Zitat:
Ein durchgeknallter Millionär, der die Intelligenz-Eliten von morgen ausbrütet - ziemlich bald wurde Graham als Dr. Frankenstein beschimpft und mit Hitler verglichen, man versuchte, die erschrockenen und versprengten Spender zum Outen zu zwingen. Der Einzige, der sich bekannte, war William Shockley, Nobelpreisträger für Physik. Dass Shockley durch rassistische Äußerungen aufgefallen war, machte die Sache nicht besser.
Am 24. August 1982, vier Jahre nachdem in Oldham, England, Louise Brown, das erste Retortenbaby, zur Welt kam, wurde Doron Blake geboren. Erst mit ihm, glaubte Graham, begann die dritte Revolution der Menschheit.
Mit zweieinhalb Jahren konnte Doron mit dem Computer seiner Mutter umgehen. Auf dem Weg zum Kindergarten memorierte er Verse aus »King Lear«, vormittags spielte er mit Dinosauriern, nachmittags mit Primzahlen. Doron war sechs, als seine Mutter ihn zu einem IQ-Test schleppte, das Ergebnis lag bei 180. Mit zehn schrieb er ein Buch: »George, der Dinosaurier«, eine charmante Fabel, für die auch ein ausgewachsener Kinderbuchautor sich nicht schämen müsste.
»Für Graham war ich das Paradestück, eine Art Prototyp«, sagt Doron. Ein Messias, den man fördern musste: Regelmäßig kamen dicke Buch-Pakete und Chemie-Baukästen, oft holte Graham den Kleinen mit seinem weißen Chevrolet ab und führte ihn zum Essen in die besten Restaurants von Beverly Hills, wobei er mit dem Knaben jedes Mal ausgewählte Probleme aus Mathematik, Physik und Literatur erörterte. Er bestärkte Doron auch, die LSD-Trips, die seine Mutter ihm anbot, abzulehnen; dafür ermunterte er die Mutter, Afton Blake, eine Psychologin, ihren Wundersohn der Welt vor Augen zu führen.
…..
Heute bewohnt Doron Zimmer 312, dritter Stock, hinten links. Vom Fenster aus sieht man den Campus des Reed College in Portland (Oregon). Auf dem kleinen Schreibtisch steht der iMac, auf dem Bett liegt eine indische Tagesdecke. Im Regal stehen die »Harry Potter«-Bände neben einer Abhandlung über italienischen Madrigal-Gesang und einer Geschichte der Tuscarora-Indianer. Es riecht nach Räucherstäbchen. Hier studiert Doron Blake, mittlerweile 19, Religionswissenschaften, hier versenkt er sich viele Stunden am Tag in sein Sitar-Spiel; und hier versteckt er sich vor der Welt.
Sein langes Haar ist zum Zopf gebunden, er ist schlaksig und durchscheinend blass, und fast immer, auch im Winter, geht er weite Strecken zu Fuß, oft ohne Socken in ausgelatschen Birkenstock-Sandalen. Seine Zehennägel sind lackiert. Er spricht einerseits sehr schnell und präzise; dann wiederum stottert er, manchmal minutenlang.
Doron ist ein introvertierter Junge; außen freundlich, innen melancholisch und kalt wie flüssiger Stickstoff. Atomphysik, Informatik - um die Hightech-Fächer, die sein Übervater ihm wahrscheinlich empfohlen hätte, hat Doron einen Bogen gemacht. Er ging auch nicht nach Harvard oder Yale, obwohl er an den Elite-Unis ebenfalls leicht ein Stipendium bekommen hätte. Statt dessen Religionswissenschaften im verschlafenen Portland. Dazu das weltentrückte Plingplang des Sitar.
Dennoch blitzt Dorons außerordentliche Intelligenz immer wieder durch. Verblüffend schnell überblickt er die kompliziertesten Sachverhalte, und er könnte eine Schachpartie bewältigen, ohne einen Blick aufs Brett zu werfen. Manchmal vergräbt er sich tagelang in der College-Bibliothek. Je entlegener und schwieriger die Bücher, desto besser, sein Verstand ist wie eine Armee in Friedenszeiten, er muss ihn beschäftigen.
Die Geschichte von Doron ist die einer Verweigerung. Graham, sein Erfinder, starb vor fünf Jahren, 90-jährig. Seine Mutter hockt auf den Trümmern ihrer Psycho-Praxis plus angeschlossener Windhundzucht. Die Träume vom Neuen Menschen zerfielen, übrig blieb Doron, der alles ausbaden muss.
Das hat ihn zu einem Medienprofi gemacht, er ist mit seinen 19 Jahren so freundlich wie unnahbar, und wenn ihm Fragen zu heikel sind, lächelt er breit und antwortet auf Esoterisch.
Wollte er jemals seinen leiblichen Vater kennen lernen? »Der Mann ist ein Fremder«, sagt er, »wir haben keine spirituelle Verbindung.« Er lächelt.
Und wie ist es, ein Genie zu sein? »Daran ist nichts Besonderes, es gibt wichtigere Werte im Leben, wie Liebe, Wärme, Respekt vor Gott.« Er lächelt.
Damals war der SPIEGEL noch interessant.