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Zukunftsaussichten der faschistischen Wirtschaft
Das faschistische System ist nicht als rein politisches anzusprechen, sondern es ist zugleich ein wirtschaftliches. Obwohl das Regime aus der großen Unzufriedenheit des italienischen Volkes mit der seinerzeitigen Parteiwirtschaft einer stark zerklüfteten Nation herausgeboren wurde und somit in erster Linie ein politisches Moment der Bewegung zugrunde lag, mußte es sich trotzdem nachher auf das wirtschaftliche Gebiet begeben, wenn reiner Tisch gemacht werden sollte.
Die faschistische Partei wurde am 22. März 1919 durch ehemalige Sozialisten gegründet, denen sich ausnahmslos die Frontkämpfer anschlossen. Das Ziel war, die Lage des Vaterlandes zu bessern, denn die schwachen Regierungen konnten den Niedergang der intellektuellen Volksschichten infolge der Teuerung und Inflation nicht aufhalten, während die Arbeiter durch den Krieg wenigstens in der Lage waren, sich einen auskömmlichen Lebensunterhalt zu sichern, und zugleich einen Kampf um eine Anstellung nicht zu führen brauchten.
In der Zeitspanne von 1919–1922 hatte der Faschismus durch die Besetzung der Fabriken den sich in Italien breitmachenden Kommunismus zu bekämpfen, wodurch der Industrie natürlich sehr geholfen war.
Die damalige Not brachte viele Anhänger, und die Industrie stattete die Partei mit großen Geldmitteln aus. Die faschistische Partei stellte sich damit in den Kampf um die höchsten Güter der Nation und um die Unterdrückung des Klassenkampfgedankens, der durch den Sozialismus in die Wirtschaft gebracht worden war und zu einer großen Beunruhigung der Produktion beitrug. Die Partei vertrat dabei liberale und nationale Ideen und liess sich den Schutz des Kapitals angelegen sein.
Während die Banken zuerst dem Faschismus unentschlossen gegenüberstanden, trat die Industrie und die Landwirtschaft aus den oben angeführten Gründen für sie ein. Durch die Gegnerschaft des Faschismus gegenüber dem arbeitslosen Verdienst, also gegen die Parasiten der Gesellschaft, wurde es auch Sozialisten ermöglicht, überzutreten, zumal diese über die ziellose Haltung der eigenen Partei und die verfehlte Gelegenheit anläßlich der Besitzergreifung der Fabriken unzufrieden waren.
Während der Faschismus selbst klassenkampfgegnerisch ist, ist er doch klassenbewusst, was sich in der ständischen Volksteilung ausspricht. Dazu ist er zum Unterschied vom Sozialismus religiös, national, für die volle Privatinitiative in der Wirtschaft, allerdings unter Kontrolle des Staates, um Auswüchse einzudämmen und die Zielbewussheit in Bahnen zu lenken, die der Allgemeinheit nutzbringend sind.
Der Faschismus will die Wirtschaft so in den Staat einschalten, damit die höchste Produktionsfähigkeit erreicht wird; er will die soziale Gerechtigkeit; er lehnt die Parteipolitik als ausschlaggebendes Kriterium bei den Handlungen der Regierung ab und gibt den Parteien nur das Recht, als Mittel für die Wahl und Regierungsbildung zu wirken. Er will damit die Ausschaltung der Politik aus der Wirtschaft, ein Zustand, der die Voraussetzung für eine ungehinderte und die Allgemeininteressen verfolgende Wirtschaft ist.
Nun wird allerdings unter Zugrundelegung unserer Gewohnheit die Freiheit des einzelnen Individuums stark beschränkt. Aber nach einem Bericht von Professor Siotto-Pinter in Florenz kümmerten sich Ende 1922, als sich der Marsch nach Rom vollzog, die stärksten Schichten des Volkes nicht um diese Beeinträchtigung. Jeder war nur froh, da die lange vergebens angebahnte Gesetzgebungs- und Verwaltungsreform zustande kommen sollte und auch tatsächlich sich in dem gewünschten Tempo entwickelte.
Da zunächst Mussolini nicht die genügenden wissenschaftlichen Kräfte zur Verfügung standen, holte er hervorragende Gelehrte herzu, die auch in einer am 31. Januar 1925 eingesetzten Kommission neben Politikern und sonstigen Fachleuten arbeiteten und in ihrem Bericht auf die Mängel der alten Regierungsform hinwiesen, nämlich die allmähliche Unterordnung der Exekutive unter die Parteien und damit unter die launenhafte Tagespolitik ; die Abhängigkeit der Regierung von der Willkür der Kammer und der schwindende Einfluß des Staatsoberhauptes; dazu die Zersplitterung der Parteien, die eine dauerhafte und handlungsfähige Regierung unmöglich und die Entscheidung in wichtigen Fragen oftmals von rein taktischen Momenten abhängig machte; ein mangelndes Verantwortungsbewusstsein der Fraktionen legte ein zielbewusstes Arbeiten der Regierung lahm.
Der Bericht gab dann noch Vorschläge hinsichtlich der Neuorganisation der Wirtschaft, die später auch als Grundlage zu den Korporationsgesetzen dienten. Das System Mussolinis lässt den Ministerpräsidenten, das Regierungshaupt, wieder stärker in den Vordergrund treten und verschafft ihm eine Macht, die ihn zum Führer des Parlamentes macht.
Nach dem Wahlrecht vom 18. November 1923 wurde Italien ein einziger Wahlkreis, und bei den Wahlen von 1924 erhielt die relative Mehrheit, die zugleich mindestens 25% der abgegebenen Stimmen ausmachte = 356 Sitze. Das neue, aber praktisch noch nicht in die Erscheinung getretene Wahlgesetz von 1925 setzt 560 Abgeordnete fest und hat auch die sonstigen Bestimmungen abgeändert; es dürfte für die nächsten Wahlen wieder in abgeänderter Form zur Anwendung gelangen.
Am 6. April 1924 wurden folgende Stimmen abgegeben: Die Regierungsgruppe erhielt 4,6 Mill. Stimmen, Splitterparteien dagegen nur 30.000-646.000 Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 81,8%. Dieses Ergebnis bedeutete aber einen vollkommenen Sieg Mussolinis.
Quelle: W. Müller, Der Faschismus als soziale Wirtschaftsmacht
Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1928