Zitat:
Gültiges Maß
Wegen Volksverhetzung hat der Zigeunerstamm der Sinti den Stuttgarter Verkehrsdirektor verklagt. OB Rommel stützt seinen verdienten Mitarbeiter, der sich über Sonderrechte für die Landfahrer beschwert hatte.
Ein gestörtes Verhältnis", so notiert der Stuttgarter Dialekt- und Stadt-Schriftsteller Michael Spohn in einem neuen Buch, "haben die Stuttgarter zu Zigeunern: Man besingt ihre Freiheit, schluchzt zu ihrer Musik, ahmt sie im Fasching gar nach, aber wehe, sie kommen einem zu nah ..."
Ob im biederen Ländle, wo Seßhaftigkeit seit je zu den Grundtugenden zählt, das Verhältnis zu den Fahrenden wirklich so problematisch ist, wie der Autor es hinstellt, ist nicht zu belegen. Aber daß die Nähe ihre Grenzen hat, demonstriert ein Konflikt, den die Kommune derzeit mit den Zigeunern, hauptsächlich vom Stamme der Sinti, austrägt.
Die rund 50 000 Sinti-Zigeuner, deren Familienclans vorwiegend in der Bundesrepublik leben und reisen, Töpfe flicken und Teppiche feilbieten, gelten als deutsche Zigeuner -- im Gegensatz zu den Roma vom Balkan, die S.97 ebenfalls durch Europa ziehen. Während der Nazizeit wurden viele Zigeuner verfolgt und vertrieben, an die 500 000 in Konzentrationslagern umgebracht. Und daß ihre Nachfahren, wie er glaubt, daraus unangemessene Privilegien ableiten, brachte nun Stuttgarts Verkehrsdirektor gegen sie auf.
Im Informationsblatt des Verkehrsvereins führte Peer-Uli Faerber, 54, "Stuttgarters Klage". "Ich möchte endlich", schrieb der Leiter des städtischen Verkehrsamts, "als Stuttgarter Bürger und Steuerzahler in der Landeshauptstadt dieselben Rechte haben wie die "andfahrer und die Zigeuner." Dann kam der Rundschlag: Ich möchte" " endlich die nüchterne Abschlußerkenntnis des phantastischen " " Gespinstes um Zigeunerkönige und Zigeunerfahrer erleben, das " " Ende der Mär vom ewigen natureingepflanzten Wandertrieb der " " Sinti, vom fröhlichen, harmlosen Teppichhandel und vom " " lustigen Zigeunerleben. Will jemand bestreiten, daß diese " " Zigeunergruppen meist großartige Häuser und Wohnungen in der " " Bundesrepublik besitzen und ihre Luxuskarossen längst nicht " " mehr vom Teppichhandel finanzieren können, sondern von sehr " " viel gefährlicherem Handel, der allerdings nicht in Hotels " " abzuwickeln ist? "
Faerber, Anhänger der FDP, ist nicht irgendein essigsaurer Verwaltungschef, sondern nach CDU-Oberbürgermeister Manfred Rommel der populärste Administrator der Großgemeinde. Ihm wird das Verdienst zugeschrieben, die verschlafene Schwabenstadt wieder flottgemacht zu haben.
Mit weinseligen Stadtteil-Festen für jedermann ("Hocketse") und alljährlichem "Weindorf" in der City, mit "langen Nächten", mal griechisch, mal spanisch getrimmt, und mit einem kabarettistischen "Sommertheater" beispielsweise lockte er Durchreisende, Ausflügler und sogar Urlauber nach Stuttgart, ebenso wandernde Theater- und Gaukler-Gruppen. In der Bundestabelle mit den durchschnittlichen Tagesausgaben eines Gastes liegt Stuttgart inzwischen an der Spitze aller deutschen Großstädte, weit vor München, Hamburg und Düsseldorf -- ein Erfolg vor allem der Faerberschen Stadtwerbung und Einfälle.
Vorurteile gegen andersartige Volksgruppen waren an Faerber nie zu entdecken, im Gegenteil. Wenn asiatische Besucher oder farbige US-Soldaten etwa in Altstadt-Bars abgewiesen oder sonstwie diskriminiert werden, läßt er energisch durchgreifen. Um so erstaunlicher die Heftigkeit, mit der er nun gegen die Sinti "oslegte: Ich möchte endlich lesen und hören, daß man es wenigste"s " durchschaut, wenn diese Gruppen den Namen Gottes für ihre " " Geschäfte mißbrauchen und auch das grauenvolle Leid, das ihre " " Väter und Großväter im Dritten Reich erdulden mußten. Die " " heutige Zigeunergeneration kann sich zwar diesen Mißbrauch " " immerhin weiter leisten, aber sie sollte uns nicht für naiv " " halten. "
Der Anlaß für Faerbers Ausfall war ziemlich harmlos. Die Stadt Stuttgart S.98 hat keinen Landfahrerplatz, weshalb Zigeuner-Konvois immer wieder auf dem weiträumigen Cannstatter Wasen Quartier machen. Das aber ist, wie Schilder bedeuten, strikt verboten.
Die Wasen-Wiese ist dem herbstlichen Volksfest vorbehalten; dicht unterm Boden sind technische Anschlüsse für Strom und Wasser verlegt, die nach Meinung der Stadtverwaltung durch die schweren Mercedes-Gespanne der Zigeuner beschädigt werden könnten. Wenn aber doch Sinti oder Roma anrücken, so werden sie meist kurzfristig geduldet und möglichst höflich abgeschoben -- anders als deutsche Camper, die sofort weggeschleppt werden.
Ende Juli fuhr wieder mal eine Sinti-Kolonne mit 60 Familien auf den Wasen ein, um dort, auf gesperrtem Gelände, eine "Zeltmission" zu veranstalten. Pflichtgemäß, aber vergeblich, versuchte Faerber die Zigeuner zum Abrücken zu bewegen. Später wurde auch schon mal mit Steinen geworfen und Stöcken geprügelt, fielen Beschimpfungen wie "Gestapo-Schwein" und "Hitler-Verbrecher".
Als die Wasen-Besetzer drohten, sie würden die Bu