FAZ / 15.07.2021 / von Friederike Boege
CORONA-POLITIK IN CHINA
Nah dran an der Impfpflicht
Zahlreiche Städte und Bezirke in China haben Zugangsbeschränkungen für Impfverweigerer verkündet, die einer Pflicht doch ziemlich nahe kommen. In den sozialen Netzwerken macht sich deswegen Unmut breit. Unpopuläre Maßnahmen überlässt die chinesische Regierung gern lokalen Behörden. Immer wieder hat die Gesundheitskommission in Peking in den vergangenen Monaten hervorgehoben, eine Impfung gegen das Coronavirus sei
vollkommen freiwillig. Nun haben allerdings zahlreiche Städte und Bezirke
Zugangsbeschränkungen für Impfverweigerer verkündet, die
einer Pflicht doch ziemlich nahe kommen.
In der
zentralchinesischen Stadt Hancheng zum Beispiel sollen von diesem Donnerstag an nur noch
Geimpfte Zugang zum öffentlichen Nah- und Fernverkehr erhalten. Das gleiche gilt für Supermärkte, Hotels, Restaurants, Einkaufszentren, Museen, Gefängnisse, Krankenhäuser, Schulen und Behörden.
Ausnahmen soll es nur für Minderjährige und für Leute geben, die nachweisen können, dass sie aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden sollten. Die Stadt Jinggangshan, die vom sogenannten roten Tourismus lebt und im Jahr des 100. Bestehens der Kommunistischen Partei Millionen Besucher anlockt, kündigte ebenfalls an, dass nur noch
Geimpfte die Revolutionsstätten besuchen dürften.
„Simplistisch und brutal“
Nachdem immer mehr Städte und Bezirke ähnliche Vorschriften erließen, machte sich im chinesischen Internet Unmut breit. Beiträge mit dem entsprechenden Hashtag wurden im
Netzwerk Weibo mehr als
78 Millionen Mal angesehen. „Das stimmt nicht mit den Vorgaben der zentralen Seuchenschutzbehörde überein“, kritisierte ein Nutzer. „Simplistisch und brutal“, fand ein anderer. Viele beklagten einen Mangel an „Kultiviertheit“ und „Raffinesse“ auf Seiten der lokalen Verantwortlichen. Das sind Vokabeln, mit denen die zentrale Gesundheitsbehörde schon in der Vergangenheit die
Holzhammermethoden mancher Kommunen gerügt hatte.
Der Grund, warum die Lokalbehörden zu solchen Methoden greifen, liegt aber in Peking. Von der Zentralregierung wurden nämlich Impfquoten vorgegeben, und wer die nicht erfüllt, bekommt Probleme. In reichen Kommunen wie Schanghai werden Impfmuffel mit großzügigen Geldgeschenken gelockt. Anderswo fühlt man sich mit Zwangsmaßnahmen wohler.
Künstliche Intelligenz soll eine Rolle spielen
Nachdem allerdings auch das Staatsfernsehen anfing, kritische Fragen zu stellen, sahen einige Kommunen sich gezwungen, ihre Vorschriften zu korrigieren oder zu relativieren. Ein Behördenmitarbeiter in der Provinz Jiangxi sagte dem Staatssender:
„Wir können niemanden zwingen, sich impfen zu lassen. Wir können nur den Enthusiasmus der Leute zum Impfen entfachen.“
Die chinesische Sprache, erst recht die Behördensprache, hält Begriffe bereit, die vage genug sind, um auch das Gegenteil zuzulassen. Deshalb besage die Vorschrift, dass Nicht-Geimpfte „im Prinzip“ keinen Zugang erhielten, sagte der Kader im Interview. Der Begriff halte die Möglichkeit offen, auch anders zu entscheiden. Tatsächlich finden sich solche verbalen Sollbruchstelle auch in den Mitteilungen anderer Kommunen. Ihren Zweck könnten die angekündigten Maßnahmen auch so erreichen:
Impfmuffel aufzuschrecken und Impfverweigerer unter Rechtfertigungsdruck zu stellen.
https://www.faz.net/aktuell/politik/...-17437509.html