Aufstand der Professoren
Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler fordern in einem gemeinsamen Appell mehr Ehrlichkeit von der Politik. Notwendig seien drastische Reformen
von Stefan von Borstel
Nicht weniger als 241 Wirtschaftsprofessoren haben mit Blick auf den bevorstehenden Wahlkampf an die Politik appelliert, den Wählern die Wahrheit über die Strukturkrise in Deutschland zu sagen. "Als Hochschullehrer für Volkswirtschaftslehre warnen wir eindringlich davor, Illusionen zu erzeugen und damit die Akzeptanz notwendiger Reformen zu untergraben", heißt es in einem "Hamburger Appell", der von den drei Hamburger Wirtschaftsprofessoren Thomas Straubhaar, Bernd Lucke und Michael Funke initiiert wurde. Die Professoren beklagen darin einen "erschreckenden Mangel an ökonomischem Sachverstand" in der wirtschaftpolitischen Debatte in Deutschland. "Wir appellieren an das Verantwortungsbewußtsein der gewählten Volksvertreter, der Versuchung einfacher Lösungen zu widerstehen und statt dessen ungeschönte Antworten auf die drängenden ökonomischen Fragestellungen zu geben", heißt es weiter.
Es ist das erste Mal, daß sich der ökonomische Sachverstand im Wahlkampf in dieser Form zu Wort meldet. Ähnliche Aktionen von Wirtschaftsprofessoren hatte es nur bei der Debatte um die einheitliche europäische Währung in den neunziger Jahren gegeben.
Deutschland befinde sich in einer "tiefen strukturellen Krise, die drastische und schmerzhafte Reformen verlangen", konstatieren die Wirtschaftsprofessoren. Doch gerade in Vorwahlkampfzeiten scheine die Bereitschaft der Politiker gering, "diese Tatsache den Bürgern mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen zu führen". Statt dessen erlägen maßgebliche Politiker der Versuchung, wissenschaftlich nicht fundierte Konzepte zu propagieren, "die das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden sollen", kritisieren die Ökonomen mit Blick auf Forderungen aus der SPD, mit höheren Lohnabschlüssen die Binnenkonjunktur anzukurbeln. "Klassenkämpferische Rhetorik tut ein Übriges, um Investitionen zugunsten anderer Standorte zu verdrängen", warnen die Volkswirte.
Die Wirtschaftsprofessoren empfehlen äußerste Lohnzurückhaltung sowie einen strikten Sparkurs mit weitreichenden Einschnitten in allen Bereichen. Davon könnten auch die sozialen Sicherungssysteme nicht ausgenommen bleiben. "Wer Gegenteiliges behauptet, wird den wirtschaftlichen Herausforderungen Deutschlands nicht gerecht und führt in populistischer Weise die Bürger in die Irre." Elf Punkte sollten nach Ansicht der Ökonomen besonders beachtet werden.
Artikel erschienen am Do, 30. Juni 2005
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