe er durch Erzählungen und Medienberichte aufgefangen.
Der Tathergang bleibt in München am ersten von drei angesetzten Heilbronn-Tagen unklar. Mehrere Beamte beschreiben nur die Auffindesituation der Kollegen am Tatort. Polizistin Kerstin Kind berichtet etwa, dass sie bei Kiesewetter nur noch den Tot hätten feststellen können. Joachim Thomas hatte bei Arnold den Puls gefühlt. "In dem Moment hat er die Augen aufgemacht und mich angeschaut."
Arnold wurde damals in die Klinik geflogen. Heute lebt er mit einer 70-prozentigen Behinderung. "Gehirn 30 Prozent. Traumata, Gehörverlust und der fehlende Gleichgewichtssinn machen den Rest." Das Projektil sei in seinem Kopf in drei Teile zersprungen, eins steckt noch tief im Gewebe. Das Teil zu entfernen, sei den Ärzten zu heikel. Physisch und psychisch habe er seither schwer zu kämpfen. "Mir hats das Herz zerrissen." Der Beruf Polizist sei dadurch nicht mehr sein Lebenstraum. Arnold hat mittlerweile studiert und ist im gehobenen Innendienst aktiv.
Unzufrieden ist der 31-Jährige mit dem Ergebnis der Ermittlungen, die bis heute ins Leere geführt hätten. "Das Motiv fehlt. Ich weiß nicht, was Sache ist."
Sein Verteidiger Walter Martinek erklärt nach der Verhandlung, er habe Zweifel daran, dass es sich bei den Beamten um Zufallsopfer handle. Aber genau davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt. Der NSU habe wahllos Repräsentanten des Staates töten wollen.
Die operative Fallanalyse der Polizei geht davon aus, dass die Mörder einen lokalen Bezug zu Heilbronn gehabt haben müssen. Zeugenaussagen lassen zudem auf bis zu sechs Täter schließen. In der Anklageschrift der Staatsanwälte spielt das dennoch keine Rolle.
Der ganze Komplex wirft einen Schatten auf die baden-württembergische Justiz: Aufzeichnungen von Überwachungskameras wurden erst Jahre nach der Tat ausgewertet, mehrere blutige Taschentücher in Tatortnähe nicht untersucht. Das Wohnmobil der mutmaßlichen Terroristen wurde am Tattag bei der Ringfahndung gestoppt, allerdings nicht kontrolliert. Mit kontaminierten Wattestäbchen wurden Spuren aufgenommen - und zwei Jahre lang ein weibliches Phantom gejagt.