Noch umgibt ein fester Schutzring, den der Polizeiapparat bildet, den angeschlagenen Zeugen A.
Er hielt bisher gegen Journalisten, aber auch gegen die Neugierigen und Faszinierten, die Krimifans und Hobbydetektive, die Hasserfüllten und Verschwörungstheoretiker, die sich in den Blogforen des Internets sammeln und auslassen. Es gehört zu den Eigenheiten des NSU-Mordes Nummer zehn, dass seine unverbundenen Versatzstücke zu beliebigen Bildern zusammengesetzt werden können, und mit etwas Fantasie und Kombinationsgabe wird jedes davon irgendwie stimmig.
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Das Oberlandesgericht München droht diesen Kordon nun einzureißen, indem es Martin A. in den Zeugenstand ruft. Der 31-Jährige dürfte dann auch mit seiner fünf Jahre alten, unter Hypnose gemachten Aussage konfrontiert werden. Den juristischen Wert dieser Erinnerungen hält Bernd von Heintschel-Heinegg, Ermittlungsbeauftrager des NSU-Ausschusses und bis Juli 2010 Vorsitzender Richter des 5. Senats und 6. Strafsenats am Oberlandesgericht München, allerdings für dürftig. „Solche Aussagen sind immer mit Vorsicht zu genießen“, sagt der Rechtsexperte aus Straubing, der sich eingehend mit forensischer Hypnose befasst hat.
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Im Innenministerium Baden-Württemberg sieht man der Vernehmung des Polizisten A. mit Unbehagen entgegen. Die Landespolizeiführung, so ein Sprecher, werde das Gericht ausdrücklich auf die „Traumatisierung“ des 31-Jährigen hinweisen. „Immerhin ist er der einzige Überlebende dieser ganzen Mordserie. Man wird darum bitten, alles zu tun, was möglich ist, um den Zeugen im Hinblick auf sein Persönlichkeitsrecht zu schonen.“ Eine Vernehmung per Videokonferenz oder mit Hilfe eines Sichtschutzes im Gerichtssaal wäre laut Innenministerium ein tragbarer Kompromiss.
Ob der Zeuge A. das auch so sieht, darf bezweifelt werden. Ein Gerichtssaal, in dem sich die Prozessparteien immer wieder in aggressiver Polemik begegnen, ist einer der schlechtesten Orte zur Heilung einer Seele.
Vielleicht kommt der Zeuge ja mit der Bescheinigung davon, dass seine Erinnerungen juristisch unverwertbar sind. Im schlechtesten Fall ist sein Gesicht am nächsten Tag in allen Zeitungen. Aus dem Umfeld des Kommissars A. wird berichtet, ihn quäle die Vorstellung, was wäre, wenn sein Attentäter noch frei herumlaufe.