Innenminister Reinhold Gall (SPD) musste wiederholt einräumen, vor einem Rätsel zu stehen. Nun hat der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags Baden-Württemberg für den 18. April auf die Tagesordnung gesetzt. Dann könnte sich entscheiden, ob auch der Stuttgarter Landtag einen NSU-Ausschuss einsetzt.
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Heilbronn könnte der Schlüssel sein
Warum der Anschlag auf zwei Polizisten? Weil sie Repräsentanten des Staates waren, sagen die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe und der Generalstaatsanwalt von Stuttgart. Das ist eine Aussage mit demonstrativem Charakter, die zahlreiche konkrete Erkenntnisse ignoriert. Michèle Kiesewetter, die 22-jährige Polizeibeamtin, die in Heilbronn getötet wurde, stammt aus Thüringen, aus der Nähe von Saalfeld, einem der Umtriebsorte des Thüringer Heimatschutzes. Ihr Onkel arbeitet als Kriminalpolizist in Saalfeld und war vor Jahren beim Staatsschutz, also einer Behörde, die auch für rechtsextremistische Straftaten zuständig ist. Er hatte Kontakte in die rechtsextreme Szene. Eines der Versäumnisse der Ermittler in Heilbronn war, den privaten E-Mail-Verkehr Kiesewetters nicht zu sichern. Der Account-Betreiber Yahoo hat ihn längst gelöscht.
Kiesewetters Kollege wird abgeschirmt
Zu wenig Berücksichtigung im Aufklärungspuzzle findet bisher Kiesewetters schwer verletzter Kollege Martin A. Er wird abgeschirmt. Es heißt, er könne sich an die Tat nicht erinnern und nichts zur Aufklärung beisteuern. Doch das stimmt nicht. Martin A. wurde bereits sechs Wochen nach dem Anschlag zum ersten Mal polizeilich befragt und war vier Monate nach seinem Kopfschuss bereits wieder im Polizeidienst. Er machte konkrete Angaben. Und die Polizei ließ nach seinen Vorgaben ein Phantombild eines der Täter fertigen, das nie veröffentlicht wurde.
Martin A. und Michèle Kiesewetter gehörten zur polizeilichen Sondereinheit BFE in Böblingen. BFE steht für Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, eine Truppe in schwarzer Montur, die entsprechend martialisch auftritt. So auch beim Schwarzen Donnerstag im Einsatz gegen Stuttgart-21-Gegner im Schlossgarten der Landeshauptstadt Ende September 2010. Bei Demonstrationen hat die Einheit häufig den Auftrag, mögliche Straftäter zu greifen. Eine Art Elitetruppe, deren Mitglied Kiesewetter auch als NoeB, als "Nicht offen ermittelnde Beamtin", eingesetzt wurde. Und dass Martin A.s Stiefvater Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz war – Zufall?
Die Heilbronn-Ermittler sagen, Kiesewetter und ihr Kollege wurden erschossen beziehungsweise verletzt, als sie auf der Theresienwiese in Heilbronn Mittagspause machten.
Die Bewegungsdaten der beiden Beamten an jenem Tag sagen möglicherweise anderes. Danach machten sie bereits um 11:30 Uhr an dem Trafohaus auf dem Festplatz eine Pause. Anschließend fuhren sie zu einer Schulung ins Polizeipräsidium. Um 13:45 Uhr machten sie sich von dort wieder auf den Weg mit direktem Ziel Theresienwiese, wo sie etwa um 13:55 Uhr eintrafen. Kurz danach wurden sie angegriffen. Waren sie vielleicht sogar mit den Tätern verabredet?
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Phantombilder der Ermittlungsakten
Kontext konnte mehrere Phantombilder aus den Ermittlungsakten einsehen.
Das Bild, das nach Angaben von Martin A. von dem Mann erstellt worden war, der sich den beiden Polizisten auf seiner Wagenseite näherte, zeigt weder Mundlos noch Böhnhardt. Auch die anderen Phantombilder, die die Polizei aus Zeugenaussagen erstellen ließ, ähneln den beiden Männern nicht.
Der ehemalige Leiter der Sonderkommission, Axel Mögelin, sprach vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags davon, dass bei Bewertung aller glaubwürdigen Zeugenaussagen von vier bis sechs Tätern in Heilbronn ausgegangen werden könnte.
Auf dem Polizeiauto waren mehrere unidentifizierte DNA-Spuren sichergestellt worden.
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