Sueddeutsche Zeitung / 03.01.2018
USA - Der rote Knopf im Kopf
Anders als Kim Jong-un oder Donald Trump es suggerieren, gibt es kein automatisiertes Startverfahren für Atomraketen in den USA oder in Nordkorea - und der "Nuklearknopf" existiert ebenfalls nicht.
Der skurrile Austausch zwischen Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un und US-Präsident Donald Trump über Größe und Funktionsfähigkeit ihres jeweiligen
"Nuklearknopfes" hat weltweit für beachtliche Aufmerksamkeit gesorgt und dient nun in sozialen Medien und Kommentarspalten als Belege für die Unzurechnungsfähigkeit des jeweiligen Staatsführers.
Sachlich betrachtet handelt es sich indes um eine Falschnachricht. Weder Trump noch Kim verfügen über diesen symbolischen Startknopf, mit dem sich ein Atomkrieg auslösen ließe. Der Schlagabtausch der beiden Besserwisser erreichte seinen Höhepunkt am Mittwochmorgen um 1.49 Uhr, als Trump feststellte, dass er einen
Nuklearknopf habe, der
"viel größer & machtvoller" sei als der Kims. Außerdem fügte er hinzu:
"Und mein Knopf funktioniert."
Trump reagierte damit auf die Neujahrsansprache des nordkoreanischen Diktators, in der Kim gesagt hatte:
"Es ist keine leere Drohung mehr, sondern Realität, dass ich einen Nuklearknopf auf meinem Schreibtisch in meinem Büro habe. Das gesamte Festland der Vereinigten Staaten kann durch unseren Nuklearschlag erreicht werden."
Auch wenn dieser Austausch weltweit die Fantasien in Erregung versetzte - in der Substanz haben beide Herren unrecht. Der
US-Präsident verfügt zwar über die
Macht, jederzeit einen
Atomschlag auslösen zu können. Allerdings drückt er dazu nicht auf einen Knopf auf seinem Schreibtisch. Warum sich diese Fantasie so stark in den Köpfen festgesetzt hat, ist unklar.
In Filmen und dramatisierten Darstellungen über den Kalten Krieg kommt immer wieder ein "Roter Knopf" zum Einsatz. Dahinter steht wohl die Vorstellung, dass eine Sprengung selbstverständlich per Zündbefehl ausgelöst werden muss. Als die USA und Russland während der Obama-Regierungszeit ihre Beziehungen auf Neuanfang stellen wollten, drückten die jeweiligen Außenminister gemeinsam und symbolisch auf einen roten Knopf.
Tatsächlich ist der
Kommandoweg für den Einsatz
amerikanischer Nuklearwaffen vielstufig und nicht automatisiert. Der Befehl wird ausdrücklich
nicht per Knopfdruck gegeben, sondern per
mündlichem Kommando erteilt. Dazu müsste sich der
Präsident zunächst mithilfe einer
Codekarte als
Befehlshaber gegenüber seinem
Verteidigungsminister oder einem
kommandierenden General identifizieren. Anschließend müsste er einen
Startcode freigeben, der in einem
Kommandostand seine Entsprechung fände.
Den
"Football" hat ein
US-Präsident stets
bei sich. Darin sind die
Codes, die zählen
Wer auch immer den Befehl des Präsidenten entgegennimmt - er könnte ihn auch verweigern.
Einen
direkten Zugriff Trumps auf die
Startvorrichtung einer der etwa
900 amerikanischen Nuklearsprengkörper gibt es
nicht. Auch gibt es keinen Knopf auf dem Schreibtisch, wie Trump behauptet.
Vielmehr werden
Codes und
Richtlinien für das
Einsatzverfahren immer in der
Nähe des
Präsidenten in einem
Koffer aufbewahrt, der
"Football" genannt wird.
Das Startprozedere für eine nordkoreanische Rakete ist nach aller Erkenntnis nicht standardisiert. Unabhängig von der Frage, ob das Land bereits über einen einsatzfähigen Sprengkopf für eine Langstreckenrakete verfügt, ist auch hier kein plötzlicher Angriff per Knopfdruck möglich. Sämtliche Langstreckenraketen werden mit Flüssigtreibstoff befüllt, was Stunden an Vorbereitung vor dem Start erfordert. Dauerhaft kann keine mit Flüssigtreibstoff angetriebene Rakete startbereit gehalten werden.
Machthaber Kim ist zwar immer wieder auf Bildern zu sehen, unter anderem in einem eigens gebauten, mobilen Kommandostand. Eventuell gibt er dort auch den Startbefehl per Knopfdruck. Fachleute halten es aber für unwahrscheinlich, dass er eine Startvorrichtung in einem Büro unterhält. Dazu müssten sichere Datenleitungen verlegt und Kommunikationseinrichtungen aufgebaut werden. Unmittelbar nach Kims Neujahrsansprache stuften Landesbeobachter den "Nuklearknopf"-Teil der Rede deshalb als die übliche rhetorische Aufplusterei und Provokation ein. Bei US-Präsident Trump scheint sie allerdings verfangen zu haben. Politiker aller Parteien verurteilten den Präsidenten als kindisch und unreif.
https://www.sueddeutsche.de/politik/...kopf-1.3813088