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Die Villenkolonie heute
Der Charakter der Villenkolonie Grunewald wurde durch die Vertreibung ihrer jüdischen Bewohner unwiederbringlich zerstört. Die vielen Berichte über Salons, Empfänge, Wohltätigkeitsveranstaltungen, Five-o’clock-teas und Diners, die wir vor allem aus Autobiographien über die Zeit zwischen 1890 und 1933 kennen, verstummen danach. Nicolaus Sombart erzählt, dass der berühmte Salon, den seine Mutter in den 20er Jahren im Haus der Familie Sombart in der Humboldtstraße 35a geführt hatte, in den 30er Jahren abebbte.
Heute gibt es eine Reihe öffentlicher Institutionen, die in Grunewald die Kultur der Kommunikation pflegen: Das Wissenschaftskolleg, die Europäische Akademie, das St. Michaels-Heim und die vielen Botschaftsresidenzen mögen erinnern an das kommunikative Zentrum, das die Kolonie einmal war. Wieder erwecken können sie es nicht.
Noch immer ist die Villenkolonie ein äußerst attraktiver und lohnender Ort für Stadtrundfahrten und für Spurensucher, aber heute sind die vielfältigen Spuren der Zerstörung ihres ursprünglichen Charakters unübersehbar: Auf den großen Seegrundstücken wurden zum Teil in den 50er und 60er Jahren Sozialwohnungen in Reihenhäusern errichtet. An vielen Stellen wurden Grundstücke geteilt und die Bebauung verdichtet, häufig mit hässlichen Flachbauten.
Seit den 80er Jahren konnte mit den vereinten Kräften des Denkmalschutzes und des Bezirksamtes die Restaurierung vieler Villen und Villengärten erreicht werden, und auch beim Neubau können inzwischen anspruchsvollere ästhetische Vorstellungen von Villenarchitektur beobachtet werden. Aber nach wie vor besteht ein großer Druck, die teuren Grundstücke durch Gewerbeansiedlung gewinnbringend zu nutzen. In manchen Fällen konnten Villen durch die Einrichtung von Botschaftsresidenzen gerettet und neu belebt werden.
Von einem bürgerlichen Engagement und Gemeinschaftsgefühl in einer anspruchsvoll gestalteten Villenkolonie ist wenig zu spüren.
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300 Jahre Charlottenburg in 12 Kapiteln
Von Charlottes Hof zur Berliner City
von Karl-Heinz Metzger
1. Die Gründung
Woher der einzige weibliche Berliner Bezirk seinen Namen hat und wie die Stadt Charlottenburg gegründet wurde
Die Gründung einer Stadt war nach dem Mittelalter in den deutschen Landen ein seltener Vorgang. So nimmt denn auch Charlottenburg in Deutschland und unter den Berliner Städten eine einzigartige Stellung ein. Während Spandau (1232), Berlin/Cölln (1237), und Köpenick (1325) mittelalterliche Stadtgründungen sind, erhielten Schöneberg (1898), Rixdorf/Neukölln (1899), Wilmersdorf (1906), und Lichtenberg (1908) erst um 1900 Stadtrechte und durften diese nur wenige Jahre genießen, bis sie 1920 in Groß-Berlin eingemeindet wurden. Lediglich Charlottenburg entstand im frühen 18. Jahrhundert und kann jetzt auf ein mittleres Alter von 300 Jahren zurückblicken.
Zur Vorgeschichte Charlottenburgs gehören das Dorf Lietzow, die preußische Königin Sophie Charlotte und ihr Schloss. Lietzow wurde 1239 unter dem Namen “Lucene” erstmals erwähnt und 1720 nach Charlottenburg eingemeindet. Die 1668 auf Schloss Iburg geborene Sophie Charlotte heiratete 1684 den Kurprinzen Friedrich III von Brandenburg und begann 1695 mit dem Bau ihres Lustschlosses Lietzenburg, das bald in ganz Europa als Musenhof bekannt wurde. Sophie Charlotte feierte hier nicht nur prächtige Feste, sondern förderte hier die Künste und die Philosophie. Sie wurde Königin, als ihr Mann 1701 zum preußischen König Friedrich I gekrönt wurde. Nach ihrem frühen Tod am 1.2.1705 ließ Friedrich I ihr zu Ehren ihr Schloss umbenennen und machte die kleine Siedlung südlich davon zur Stadt.
Mit einer gewissen Berechtigung wird manchmal behauptet, dass Sophie Charlottes Kammertürke Aly der erste Charlottenburger war. Denn als König Friedrich I am 5. April 1705 den berühmten Brief schrieb, in dem er Stadtrechte und den Namen Charlottenburg verlieh, da wohnten tatsächlich nur einige Hofbedienstete in einigen Häusern entlang der heutigen Schlossstraße.