WELT | 23.05.2010
WIRTSCHAFT
52 000 000 000 000 Dollar Schulden
Es sind die Schulden eines einzigen, eines ziemlich kleinen Landes, die Europa und die ganze Weltwirtschaft seit Monaten in Atem halten. Dabei machen die Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand in Griechenland nicht einmal
ein Prozent der
weltweiten Staatsverschuldung aus.
Griechenland ist fast überall. Natürlich haben die Hellenen ganz besonders über ihre Verhältnisse gelebt. Aber die Staaten insgesamt ist in einem fast unvorstellbaren Ausmaß verschuldet. In diesem Jahr werden allein die Staatsschulden von
82 großen Volkswirtschaften der Welt zusammen mehr als
48 Billionen Dollar erreichen. Dies geht aus Datenreihen hervor, das der "Welt am Sonntag" von dem amerikanischen Wirtschaftsforschungsinstitut Global Insight zur Verfügung gestellt wurde.
Im kommenden Jahr dürfte es noch einmal fast ein Zehntel mehr sein, nämlich 52 Billionen Dollar. Das ist eine 52 mit zwölf Nullen hinten dran - und entspricht nach gegenwärtigem Wechselkurs mehr als 41 Billionen Euro. Eine Summe, die nicht nur schier unvorstellbar groß ist - sondern von der auch niemand sagen kann, wie sie jemals auf geordnetem Wege auch nur halbwegs abgetragen werden kann.
Das Vermögen der hundert reichsten Menschen der Welt zum Beispiel - dem amerikanischen Wirtschaftsmagazin "Forbes" zufolge zusammengenommen aktuell rund 350 Milliarden Dollar - würde für kaum mehr als die fälligen Zinsen eines einzigen Jahres reichen, von Tilgung ganz zu schweigen.
"Wir erleben eine bisher einmalige Situation. Nie zuvor war in Friedenszeiten der weltweite Schuldenstand so hoch wie heute", sagt der renommierte deutsche Finanzwissenschaftler Kai Konrad. Nur im Zuge der beiden Weltkriege war die Last, gemessen an der jeweiligen Wirtschaftsleistung, höher.
Und der Trend ist ungebrochen. Die Neuverschuldung der 82 Staaten lag 2007 schon bei 247 Milliarden Dollar. In diesem Jahr wird sie auf einen Rekordwert von 3667 Milliarden Dollar klettern. Und selbst im Jahr 2014 dürfte den Experten von Global Insight zufolge ein Niveau erreicht werden, das mit 1737 Milliarden Dollar viel höher ist als zu Vorkrisenzeiten.
Sorgen müssen sich vor allem die USA machen, auf die allein mehr als ein Drittel der Staatsverschuldung aller 82 Länder entfällt. Binnen von nur fünf Jahren hat sich der Schuldenstand des amerikanischen Fiskus verdoppelt. "Aus fiskalpolitischer Sicht ist die Volkswirtschaft in einer Situation, als hätte sie gerade den Dritten Weltkrieg überstanden", schreibt Spyros Andreopoulos in einer Analyse der US-Investmentbank Morgan Stanley.
Was diese Krise auch besonders macht: Es sind gerade die traditionellen Schwergewichte der Weltwirtschaft, die Probleme haben - anders als Anfang der 80er-Jahre, als Lateinamerika taumelte, oder Ende der 90er-Jahre, als es in Südostasien krachte.
Heute schaffen es gerade die aufstrebenden Wirtschaftsmächte, was auch in diesem Jahr praktisch keinem Land in Westeuropa gelingt: beim Budgetdefizit die Maastricht-Grenze einzuhalten.
In Ländern wie Brasilien, Mexiko, China und Russland liegt die Nettoneuverschuldung unter drei Prozent, Südkorea dürfte sogar einen Überschuss erwirtschaften.
Das heißt aber nicht, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer unbedingt von der Schuldenkrise der Industrienationen profitieren werden. Schließlich stecken erstmals alle drei der großen alten Wirtschaftsblöcke - die
USA, Europa und
Japan - in der Schuldenfalle. "Trotz der hohen Verschuldung gerade der westlichen Industrienationen rechne ich nicht damit, dass es zu einer Machtverschiebung hin zu den Schwellen- und Entwicklungsländern kommen wird", sagt Ökonom Konrad. "Es besteht eine wechselseitige Abhängigkeit, weshalb China ganz sicher kein Interesse daran hat, dass die USA in Bedrängnis geraten."
Ein Grund, sich zurückzulehnen, ist das noch lange nicht. Im Gegenteil, die Uhr tickt. Mit jedem Jahr, das ungenutzt verstreicht, wird es schwieriger, aus der Schuldenfalle herauszukommen.
Das liegt zum einen an der sogenannten
impliziten Staatsverschuldung:
Vor allem auf die meisten Industrieländer kommen in den nächsten Jahrzehnten wegen der demografischen Alterung ungeheure Lasten zu - weil sie dann die Rentenversprechen einlösen sollen, die sie den heutigen Arbeitnehmern machen.
Und mehr noch: Hat die (explizite) Staatsverschuldung erst mal die Schwelle von
90 Prozent der
jährlichen Wirtschaftsleistung erreicht, beginnt ein
Teufelskreislauf. Die beiden Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart haben errechnet, dass dann das
Wirtschaftswachstum um mehr als
einen Prozentpunkt nach unten gedrückt wird - was es nur noch schwerer macht, das Geld aufzubringen für Zins und Tilgung.
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