Das Goetheanum / 19. Oktober 2018 / von Bernhard Steiner
Chinas Boden
In der Volksrepublik China gibt es
keinen Privatbesitz an
Grund und
Boden. Damit ist eine wesentliche Forderung, die sich aus einer
dreigegliederten Auffassung des Sozialen ergibt, erfüllt. Das könnte sich in Zukunft als ein
Standortvorteil erweisen.
" Wir haben eine ‹Scheinmarktwirtschaft› ", so der Titel eines Buches von Udo Herrmannstorfer (1), denn die drei Faktoren
Grund und
Boden,
Arbeitskraft und
Kapital werden wie
Waren behandelt.
Waren sind aber nur
Produkte aus menschlicher
Arbeit, Produkte, an deren
Entstehen menschlicher Geist beteiligt war. So
richtig ein
freier Markt für
Waren ist, so
falsch ist es, das
Kaufen und
Verkaufen dieser
drei Faktoren dem
Markt zu überlassen.
In diesem Sinne sollte der
Umgang mit
Grund und
Boden durch das
Rechtsleben geregelt werden, ebenso auch der
Arbeitseinsatz und der
Umgang mit dem
Kapital.
Die sogenannte
‹freie Marktwirtschaft› führt eben nicht für
alle zur Freiheit, sondern nur für
jene, die es sich
leisten können. Die Versuche, durch
staatliche Eingriffe korrigierend einzugreifen, zum Beispiel durch
Rahmengesetze für Grund und Boden, durch
Kontrollen des
Kapitalverkehrs usw., sind
wenig zielführend.
Grund und
Boden ist ein
knappes Gut, daher
steigen die
Preise in
Verbindung mit der
Geldschöpfung unaufhaltsam.
In
China ist das
anders.
Laut
Artikel 10 der
Verfassung von
1982 ist der
Boden in den Städten
Staatseigentum (und der auf dem
Lande und in den
Vororten der Städte ist
Kollektiveigentum). Ein
Verfassungszusatz vom
12. April 1988 wurde in Absatz 4 noch deutlicher:
«Weder eine Organisation noch ein Individuum darf Grund und Boden in Besitz nehmen, kaufen oder verkaufen oder auf andere Weise gesetzeswidrig andern überlassen.»
Indem durch die Verfassung
Grund und
Boden seines Warencharakters
entkleidet wurde, hat die Volksrepublik an diesem Punkt Wirtschaft und Recht
auseinandergegliedert. Damit hat China etwas eingeführt, das sich in Zukunft als ein
Standortvorteil für die
Wirtschaft der
Volksrepublik erweisen könnte, und zwar aus
folgendem Grund:
Auf dem Weltmarkt stehen die Staaten in Konkurrenz und einer der wichtigsten Kostenfaktoren sind die Löhne der Mitarbeiter. Irgendwo müssen die Menschen wohnen, entweder zur Miete oder im Eigentum. Während früher die Ausgaben für Nahrungsmittel die Höhe der Löhne entscheidend beeinflussten, sind es heute die Kosten für das Wohnen, in die die Grundstückspreise ja mit einfließen. Das gilt besonders in den großen Städten, wo die Preise besonders hoch sind. In London muss man zum Beispiel etwa 40 Prozent des Einkommens für das Wohnen berappen. Der Grundstücksanteil an den Wohnungskosten erreicht manchenorts bereits Größenordnungen von 30 bis 50 Prozent.
Das
Problem zeigt sich in China
nicht in der Weise, denn es gibt
keine private Bodenrente, die ein
leistungsloses Einkommen erlaubt. In China bekommt man den
Boden durch
Nutzungsrechte (in der Regel für
50 Jahre), wobei die
Einnahmen für die
Pacht des Bodens dem
Staat und damit der
Allgemeinheit zufallen. (.... sofern nicht Korruption im Spiel ist).
Für die
Industrialisierung des
Westens war es entscheidend, dass man Grund und Boden
kreditieren, das heißt, als
Sicherheit für einen
Kredit beleihen konnte. Interessant ist, dass es China gelungen ist,
ohne diesen
Prozess der
Kreditierung von
Grund und
Boden das Land zu
industrialisieren.
Es könnte gut sein, das in Zukunft unser
bestehendes Bodenrecht zu einem
Hemmschuh wird. Der
Bodenpreis hat sich in den letzten Jahrzehnten
vervielfacht. Wären nicht die
immensen Subventionen – von Mietbeihilfen, Baukostenzuschüssen, Zinssubventionen bis zu Steuervergünstigungen –, so käme jeder Wohnungsbau ganz zum Erliegen. Dennoch sind Neubauwohnungen für Normalverdiener
unerschwinglich geworden. Auch in der Landwirtschaft ist es überhaupt
unmöglich geworden, den
Kaufpreis aus den landwirtschaftlichen Erträgen zu
verzinsen oder zu
amortisieren.
Ein weiteres Problem:
Die hohen Bodenpreise machen es den Gemeinden und Städten immer schwerer, kommunale Aufgaben zu erfüllen, da die Entschädigungswerte, die sich in Deutschland am Verkehrswert orientieren, jedes Vorhaben gewaltig verteuern. Es gibt noch einen weiteren Punkt, der sich in Zukunft für China als Standortvorteil erweisen könnte:
In diesem Land gibt es fast nur Staatsbanken, die das Kapital günstig an Staatsunternehmen leihen können.
Zurzeit meldet die Presse öfters alarmiert, dass manche der großen staatlichen chinesischen Unternehmen eigentlich pleite sind. Innerhalb dieses Systems ist das aber nicht schlimm: Solange der Staat die Hand über die Banken hält, kann er Schulden erlassen und zur Not weitere Gelder in die Unternehmen einschießen. Der Schaden hätte kein solches Ausmaß wie im westlichen Wirtschaftssystem.
Während im
eigenen Land Grund und Boden
nicht dem Markt unterworfen ist, haben
chinesische Unternehmen gleichzeitig massiv in Grund und Boden in
anderen Ländern investiert, insbesondere in
Afrika. Dort haben sich die Investitionen in den letzten Jahren verzehnfacht. Howard W. French, Journalist der ‹New York Times›, hat in dem Buch
‹China’s Second Continent› (2) ausführlich geschildert, wie Afrika langsam in die Hände der Chinesen gerät. Oft sind es
Tauschgeschäfte, die getätigt werden: Rohstoffe gegen den Aufbau der Infrastruktur. Die chinesischen Unternehmen bauen Straßen, Eisenbahnstrecken, Flughäfen, Regierungsgebäude und Ausbildungszentren in der Regel mit ihren eigenen Arbeitern, was zugleich etwas Druck vom Bevölkerungswachstum im eigenen Land nimmt.
China, noch vor Jahrzehnten ein armes, von schlimmen Hungersnöten geplagtes Land, hat es geschafft, in wenigen Jahrzehnten unter großen Wirren den
‹großen Sprung nach vorne› (so die von Mao Zedong initiierte Kampagne) zu schaffen. Es ist zu hoffen, dass auch die Chinesen erkennen, welchen Vorteil sie damit haben, dass
Grund und
Boden dem Handel
entzogen ist, obwohl viele ihrer Studenten an US-amerikanischen Universitäten studieren und dort auf ein anderes Gedankengut stoßen.
(1) Udo Herrmannstorfer, Scheinmarktwirtschaft, Arbeit, Boden, Kapital und die Globalisierung der Wirtschaft. Verlag Freies Geistesleben, 1997
(2) Howard W. French, China’s Second Continent: How a Million Migrants Are Building a New Empire in Africa. Knopf, 2014
https://dasgoetheanum.com/chinas-bod...eil%20erweisen