EU stürzt in tiefe Doppelkrise
Samstag 18 Juni, 2005 09:54 CET
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Brüssel (Reuters) - Die Europäische Union (EU) ist inmitten ihrer Verfassungskrise auch mit den Verhandlungen über ihre künftige Finanzierung gescheitert und steht damit vor einer Phase der Ungewissheit.
Der britische Premierminister Tony Blair zog wegen seiner unnachgiebigen Haltung kurz vor Beginn seiner EU-Präsidentschaft scharfe Kritik auf sich.
Mit einem verzweifelten Angebot in letzter Minute versuchten die zehn wirtschaftsschwachen neuen EU-Staaten vergeblich, doch noch eine Einigung über die EU-Finanzen 2007 bis 2013 zu retten. Doch Blair lehnte dies mit einigen anderen Ländern entschieden ab. "Das ist eine der schwersten Krisen, die Europa erlebt hat", sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder am Samstagfrüh nach 15-stündigen Verhandlungen in Brüssel. Die Einigung sei gescheitert "an der völlig uneinsichtigen Haltung Großbritanniens und der Niederlande". Der luxemburgische EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker sprach von einer abgrundtiefen Krise. Einige Regierungen hätten sich beharrlich aus grundsätzlichen Gründen einer Einigung verweigert, obwohl ein Sachkompromiss in greifbarer Nähe gewesen sei. "Die neuen Mitgliedstaaten waren zu Opfern bereit. Ich hab mich geschämt."
Großbritannien habe keinerlei Kompromissbereitschaft beim umstrittenen Beitragsrabatt erkennen lassen, sagte Schröder.
Die Regierung Großbritanniens habe argumentiert, dass sie sich mit dem zuletzt angebotenen Rabatt von 5,5 Milliarden Euro jährlich nicht in der Lage sehe, ihren Beitrag zur Finanzierung der Erweiterung zu leisten, sagte der Kanzler. Die Niederlande hätten eine Reduzierung ihrer Zahlungen gefordert, die nicht mehr darzustellen sei.
"Das, was jetzt heraufbeschworen wurde, das schadet uns allen." Die Einigung wäre ein wichtiges Signal für die Handlungsfähigkeit Europas gewesen.
Auch Frankreichs Präsident Jacques Chirac wies den Briten die Verantwortung für das Scheitern zu.
"Ich beklage die Tatsache, dass Großbritannien sich weigerte, einen fairen und angemessenen Teil der Erweiterung zu bezahlen." Einige reichere Länder hätten sich egoistisch verhalten. Er sehe aber immer noch die Möglichkeit für rechtzeitige Einigung, damit die Finanzplanung 2007 in Kraft treten könne.
BLAIR SIEHT SICH NICHT ISOLIERT
Blair betonte, er sei nicht isoliert gewesen. Das Problem sei nicht die Höhe der britischen Ausgaben gewesen, sondern die Struktur der Ausgaben der EU. Das Angebot der neuen EU-Staaten wies er zurück.
"Wir wollen nicht, dass ärmere Länder für uns zahlen." Blair hatte eine Reduzierung der bereits 2002 festgeschriebenen EU-Agrarausgaben verlangt, was Frankeich ablehnte. Entschieden wies der Brite Kritik zurück, sein Land nehme seine Verantwortung für die Erweiterung nicht wahr. Die Prioritäten der Ausgaben müssten neu gesetzt werden. Auch hätte der Kompromissvorschlag sein Land 18 Milliarden Euro gekostet.
JUNCKER TIEF ENTTÄUSCHT
"Meine Europa-Begeisterung hat heute einen tiefen Knacks bekommen", sagte Juncker, der als einer der Gründungsväter der Währungsunion als einer der profiliertesten Europa-Politiker gilt. Zum 1. Juli gibt er den EU-Ratsvorsitz an Blair ab. Der Vorstellung der britischen Ratspräsidentschaft am 23. Juni werde er nicht zuhören, sagte Juncker demonstrativ. Dann sei luxemburgischer Nationalfeiertag.
Der schwedische Regierungchef Göran Persson sah Blair hingegen in der EU gestärkt. Sein spanischer Kollege Jose Luis Rodriguez Zapatero sagte, er halte die jetzige Debatte nicht für schlecht, sondern für bereichernd. Er warf Juncker vor, keine konsensorientierte Verhandlungsatomsphäre geschaffen zu haben.
Schröder sagte, er habe in der Gipfelrunde gesagt, dass die,
"die das jetzt zu verantworten haben, die Verantwortung vor der europäischen Geschichte und vor allem vor den Menschen in Europa, vor allen Dingen vor den jungen Menschen in Europa übernehmen müssen".
Ausdrücklich lobte Juncker Schröder. "Gerhard Schröder hat eine enorme Anstrengung unternommen, um zu einer Einigung zu kommen", sagte er. Schröder hatte sich nach dem Scheitern der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden bereit erklärt, deutlich über seine eigentliche Obergrenze für die EU-Ausgaben hinaus zu gehen. Die Verhandlungen hätten noch länger dauern können, sagte Juncker. Er habe aber erkennen müssen, dass einige Länder grundsätzlich nicht zu einem Kompromiss bereit waren.
Juncker wie auch der Kanzler sprachen von einem Gegensatz der Philosophien über die Aufgaben Europas. Einige wollten eine europäische Freihandelszone, die anderen einen politischen Zusammenschluss.
Die Budgetkrise verschärft die Situation nach dem Scheitern der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden.
Am Donnerstag hatten die Staats- und Regierungschefs der 25 EU-Staaten den Fortgang der Ratifizierung der umstrittenen Verfassung zunächst offen gelassen und sich und den Bürgern eine Denkpause verordnet. Daraufhin kündigten Dänemark, Irland und Portugal an, ihre Referenden zu verschieben. Schweden will die Ratifizierung durch das Parlament ebenfalls später vornehmen als geplant, auch die tschechische Regierung sprach sich für eine Verschiebung aus.
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