AW: "Soumission" - Der Halbmond über Paris, Roman
Das politische Programm Ben Abbes' dreht sich um die Rettung der Familie als Grundlage des Gemeinwesens durch u.a.
- massive Erhöhung der Familienzulagen für daheimbleibende(!) Ehefrauen, gegenfinanziert durch
- massive Kürzungen (85%!) im Sozialetat und "Reprivatisierung" des Ruhestands und der Pflege;
- eine Verkürzung der Schulpflicht auf 6 o. 7 Jahre, danach soll die Mehrheit eine (handwerkliche) Lehre beginnen;
- Kostenpflichtigkeit der Mittel- und Oberschulen sowieso Hochschulen;
- eine Wirtschaftspolitik, die das Familienunternehmen zur Norm machen will;
- die Gestattung der Polygynie.
Dazu Aufnahme der südlichen und östlichen Mittelmeeranrainer in die EU.
AW: "Soumission" - Der Halbmond über Paris, Roman
Was auffällt: Später im Buche verengt sich das Szenario. Es gibt keine Demos des FN. Es gibt keine Demos der (teilentrechteten) Frauen. Es gibt keine Reaktionen der USA, der EU oder anderen Europäer, des Vatikan, Israels, Russlands. Es gibt keinen Ausblick auf die nächsten Wahlen, die Ben Abbes' ja verlieren könnte. Es gibt nicht mal einen Acquis communautaire, der einer Aufnahme bspw. Syriens in die EU im Wege stünde.
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-jmw-
Was auffällt: Später im Buche verengt sich das Szenario. Es gibt keine Demos des FN. Es gibt keine Demos der (teilentrechteten) Frauen. Es gibt keine Reaktionen der USA, der EU oder anderen Europäer, des Vatikan, Israels, Russlands. Es gibt keinen Ausblick auf die nächsten Wahlen, die Ben Abbes' ja verlieren könnte.
Das ist mir auch aufgefallen. Dank Houellebecqs elliptischer Erzählweise werden ein paar Motive im Roman nur angedeutet und nicht weiter ausgeführt: den Bürgerkrieg, der durch Frankreich tobt und zur Annulierung der ersten Stichwahl führt, und vor allem das Fehlen des FN-Protestes nach der Stichwahl. Darüber hätte ich gerne mehr gelesen - wie sich der Protest des FN und der Identitären bemerkbar macht und zu einer Verschärfung der islamisch geprägten Gesetze beitragen würde.
Ansonsten ist "Soumission" das reinste Lesevergnügen, sehr kurzweilig, und liest sich schnell: in anderhalb Tagen. Es gefällt mir, daß ausführlich auf Joris-Karl Huysmans verwiesen wird, der als Figur im Hintergrund den Roman beherrscht. Huysmans ist ein Schriftsteller, den ich sehr schätze.
Was nun die Haupthandlung betrifft, so geht es weniger um den Bürgerkrieg zwischen Identitären und Islamisten, nicht einmal vorrangig um die in diesem Roman erfolgende Komplettislamisierung Frankreichs, sondern um die Identitätslosigkeit und politische Zerrissenheit jener Bio-Franzosen, welche der Umwandlung ihrer Republik nichts entgegenzusetzen haben, im Gegenteil, aus Haß auf den Front National sogar zum Steigbügelhalter der Islamischen Partei werden. Houellebeqc schreibt eine böse politische Satire über die französischen Sozialisten, die den Teufel mit Beelzebub austreiben, lieber eine islamische Republik in Frankreich zu installieren helfen (mit allen Folgen: Verbannung der Frauen aus dem öffentlichen Leben etc.), als Marine Le Pen an die Macht kommen zu lassen.
Daneben laboriert der Ich-Erzähler an einem typisch-Houellebeqcschen Unterleibsproblem, das nicht ohne Witz und Selbstironie beschrieben wird und offenbar zur Soumission des Ich-Erzählers führt: Er träumt schon davon, wie er sich als Muslim mehrere junge Frauen leisten kann.
AW: "Soumission" - Der Halbmond über Paris, Roman
Houellebecq beschreibt eine politische Umsetzung des Scherzwortes vom "Selbstmord gegen Rechts".