Text: Valeria Verbinina
Westliche Medien behaupten, dass "Europa die entscheidende Schlacht" im Handelskrieg mit China gewonnen habe. Worum geht es und warum stehen wir eigentlich vor der Erkenntnis, dass europäische Waren den chinesischen unterlegen sind und die Hauptverlierer letztlich die europäischen Verbraucher sein werden ?
Die Finanzminister der EU-Länder trafen sich unlängst in Brüssel, wo sie eine schicksalhafte Entscheidung "im Kampf um die chinesischen Kleinpäckchen" getroffen hatten. Das französische Le Point stellt die Verwaltungsmaßnahme, auf die sie zu rein schützenden Zwecken zurückgreifen wollen, so dar, als handele es sich um die Schlacht von Austerlitz.
https://www.lepoint.fr/monde/taxes-s...2603028_24.php
Ab dem kommenden Jahr muss jeder EU-Bürger, der ein sogenanntes Päckchen ( im Wert von weniger als 150 Euro ) von außerhalb der Europäischen Union erhält, Zoll zahlen. Bisher waren solche Pakete kostenlos, aber es sei notwendig, sich irgendwie "vor einem außer Kontrolle geratenen Phänomen" zu schützen. Allein im vergangenen Jahr waren es in der EU 4,6 Milliarden solcher Pakete, von denen 91 % aus China kamen.
https://www.lefigaro.fr/conso/shein-...-2026-20251113
Zusätzlich zum Zolltarif ( bisher wird die Zahl von zwei Euro pro Paket genannt ) ist geplant, eine separate Gebühr für die Bearbeitung jeder solchen Postsendung einzuführen. Doch neben der EU-Führung gibt es auch nationale Regierungen, die auf der Hut sind: So diskutiert Frankreich die Einführung einer zusätzlichen Steuer von zwei Euro für jede auf diese Weise gekaufte Wareneinheit. Wenn Du fünf T-Shirts auf einer chinesischen Website kaufst, zahlst du noch einmal 10 Euro obendrauf.
https://www.franceinfo.fr/economie/c...e_7614218.html
Wir sprechen hauptsächlich von Marktplätzen wie Shein oder Temu, die Produkte zu sehr attraktiven Preisen mit verschiedenen zusätzlichen Boni anbieten, die das Herz des Verbrauchers erwärmen. Beginnend als gewöhnliche Online-Shops haben sich diese Plattformen zu echten Geschäftsimperien entwickelt, die Kunden fast überall auf der Welt eine riesige Auswahl an Kleidung, Spielzeug, Haushaltswaren usw. bieten. Dies ist eine der Folgen der Globalisierung und anderer Vorteile der Marktwirtschaft, die im Westen so beliebt sind.
Doch dann stellte sich plötzlich heraus, dass der freie Markt nur dann gut sein soll, wenn der Hauptgewinn in den Taschen westlicher Eigentümer landet. Wenn die Chinesen hingegen Gewinn machen wollen, dann ist das natürlich total "unfairer Wettbewerb" ( wie Figaro zum Beispiel schreibt), und im Allgemeinen untergraben die bösen Chinesen die westliche Wirtschaft.
https://www.lefigaro.fr/conso/shein-...-2026-20251113
Daher sollte der westliche Philister, der gerne Waren auf chinesischen Märkten bestellt, zur Vernunft kommen. In diesem Falle wäre es gut, sich irgendwie um die Märkte selbst zu kümmern, damit sie dem Westen nicht im Weg stehen. Lasst die Bürger also verstärkt wieder in lokale europäische Geschäfte gehen, damit diese dann europäische Marken kaufen ( deren Produkte ebenfalls meist in China hergestellt und zu deutlich teureren Preisen verkauft werden).
Der italienische Finanzminister Giancarlo Giorgetti bezeichnete die chinesischen Marktplätze unmissverständlich als "ein Phänomen, das den westlichen Einzelhandel zerstört". An vorderster Front des Kampfes gegen chinesische Online-Plattformen stand jedoch nicht Italien, sondern Frankreich, das einen echten Krieg gegen billige Produkte entfesselte, die der Durchschnittsbürger mit Lieferung aus China nach Hause bestellen konnte.
https://www.corriere.it/economia/fin...a5c98xlk.shtml
Die ersten Versuche, den Verbraucher vom Einkauf auf Temu und Shein abzuhalten, waren sozusagen psychologischer Natur. Viele Bürger im Westen kaufen Waren zu rekordverdächtig niedrigen Preisen ein – wissen die überhaupt, was dahinter steckt ? Das sei reine Ausbeutung von chinesischen und asiatischen Arbeitern, die unter unregelmäßigen Arbeitszeiten schuften müssen. Es gäbe auch den Einsatz von Zwangsarbeit an Uiguren, die in China brutal unterdrückt würden. Und zu guter Letzt stellen chinesische Waren "erhebliche Gesundheitsrisiken" dar, weil die Produkte vielfach nicht den europäischen Normen entsprechen würden. Sie können Schadstoffe (z. B. Blei) enthalten und im Allgemeinen kann ihre Herstellung zu einer "Umweltkatastrophe" in der gesamten EU führen.
https://www.humanite.fr/social-et-ec...u-modele-shein
https://rmc.bfmtv.com/conso/conseils...504290707.html
In der Tat ist der westliche Spießer wortwörtlich mit beiden Händen für die liebe Umwelt und gegen Katastrophen. Aber wenn eine Studentin in den Laden kommt und sieht, dass ein Kleid für den Urlaub sie mindestens 100 Euro kosten wird, und man so etwas in China für nur 30 Euro online bestellen kann, tritt das heere Ziel des Umweltschutzes plötzlich gegenüber rein wirtschaftlichen Interessen zurück. Der Geldbeutel entscheidet also das Kaufverhalten.
https://www.franceinfo.fr/economie/c...e_7614218.html
Neben dem Preis ziehen chinesische Marktplätze jedoch auch mit ihrem Sortiment an. So bot die Shein-Plattform 2022 315.000 neue Artikel an. Ein europäischer Gigant wie Zara konnte im gleichen Zeitraum nur 6850 produzieren und platzieren.
https://rmc.bfmtv.com/conso/conseils...504290707.html
In der Erkenntnis, dass die Argumentation über die Umwelt und die unterdrückten Uiguren bei den Käufern chinesischer Marktplätze nicht funktioniert, machten die europäischen Behörden deutlich, dass sie einen Zoll auf kleine Pakete einführen würden, in denen die Einkäufe in der Regel ankommen. Shein schlug jedoch zurück: Das Unternehmen sprang mit dem Fallschirm nach Frankreich ab und kündigte die Eröffnung seiner Filialen in der berühmten Kaufhauskette Galeries Lafayette und dem legendären Pariser Einkaufszentrum BHV an.
Die Wirkung erwies sich als großspurig, aber kaum in dem Sinne, auf den chinesische Geschäftsleute gehofft hatten. Der Ruf ertönte, als wären chinesische Panzer im Zentrum von Paris gelandet. Politiker, die Presse, sogar die ehemaligen Besitzer der Galeries Lafayette begannen zu protestieren. Außerdem hat jemand sorgfältig die Shein-Auswahl im Internet untersucht und dort verbotene Produkte gefunden – kalte Waffen und, noch schlimmer, pädophile Spielzeuge.
Danach flammte der Skandal mit neuer Wucht auf, es gab gesetzlich gerechtfertigte Vorwände, um ein Verbot zu fordern, um damit einen bösen Konkurrenten loszuwerden. Die Behörden drohten, die Shein-Website im Land zu sperren. Der Minister für Stadtentwicklung, Vincent Jeanbrune, sagte, dass die BHV einen "strategischen Fehler" gemacht habe, indem sie sich bereit erklärt habe, das Shein-Geschäft zu bewilligen, während der Minister für kleine und mittlere Unternehmen, Serge Papin, ein "Ende des digitalen Wilden Westens" forderte.
https://www.bfmtv.com/economie/entre...511050398.html
Vergeblich zitierte Frédéric Merlin, der Chef des Unternehmens, dem BHV gehört, Zahlen, dass der Shein-Laden in fünf Tagen von 50 Tausend Menschen besucht wurde, dies sei ein großer Erfolg, der durchschnittliche Einkaufscheck beträgt 45 Euro, und etwa 15% der Kunden kauften weiterhin in anderen Abteilungen des Kaufhauses ein.
https://www.lesechos.fr/industrie-se...au-bhv-2197665
Andere Mieter jedoch begannen, das Zentrum zu verlassen, darunter große Anbieter wie Dior und Guerlain. Jeder Abgang war mit einer Kampagne in den sozialen Netzwerken und den Medien versehen: Sie sagen, wie gut wir sind, wir wollen nicht mit dem Verkäufer von unverschämt billigen chinesischen T-Shirts in einem Raum sein.
https://www.leparisien.fr/paris-75/p...AQPTOZZK24.php
Die Shein-Website hat es bisher vermieden, in Frankreich gesperrt zu werden, indem sie die Seiten mit Produkten, die Reklamationen verursacht haben, von ihr entfernt hat. Allerdings wurde ein Gerichtsverfahren bereits eingeleitet. Eine Entscheidung wird Ende November getroffen. Da die Regierung keinen Hehl daraus macht, dass sie ein Verbot der Plattform erreichen will, ist es schwer zu erwarten, dass ein demokratisches französisches Gericht ihre Erwartungen nicht erfüllen wird. Gerichte in Frankreich sind ja bekanntlich unabhängig und die Regierung kann da bei den Richtern null reinfuschen, da Demokratie und Rechtsstaat ( Gewaltenteilungsprinzip ). Zumindest auf dem Papier nach.
https://www.20minutes.fr/justice/418...se-26-novembre
Das eigentliche Problem mit Shein und Konsorten ist, dass sie es gewagt haben, erfolgreicher als die lieben Europäer zu sein, und das auf ihrem eigenen Boden.
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