Auszug:

Zu Hause geblieben und fremd geworden

17.08.2011

Sie sind in Wedding geboren worden, aufgewachsen, nie weggegangen, seit drei Generationen. Das hat die Seiferts einsam gemacht. Wie es ist, sich als letzte Deutsche in der eigenen Welt fremd vorzukommen.


Tiefergelegtes röhrt um die Ecke, Bässe hämmern aus Fenstern und Schiebedächern, Hupen dröhnen, weil es wieder nicht schnell genug geht. Weil sich alles staut in der Badstraße in Berlin-Wedding. Autos parken in zweiter Reihe, Gemüsehändler schleppen Wassermelonen aus Lieferwagen, „Halal“- Metzger Lammhälften. Türkische und arabische Wortfetzen fliegen durch die Luft und vermischen sich mit orientalischem Pop aus Internet- und Telecafés.

Etwas weiter westlich, wo die Badstraße in eine andere Straße mündet und sich etwas beruhigt, muss es einmal deutsche Geschäfte gegeben haben. Zwischen dem „Salon Marokko“ und dem „Salon Diyar“ hängt ein Schild: „Bäckerei & Konditorei“.

Die Schrift ist ausgeblichen, der Laden steht leer. Daneben gibt es ein Mietshaus, das auffällt. Es ist ein wenig nach hinten versetzt, und rechts und links vom Eingang steht eine gepflegte Hecke um ein paar Meter Rasen.

Hier wohnen die Seiferts. Unten rechts die Großeltern, viele Treppen hinauf Sandra und Volker Seifert mit ihren Töchtern Josie, 2, und Shari-Lee, 15.

Klackklack, klackklack. Das Sicherheitsschloss schnappt auf. Sandra Seifert öffnet die Tür und führt den Besuch ins Wohnzimmer.

Es ist still hier. Alles hat seinen Platz: der große Flachbildschirm, das Hochzeitsfoto im Regal, die kleine Skulptur mit den stilisierten Händen um einen Säugling. Kein Stäubchen liegt auf dem Glastisch, keine Tasse hat einen Abdruck hinterlassen. Die Schrankwand ist weiß, das Sofa beige. Die Seiferts wollen es hell und ordentlich haben. Denn die 84 Quadratmeter sind weit mehr als eine Wohnung für sie. Sie sind Heimat in einer Welt, die ihnen fremd geworden ist.

„Wir sind Gast im eigenen Land“, sagt Volker Seifert.

Er ist 38 Jahre alt und nur ein paar Straßen entfernt von hier aufgewachsen. Sandra Seifert ist in diesem Haus hier groß geworden, in dem sie immer noch wohnt. Die beiden kennen sich seit der ersten Klasse. Sie hatten damals auch schon ein paar türkische Klassenkameraden, klar. Es gab auch damals schon ein türkisches Obstgeschäft in der Nachbarschaft. „Man ist ja mit denen groß geworden“, sagt Sandra Seifert. „Das ist ja auch nicht das Problem. Das Problem ist, dass es jetzt so viele sind, dass egal, wo man hingeht, alles türkisch und arabisch ist. Da kriegt man schon einen Hals.“

Aus der Bäckerei an der Ecke wurde ein türkischer Möbelladen, aus dem Kiosk der Kuaför Yusuf, aus der Metzgerei der arabische Getränkeshop. Die deutschen Nachbarn sind weggezogen, und in jede Wohnung, die frei wurde, zogen türkisch oder arabisch sprechende Menschen ein. Von den 18 Mietparteien sind noch vier deutsche geblieben.

„Bald sind wir hier ganz alleine“, sagt Sandra Seifert. Sie hat die kurzen schwarzen Haare vorne hochgegelt, das T-Shirt spannt über dem schwangeren Bauch. Am Arm ein Tattoo. Volker Seifert hat kurze blonde Haare und trägt an diesem Sommertag kurze Hosen und T-Shirt. Die Seiferts machen nicht viel Gewese um sich, lange Reden zu halten, ist nicht ihr Ding. Sie haben gezögert, als die Anfrage kam, ob sie eine Journalistin in ihre Wohnung lassen würden. Dann fanden sie es gut, dass mal jemand nachfragt, wie man sich so fühlt als deutsche Minderheit in Deutschland. [..]
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Deutschland schafft sich ab.