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Dokumente aus dem ukrainischen Archiv belegen, worauf viele Historiker und Überlebende seit Jahren hingewiesen haben: Die Hungersnot wurde von Stalins Regime aus Moskau regelrecht organisiert und von lokalen Aktivisten - gekauften armen Ukrainern - ausgeführt, um den Widerstand der ukrainischen Bauern gegen die Zwangskollektivierung und drohende Enteignung zu brechen.
Russland negiert offiziell die Existenz der Hungerskrise und nimmt zu Stalins Rolle keine Stellung. Es habe eben eine schlechte Ernte gegeben, heißt es lapidar. Historiker Kun: "Das ist blanker Hohn. Die Ukraine hat als Agrarland stets weite Teile der Sowjetunion versorgt und ist bekannt für gute Böden."
In der Ukraine muss die Wahrheit nicht länger tabu bleiben. Präsident Viktor Juschtschenko hat Ende 2006 einen Gesetzentwurf im Parlament vorgelegt, in dem die Verleumdung der Hungersnot unter Strafe gestellt wird. Das Strafmaß steht noch nicht fest, doch das Gesetz ist ein Meilenstein in der ukrainischen Politik: Das Massensterben infolge der kollektiven Enteignung, die vor 75 Jahren begann, ist nun vom Parlament als Genozid am ukrainischen Volk anerkannt.
Die Leidensjahre begannen in einigen Regionen schon ab Ende 1930, in manchen Quellen ist vom Jahr 1929 die Rede. Damals beschlossen Moskaus Kommunisten die Kollektivierung in der Ukraine. Sie sollte binnen zwei Jahren vollzogen werden, damit die Sowjetunion ihre Industrialisierung auf Kosten der enteigneten Bauern schneller vorantreiben konnte.
Der 44-jährige Juri Krawtschenko, dessen Großvater die Katastrophenzeit in Petriwka in der Südukraine überlebt hat, erzählt, was damals geschah: "Zunächst waren die Kulaken (die reichen Bauern) dran. Später auch die Dorfarmen. Wer nicht freiwillig in Kolchosen (sowjetische Großbetriebe) eintrat, galt als Staatsfeind, erhielt keine Arbeit und wurde zwangsenteignet." Sieben Geschwister von Krawtschenkos Großvater starben im Holodomor. "Wer freiwillig in die Kolchosen eintrat, erhielt ein bisschen Geld, später nur noch eine Handvoll Essen."
Petriwka existiert heute nicht mehr. 90 Prozent der rund 300 Einwohner verhungerten qualvoll.