Uwe Mundlos kommt seinem Kumpan in der Zwischenzeit auf der gegenüberliegenden Seite mit zwei weiteren Mountainbikes entgegen. Als die beiden in sicherer Entfernung sind, drücken sie auf den Auslöser der Funkfernsteuerung. Eine gewaltige Detonation erschüttert das Viertel, die Straße bebt - 24 Menschen werden zum Teil schwer verletzt, zwei Opfer müssen zeitweise in künstliches Koma versetzt werden. Kaum ein Schaufenster bleibt nach der Explosion gegen 16 Uhr intakt, überall liegen Scherben, weinende und blutende Menschen irren ziellos umher.
„Plötzlich habe ich geguckt, dann habe ich festgestellt, dass die Leute rechts, links laufen, schrien und auch natürlich ein Rauch und Staub. Die Leute waren verletzt, die Verletzten auf die Straße gelaufen ..." So erinnert sich im „Deutschlandradio"
Ali Demir, heute über 60 Jahre alt und seit drei Jahrzehnten in der Keupstraße zu Hause, an jenen verhängnisvollen Junitag 2004. Der Tag, an dem die Neonazi-Bombe den Friseursalon in der hauptsächlich von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund bewohnten Köln-Mülheimer Straße verwüstet.
Eine besonders genaue Täterbeschreibung gab ein Kunde eines Zweirad-Geschäfts den Ermittlern zu Protokoll. Der Mann verließ, kurz nachdem er die Explosionsgeräusche aus der Keupstraße hörte, seinen Laden - und wäre nach eigenen Angaben beinahe mit einem der Täter zusammengestoßen, der „in einem extrem zügigen Tempo" mit seinem Fahrrad fuhr. Seine Täterbeschreibung passt auf Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt: männliche Person, vermutlich Deutscher, zirka 75 bis 8o Kilo, trainiertes und hageres Äußeres, kurze 3 bis 6 cm lange Haare und Brillenträger.
Auch die Ermittler der ins Leben gerufenen BAO Bosporus werden auf die Tat in Köln aufmerksam. Deutlich sind die Indizien, die für eine Verbindung zwischen der Bombe und den bisherigen Serienmorden sprechen. Wieder trifft es türkische Bürger, und wieder werden Fahrradfahrer in der Nähe des Tatortes gesichtet. Als weiteres Indiz für eine Verbindung betrachten die Ermittler die Wahl des Anschlagsdatums. Fast auf den Tag genau vier Jahre vorher, ebenfalls an einem Mittwoch und ebenfalls am Tag vor Fronleichnam, wurde in Nürnberg Abdurrahim Özüdogru erschossen. Da der in Köln verwendete Zündmechanismus auch Verwendung im Modellbau findet, werden Modellbaugeschäfte und -vereine in Nürnberg aufgesucht und
die Videos der Kamera aus der Domstadt vorgespielt. Ohne Treffer.
Der Verdacht wird gestärkt durch eine Zeugin aus Nürnberg. Sie hatte nach dem Mord an Ismail Yasar auffällige Fahrradfahrer beobachtet - und entdeckte nun auf den nach dem Kölner Anschlag veröffentlichten Fahndungsfotos frappierende Ähnlichkeiten zu den Männern, die sie beobachtet hatte.
Statt mit aller Ermittlungskraft diese Erkenntnisse weiter aufzuhellen setzen die Fahnder in Köln, mal wieder, auf die falsche Spur. Es kommen verdeckte Ermittler zum Einsatz, und die Ermittlungen konzentrieren sich auf einen Fall von organisierter „Ausländer-Kriminalität".
Im Juli erstellen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz ein 47-seitiges Papier mit dem Titel „Rechtsextremismus Nr. 21 - Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtsextremisten - Entwicklungen 1997 bis Mitte 2004", das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist und auf jeder Seite darauf hinweist: „VS - Nur für den Dienstgebrauch". Auf den Seiten 15 bis 16 widmen sich die Geheimdienstler unter der Überschrift „Rohrbombenfunde in Jena" auch dem Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Dabei kommen sie nach einer Auflistung von Straftaten zu dem Ergebnis: „Hinweise dafür, dass mittels der sichergestellten Rohrbomben konkrete tatsächliche Anschläge geplant waren, liegen nicht vor." Im Nachhinein makaber klingt der Satz: „Auch haben sich keine Anhaltspunkte für weitere militante Aktivitäten der Flüchtigen ergeben."