bmwk / 01.03.2024 -Online-Version-
Vermögensungleichheit in Deutschland und Europa
Neue Daten der EZB
Insbesondere in krisengeprägten Zeiten, zum Beispiel im Zuge hoher Inflation, kommt der
Verteilung von
Vermögen eine besondere Aufmerksamkeit zu. Denn vorhandenes Vermögen kann dazu genutzt werden, krisenbedingte Entwicklungen, aber auch individuelle Risiken
abzufedern. Daher spielen der Vermögensaufbau bzw. die Vermögensverteilung auch aus wirtschaftspolitischer Sicht eine wichtige Rolle. Um Ansatzpunkte für politische Maßnahmen zu identifizieren, ist allerdings eine genaue Analyse von Vermögensentwicklungen auf Haushaltsebene wichtig. Nur so lässt sich zum Beispiel feststellen, welche Bevölkerungsgruppen in Zeiten hoher Inflation für
Kaufkraftverluste besonders
anfällig sind.
Bisher waren solche Analysen, vor allem wenn sie möglichst aktuell sein sollten, mit mehreren Problemen behaftet. Aufgrund fehlender Registerdaten auf Ebene einzelner Privathaushalte basierten bisherige Datenquellen zu Vermögen und Vermögensverteilungen zumeist auf Umfragen. Diese können aber ungenaue oder unvollständige Angaben beinhalten und stehen in der Regel auch nicht jährlich zur Verfügung.
"Verteilungsbasierte Vermögensbilanz" der EZB integriert verschiedene Datensätze
Mit den „Distributional Wealth Accounts“ (DWA) bzw. der „verteilungsbasierten Vermögensbilanz“ hat die Europäischen Zentralbank (EZB) bzw. das Europäische System der Zentralbanken im Januar 2024 deshalb einen neuartigen, experimentellen Datensatz zu diversen vermögensbezogenen Kennzahlen für alle Mitgliedstaaten des Euroraums veröffentlicht. Die Daten basieren auf einer jeweils landes- spezifischen Integration von Haushaltsumfragen mit der Vermögensbilanz von Sach- und Geldvermögen im Rahmen der Gesamtwirtschaft. Für Deutschland dient das Panel „Private Haushalte und ihre Finanzen“ (PHF) der Bundesbank als Umfragedatensatz; auch die Vermögensbilanz von Sach- und Geldvermögen stellt die Bundesbank bereit (vgl. Kasten 1). Neben den Ergebnissen für einzelne Länder sind auch zusammengefasste Ergebnisse für alle teilnehmenden Länder abrufbar.
Höhere Aktualität der neuen Daten und Berücksichtigung hoher Vermögen
Der neu veröffentlichte Datensatz adressiert einige der bestehenden Datenlücken. Die Datenkombination nutzt neben den Verteilungsinformationen aus der Vermögensbefragung auf Haushaltsebene auch die Niveauveränderungen in der vierteljährlichen gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanz. Dies ermöglicht eine höhere Aktualität der Vermögensberichterstattung (Stand des Datensatzes für Deutschland ist derzeit der 30.06.2023), die durch bestehende Umfragedaten nicht erreicht werden kann. Umfragedaten wie das PHF, aber auch Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) oder der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) liefern nur alle 3 bis 5 Jahre Ergebnisse, die zudem erst mit einer Verzögerung von 2 bis 3 Jahren bereitgestellt werden.
Ein weiterer Fortschritt besteht in der besseren Abbildung besonders hoher Vermögen und Marktwerte, die durch die Berücksichtigung aktueller gesamtwirtschaftlicher Vermögenswerte gewährleistet werden kann. Umfragedaten alleine beinhalten zumeist nur ungenügende Informationen über Hochvermögende. Von Haushalten selbst eingeschätzte Vermögenswerte können zudem Messungenauigkeiten aufweisen. Diese Fehlerquellen bei Umfragedaten sind unter anderem auch dafür verantwortlich, dass verschiedene Umfragedatensätze (SOEP, EVS, PHF) in der Regel zu leicht bis deutlich abweichenden Ergebnissen kommen – angefangen von den Kennziffern zur Vermögensverteilung bis hin zum Gesamtvermögen privater Haushalte. Vergleicht man zum Beispiel das aus den Haushaltsbefragungen errechnete Gesamtvermögen mit den Daten der Vermögensbilanz, so ergibt sich für Deutschland eine Differenz von 20 Prozent. Um diese Lücke zu schließen und korrekt zu beziffern, werden in dem neuen Datensatz unter Hinzunahme statistischer Methoden auch Informationen aus so genannten „Reichenlisten“ (z. B. des Manager- Magazins) sowie einer Hochvermögendenstichprobe des SOEP verwendet. Bereits vor Veröffentlichung des neuen Datensatzes durch die Europäische Zentralbank haben Albers et al. (2022) gezeigt, dass und wie eine solche Vorgehensweise für Deutschland funktioniert.
Grenzen: Rentenansprüche nicht erfasst
Trotz der beschriebenen Fortschritte durch die Verfügbarkeit der neuen Datensätze zu Vermögen und zur Vermögensverteilung bleiben bei der Interpretation von Vermögensstatistiken weiterhin einige Aspekte zu beachten. So werden zum Beispiel Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht in der Vermögensbetrachtung berücksichtigt. Zwar sind Rentenansprüche anders als andere Vermögenswerte nicht beleih- oder vererbbar, dennoch stellt die Altersvorsorge grundsätzlich einen wichtigen Pfeiler beim Vermögensaufbau dar. Unterschiedliche Systeme der Alterssicherung sind daher insbesondere auch bei internationalen Vergleichen zu berücksichtigen, ebenso wie Unterschiede in der Zusammensetzung bzw. Größe privater Haushalte.
Leicht höhere Vermögensgleichheit im Vergleich zu Umfragedaten
Die neuen Daten erlauben die Messung von Vermögensungleichheit sowohl im Zeitverlauf bis zum aktuellen Rand als auch im europäischen Vergleich. Als Maß für Ungleichheit wird oftmals der so genannte Gini-Koeffizient verwendet, welcher Ungleichheit von 0 (Gleichverteilung) bis 1 (maximale Ungleichheit) darstellt. Der quartalsweise Gini des Haushaltsvermögens veränderte sich in Deutschland über die Zeit insgesamt nur wenig, erreichte 2014 allerdings einen vorläufigen Höhepunkt. In den letzten Jahren lag er konstant bei etwa 0,77 (vgl. Abbildung 1). Im Vergleich zur Analyse mit reinen PHF-Umfragedaten ergeben sich insgesamt leicht höhere Werte des Ginis beim kombinierten Datensatz, welche unter anderem durch die Berücksichtigung von Hochvermögenden zu erklären sein dürften.
Weiterhin zeigt sich, dass der
Gini in
Deutschland höher als
im Durchschnitt der
Euroländer liegt. Frankreich und Italien liegen beispielsweise 0,05 bis 0,07 Gini-Punkte unter Deutschland. Dies ist unter anderem auf unterschiedliche Anteile von Hausbesitz bzw. Miethaushalten in den Ländern zurückzuführen:
Während in Deutschland im Jahr 2022 mehr als die Hälfte der Bevölkerung zur Miete wohnte, war dieser Anteil in allen anderen EU-Ländern geringer.
Obere zehn Prozent der Bevölkerung besitzen rund 60 Prozent des Gesamtvermögens
Die Datenbank enthält außerdem weitere Ergebnisse wie Zahlen zum Gesamtvermögen unterteilt nach Vermögensgruppen (vgl. Abbildung 2). Hierbei wird deutlich, dass auf die unteren 50 Prozent der Bevölkerung in der Vermögensverteilung mit rd. 0,4 Billionen Euro im Jahr 2023 ein Anteil von nur rund 2,3 % am Gesamtvermögen entfällt.
Dies entspricht allerdings einer nominalen Verdoppelung gegenüber rund 0,2 Billionen Euro im Jahr 2011, was einem Anteil von rund 2,2 Prozent. entsprach. Dahingegen entfällt auf die oberen 10 Prozent der Bevölkerung mit rund 10,5 Billionen Euro ein Anteil von rund 61,2 Prozent. am Gesamtvermögen. Dies entspricht ebenfalls einer nominalen Verdoppelung gegenüber den 5 Billionen Euro von 2011, die damals allerdings einem ebenfalls nur leicht geringeren Anteil von 60 % entsprachen. Die mittleren Perzentilgruppen der Vermögensverteilung (Dezile 6-9) haben ebenfalls knapp eine Verdoppelung ihres Nettovermögens seit 2011 erfahren. Werden die nominalen Vermögenswerte mit dem Verbraucherpreisindex bereinigt, so entsprach der Vermögensaufwuchs für die jeweiligen Verteilungsgruppen real über den gesamten Zeitraum etwa 50 bis 60 Prozent.
Weiterhin spiegeln die neuen Daten die unterschiedliche Zusammensetzung der Vermögen der privaten Haushalte wider. So bestehen die Vermögen der vermögensärmeren Hälfte der Bevölkerung in Deutschland zu einem großen Teil aus Guthaben auf Sparkonten oder ähnlich risikoarmen Anlagen. Diese sind allerdings inflationssensibel. Dahingegen gehen hohe Vermögen stark mit Kapitalmarktwerten und Sachwerten und vor allem Immobilien- und Unternehmensvermögen einher.
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