Doch, Herr Putin, wir Amerikaner sind außergewöhnlich
In einem Beitrag in der "New York Times" hat Russlands Präsident Putin die Führungsrolle der USA in der Welt infrage gestellt. Unser Kolumnist antwortet ihm. Von Eric T. Hansen
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Sehr geehrter Herr Präsident Putin!
Vielen Dank für Ihren Brief, den ich in der New York Times lesen durfte. Nicht oft bekommen wir Amerikaner Briefe von politischen Führern Ihres Rangs; viele Menschen auf der Welt beschimpfen und belehren uns hinter unserem Rücken, aber die wenigsten schreiben uns direkt an. Ich habe mich sehr gefreut.
Dass Sie uns in Ihrem Brief vor einem Krieg in Syrien gewarnt haben, ist ebenfalls sehr umsichtig von Ihnen. Na gut, Sie wissen ja, dass die meisten Amerikaner ohnehin gegen einen Krieg sind, und zwar aus den Gründen, die Sie erwähnen. Trotzdem, man kann vor Krieg im Allgemeinen nicht genug warnen. Ich selbst habe mehrere Poplieder in meiner Playlist, die mich von Zeit zu Zeit mahnen.
Nur eines hat mich ein wenig irritiert und ich schreibe Ihnen heute, um Sie auf einen klitzekleinen Denkfehler aufmerksam zu machen.
Sie schreiben, dass Amerikaner sich nicht als exceptional ansehen sollten. Damit meinen Sie die uralte und zu Recht umstrittene amerikanische Überzeugung, unser Land sei eine "Ausnahmeerscheinung", den üblichen Naturgesetzen nicht unterworfen, grundsätzlich anders als alle anderen.
Dieser Glaube stammt aus den Anfängen unserer Geschichte: Damals suchten wirtschaftliche und religiöse Flüchtlinge einen Ort, wo die Gesetze, die sie in Europa zu Untertanen, Bauern, Leibeigenen und Ketzern machten, nicht galten. Und tatsächlich: In der Neuen Welt fanden sie diesen besonderen Ort.
Mit der Zeit gewann die Idee des exceptionalism immer mehr an Bedeutung. Heute verbindet man sie mit unserer Stellung als führende Nation der westlichen Welt: Eben weil wir anders sind, müssen wir handeln, wo andere passiv bleiben – selbst wenn die UN versagen.
Das Ironische daran: Es ist ausgerechnet die Welt da draußen, die uns immer wieder zu einer exception macht. Genau das haben ausgerechnet Sie, Herr Putin, in dieser Woche getan. Auch wenn Sie, wie ich fürchte, es selbst gar nicht mitbekommen haben.
Der Bürgerkrieg in Syrien – das zu Ihren Verbündeten gehört – tobt seit zwei Jahren. Und schon früh fing bei uns ganz selbstverständlich die Diskussion an: "Greifen wir ein? Können wir uns leisten, untätig zuzusehen?" Präsident Obama entschied, dass Amerika sich zurückhält, es sei denn, Chemiewaffen würden eingesetzt.
Diese Haltung ist typisch für die USA, für andere Länder dagegen völlig ungewöhnlich. Kein Staat spürt eine ähnliche Verantwortung für die internationale Gemeinschaft wie Amerika. Das meine ich nicht einmal patriotisch: Es ist eine Anomalie der Weltgeschichte.
Diese Abart des exceptionalism stammt aus dem Kalten Krieg: Die USA war der einzige Staat der westlichen Welt, der Europa vor der Sowjetunion beschützen konnte, und diese Rolle spielten wir mehr als 40 Jahre lang. Das prägt. Bei jeder internationalen Krise, ob im Kongo, in Ruanda oder sonstwo auf der Welt, bricht heute in Amerika von Neuem die Diskussion um unsere Verantwortung los.
Sie, Herr Putin, zeigen ein solches Verantwortungsbewusstsein nicht.
Keine Bewegung ohne Gewaltandrohung
Dabei sind Sie durchaus ein exceptional man. Ich habe Sie schon halbnackt reiten, nach Amphoren und Unterwasserwracks tauchen und mit Kranichküken fliegen sehen; trotz allen Genörgels ob ihres Führungsstils haben Sie Ihr Land aus den Trümmern gehoben und zu einer Weltmacht aufgebaut. Doch nie habe ich gesehen, dass Sie sich freiwillig Sorgen um das Wohl anderer Nationen machen.
Dabei können Sie es doch. Nehmen wir den genialen Vorschlag zur Lage in Syrien: Assad könne einfach seine Chemiewaffen abgeben. Das war tatsächlich der diplomatische Vorstoß, auf den die Welt gewartet hatte, und Ihre Unterstützung dafür rechne ich Ihnen hoch an. Nur wissen wir beide, Herr Putin, dass sie das niemals diskutiert hätten, wenn Obama Sie nicht mit seinem angekündigten Militärschlag in die Ecke gedrängt hätte.
Das gilt nicht nur für Sie. Auch Frau Merkel, die recht gern von diplomatischen und politischen Lösungen spricht, hätte die Initiative ergreifen können. Selbst die UN oder die Arabische Liga, ach was, Günter Grass, Eros Ramazzotti oder Harry Potter hätten den Vorschlag machen können, es war ja nur ein Satz. Doch niemand hat es getan – bis Amerika mit Gewalt drohte.
Amerika als verwundete Gazelle
Amerika ist angeschlagen. Es hat durch den Irak-Krieg, Guantánamo, durch innenpolitische Probleme und durch solche Skandale wie die NSA-Geschichte eine Menge an Ansehen eingebüßt. Wenn es je eine Gelegenheit gab, dass jemand anderes Amerikas Rolle übernimmt – Ihr Land zum Beispiel, Herr Putin, oder, was ich begrüßen würde, die EU unter deutscher Führung – dann jetzt. Trotzdem überlässt die Welt passiv diese Rolle weiterhin uns.
Amerika ist wie eine verwundete Gazelle, die in der Savanne hin und her hinkt, aber nie erlegt wird, weil die Löwen zu sehr mit ihrem eigenen Bauchnabel beschäftigt sind, um die Situation auszunutzen. Das ist der Grund, warum Amerika weiterhin die führende Nation der Welt bleiben wird.
Egal wie viel Geld China scheffelt, egal wie viel Lärm Russland macht, egal wie entschieden Deutschland militärische Gewalt verurteilt: Nur Amerika wird weiterhin eine Verantwortung für die Welt außerhalb der Grenzen verspüren und mit seinem Handeln den Rest der Welt wie aufgeschreckte Hühner zu Reaktionen zwingen.
Sie sind es, Herr Putin, Sie und die anderen kurzsichtigen, mit sich selbst beschäftigten Staatsmänner da draußen, Sie sind daran schuld, dass wir Amerikaner immer noch die Ausnahme sind.
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