Anatolien, so haben die Forschungen der letzten Jahre ergeben, lag nicht am Rande des fruchtbaren Halbmondes, sondern war lange Motor und Zentrum der kulturellen Entwicklung des Menschen. Der Autor schlägt in einer gewagten Überblicksdarstellung den Bogen von der Entstehung der ersten Grossbauten vor fast 12'000 Jahren bis zur Blüte der ionischen Küstenstädte im 6. Jahrhundert.
Michael Zick begeht nicht den Fehler, die Lorbeeren ganzer Forschergenerationen einheimsen zu wollen. Sein Buch will keine bahnbrechende Kulturgeschichte menschlicher Frühgeschichte sein, sondern die Entwicklung im als Türkei definierten Raum übersichtlich darstellen. Über 10'000 Jahre in einem handlichen Buch sinnstiftend zusammenzufassen ist ein übermenschliches Unterfangen und wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt, hätte der Autor nicht tief in die stilistische Trickkiste gegriffen. Seine Krimi-artige Erzählweise und sein Jonglieren mit Expertenmeinungen zeugen von schriftstellerischem Talent, das bisher in archäologische Darstellungen selten Eingang gefunden hat. Der Autor nimmt den Leser mit auf eine Reise, die ihn vom heutigen Istanbul zurückführt in die „Morgenröte der Menschheit“, zu den Anfängen der Kultur im nördlichen Mesopotamien, im Südosten der Türkei.
Zick beansprucht nicht, selber alle Details und Ausgrabungsstätten zu kennen. So treten im Laufe der Reise viele Experten auf, die die Fundstellen und deren Bedeutung diskursiv erläutern und dem Leser den Eindruck geben, selbst als Betrachter am Rande der Grabung zu stehen und sich direkt vom Grabungsleiter einen Überblick geben zu lassen. Überwältigende Landschaftsbilder, Luftaufnahmen von Grabungen, Pläne und Rekonstruktionszeichnungen ergänzen die abwechslungsreichen Besuche vor Ort.
Am Beginn menschlicher Architektur stehen die Kultbauten auf dem Göbekli Tepe. Hier steht ein Kultkomplex des frühen vorkeramischen Neolithikums (PPN A) aus der Zeit um 9600 v. Chr., mit dem die Ansicht, dass Sesshaftigkeit Voraussetzung zu kultureller Leistung sei, widerlegt wird. Die Menschen der späten Jäger- und Sammlerinnenkulturen bauten runde, von verzierten T-Pfeilern gestützte Kulträume von 15-20 Metern Durchmesser. Als diese nicht mehr benötigt wurden, wurden sie absichtlich zugeschüttet und um 7500 v. Chr. endgültig aufgegeben. Der Autor lässt den Entdecker und Ausgräber der Siedlung, Klaus Schmidt des Deutschen Archäologischen Institutes in Berlin, die Forschungsgeschichte und Bedeutung erzählen. Dabei dürfen auch holzschnittartig formulierte Thesen nicht fehlen, wie die Voraussetzungen zum Bau des Kultzentrums, die Schmidt als „Teilzeit-Sesshaftigkeit mit Feierabend-Ackerbau“ verständlich bezeichnet. Es wird denn auch bewusst keine direkte Verbindung zwischen Kultbezirk und Siedlung (Nevalı Çori) des PPNA/B und der ersten stadtartigen Siedlungen von Çatal Höyük des 7./6. Jahrtausends hergestellt. Hier wohnten bis zu 8000 Menschen in gemauerten Häusern, deren Wände innen mit spektakulären Malereien geschmückt waren.
Ob sich bereits während dieser Phasen die neue Lebensweise allgemein durchgesetzt hatte, lässt der Autor offen. Er zitiert Harald Hauptmann, der die neolithische Revolution „ das neolithische Paket“ nennt, das sich aus festen Häusern (Sesshaftigkeit), Ackerbau und Viehzucht (produzierende Wirtschaftsweise) und Kochtopf zusammensetzt. Andreas Müller-Karpe rechnet die Kultivierung der Pflanzen hauptsächlich der Frau an: „Die Frau kannte die Pflanzen und hatte doch den weinenden Säugling am Hals, dem sie schnell eine Suppe kochen musste.“ Die brennende Frage, warum der Mensch nun wirklich sesshaft wurde, beantwortet Zick nicht. Er stellt dazu Theorien zur Ernährung und Gesellschaftsordnung vor. Mit weiterführenden Interpretationen hält er sich zurück; er legt sie entweder direkt den beteiligten Experten in den Mund oder äussert sie mit der dem Archäologen anstehenden Vorsicht. Das Buch bietet keine den archäologischen Funden vorgreifenden Hypothesen und scheut sich auch nicht, offene Fragen unbeantwortet zu lassen. Der Leser spürt, dass trotz der Fülle an Befunden und neuen Informationen die Forschung zur anatolischen Geschichte noch beträchtliche Lücken aufweist. So wird die Entwicklung Anatoliens zwischen der Aufgabe von Çatal Höyük um 5400 v. Chr. und den Anfängen der Bronzezeit um 3000 v. Chr. in wenigen Sätzen abgehandelt und der Graben (das ist schon keine Lücke mehr) mit einem Seitenblick auf die rasche Neolithisierung Europas und den Aufstieg Mesopotamiens umgangen. Als Begründung zieht er die Aussage von Ulf-Dietrich Schoop heran, der für die Kupfersteinzeit in Anatolien zugibt: „wir strampeln noch auf der untersten Ebene der archäologischen Erkenntnis herum“. Nachdem der über 30m hohe Hügel von Norşuntepe mit seiner Siedlung des 4./3. Jahrtausends in den Fluten des Atatürk-Stausees für immer entschwunden ist, kann Anatolien erst wieder für die frühe Bronzezeit einen bedeutenden Fundplatz vorweisen: Alaca Höyük, den bedeutenden Fürstensitz östlich Ankara, der ungefähr zwischen 2500 und 1200 v. v. Chr. besiedelt war und bedeutende Funde lieferte.
Die Bronzezeit stellt Zick unter den Titel „Im Bannkreis der Hethiter“. Für diese Epoche malt der Autor das Bild einer frühen „globalisierten“ Gesellschaft mit weitreichenden politischen und wirtschaftlichen Kontakten. Entfaltung von Schrift- und Stadtkultur prägen das dritte vorchristliche Jahrtausend. Zwischen Euphrat und Tigris lag seit etwa 2700 v. Chr. die planmässig angelegte Stadt Urkisch (heute Tell Mozan in Syrien), später Zentrum des Reiches der eingewanderten indogermanischen Hurriter, Mitanni genannt. Wie ihre südlichen Nachbarn bildeten auch die Hethiter ein Netz von Stadtstaaten, über das sich ab ca. 1800 v. Chr. die Herren der Stadt Hattuscha erhoben. Fast 20'000 Tontafeln in Keilschrift geben Auskunft über den Staat der Hethiter, der im 16.-14. Jahrhundert seine Blütezeit erlebte. Das ausgedehnte Reich der Hethiter, das von den Dardanellen bis zum Golan reichte, wurde ab ca. 1500 v. Chr. aus dem Westen bedroht. „Ahhijawa“ taucht in den hethitischen Tafeln als neue Macht jenseits des Meeres auf – Achäer nennt Homer seine Griechen, die mit den Hethitern um die kleinasiatischen Küstenstädte rangen. Den Kriegern aus Ahhijawa musste bereits die erste asiatische Stadt, als unendlich reich erscheinen.
Die Eroberung und Zerstörung der im Schutze mächtiger Mauern gelegenen Residenz Wilusija (Troja) bildet den mythisch überhöhten Stoff zur Ilias Homers. Als Sprungbrett der Ahhijawa nach Osten diente die Stadt Millawanda (Milet). Die Theorie, dass die „Seevölker“ die ganze Region erschüttert hätten, ist heute allerdings überholt. Die Unruhen, die das Hethiterreich zu Fall brachten, beruhten wohl auf Wanderungen innerhalb Kleinasiens. Als Nachfolgereiche bildeten sich Phrygien, Tarhuntassa, Karkamissa, Urartu, etc., aus denen bis um 800 v. Chr. kaum schriftliche Nachrichten überliefert sind. Dafür sprudeln die Quellen für die nunmehr griechischen Küstenstädte Kleinasiens. Milet als Heimat der drei bedeutenden Philosophen Thales, Anaximander und Anaximenes stehen für einen Aufbruch der Menschheit in eine neue geistige Welt der Antike.
Damit ist die Reise, auf die uns der Autor durch die Zeiten mitgenommen hat, an ihrem Ende angelangt. Harald Hauptmann ist zwar bereits zur Neolithisierung sinngemäss zitiert worden „die grosse Linie der Entwicklung bis heute war damit vorgegeben. Seitdem, so hat es den Anschein, haben sich nur noch Nuancen verändert“, die Darstellung von Zick beweist im Gegenteil, wie vielfältig und reich der Boden der Türkei an archäologischen Zeugnissen ist. Er versteht es, die Zitate seiner Gesprächspartner sinnstiftend in den Text einzubetten und so eine abwechslungsreiche Gesamtschau zu präsentieren, die spielerisch die Forschungsgeschichte einbindet und Desiderate benennt. Er hinterfragt angestammte Deutungen und setzt Fragezeichen, anstelle unreflektierter Wiederholung alter Doktrinen. Zick bedient sich einer erfrischenden, beinahe romanesken Art archäologischer Wissensvermittlung und wird dem Eingangs geäusserten Anspruch eines „Appettitmachers“ mehr als gerecht.