FR / 23.12.2023
Im Schatten des Krieges in Israel: So feiern Christen in Bethlehem
Der Geburtsort Jesu ist gerade zu Weihnachten ein Magnet für Christen auf der ganzen Welt. Dieses Jahr sieht es dort aber ganz anders aus. Der Krieg in Israel lastet schwer auf Bethlehem. Der Tourismus ist fast völlig zum Erliegen gekommen. In diesem Jahr bleiben die meisten christlichen Pilger fern, viele Geschäfte sind geschlossen. Die Stadtverwaltung hat den Weihnachtsschmuck abgehängt und die Kirchen verzichten auf große Weihnachtsparaden.
Bethlehems heilige Nacht bleibt in diesem Jahr still.
Traurige Weihnachten in Bethlehem: So geht es den Menschen vor Ort
Obwohl an diesem Adventssonntag die Sonne über
Bethlehem strahlt, liegt ein Schatten über der Stadt. Normalerweise erreicht der Tourismus jetzt in der Weihnachtszeit seinen Höhepunkt. Über zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts gehen auf das Konto religiöser Pilger aus aller Welt, die vor allem über Weihnachten nach
Bethlehem kommen, um Jesu Geburtsort zu besuchen. Dieses Jahr bleiben fast alle Hotelbetten leer. Zahlreiche Restaurants und Souvenirläden sind geschlossen. Am Grenzkontrollpunkt warten Taxifahrer vergeblich auf Kunden.
Krieg in Israel: „Seit Monaten kommen keine Touristen mehr”
„Seit Monaten kommen keine Touristen mehr”, erklärt Daniel Aqleh, der eigentlich als Fremdenführer Besuchern die Sehenswürdigkeiten in Bethlehem zeigt. Aufgrund des Kriegs in Israel*zwischen der radikal-islamischen Hamas und Israel herrscht derzeit eine Reisewarnung für Israel und das Westjordanland. Seit dem Angriff der radikal-islamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober befindet sich Israel in einem bewaffneten Konflikt mit der Terrororganisation, die das palästinensische Autonomiegebiet im Gazastreifen beherrscht. Bei dem Überfall am 7. Oktober wurden 1200 Menschen getötet und rund 250 Geiseln genommen, darunter auch arabische Israelis und Beduinen. Die Hamas beschießt seit zwei Monaten israelische Städte mit tausenden Raketen, darunter auch Jerusalem. 128 Geiseln befinden sich weiterhin in der Gewalt der Hamas.
Der Konflikt in Gaza führte zu einer vorübergehenden Schließung der israelischen Grenzkontrollstellen nach Bethlehem für Touristen.
Die Checkpoints sind zwar wieder für Besucher geöffnet, Touristen kommen aber dennoch nicht nach Bethlehem. George fährt schon seit 34 Jahren Taxi, so auch an diesem Sonntag im Dezember. „In Bethlehem kennen mich die Leute. Und ich kenne sie. Die Jungen, die Väter, die Väter der Großväter. Ich bin der älteste christliche Taxifahrer in ganz Bethlehem”, erzählt er und lacht. Obwohl die Zeit schwierig ist, versucht er sich auf Weihnachten zu freuen. Er hat für seine Enkelinnen Geschenke gekauft und wird seine Töchter besuchen, das sei schließlich Tradition.
Unsere Botschaft als Christen an die ganze Welt ist Liebe
„Was in Gaza geschieht, gefällt mir nicht”, erklärt George mit ernster Stimme und in Falten gelegter Stirn. „Wir wollen kein Blutvergießen, kein Töten, egal von welcher Seite. Unsere Botschaft als Christen an die ganze Welt ist Liebe. Ich bin der Meinung, niemand wählt seine Realität. Du hast dir nicht ausgesucht, in welche Realität du geboren wirst. Am Ende sind wir Menschen. Letztendlich müssen wir alle miteinander zusammenleben.” Vor der Kirche St. Mary mischt sich an diesem Morgen vergnügtes Gelächter mit Vogelgezwitscher. Auf dem Kirchenvorplatz tobt eine Gruppe von Kindern, die sich versuchen gegenseitig zu fangen. Sonnenstrahlen dringen durch die dunklen Kirchenfenster der Marienkirche, in der sich an diesem Morgen die syrisch-orthodoxe Gemeinde Bethlehems zur Eucharistiefeier versammelt hat.
Gewargis Shaheen wartet im Eingangsbereich vor der Kirche und begrüßt ankommende Gemeindemitglieder. Während die Kinder draußen lachen, blicken die meisten Erwachsenen ernst. Eine Frau eilt nach draußen und bittet die Kinder, leiser zu spielen. Durch die schweren, halb geöffneten Holztüren strömt der intensive Duft von Weihrauch und Gewürzen nach draußen. In wenigen Wochen wird die Gemeinde Weihnachten feiern. Da sich die syrisch-orthodoxe Kirche liturgisch nach dem julianischen Kalender richtet, feiern sie Weihnachten an einem späteren Tag als viele westliche Kirchen, die sich auf den gregorianischen Kalender berufen. Bethlehem beherbergt eine Vielzahl von christlichen Konfessionen, die die reiche religiöse Vielfalt der Stadt widerspiegeln, darunter die
Griechisch-Orthodoxe, Römisch-Katholische, Armenisch-Apostolische, Syrisch-Orthodoxe, Koptisch-Orthodoxe, Anglikanische und
Äthiopisch-Orthodoxe Kirche. Dieses Jahr haben alle christlichen Konfessionen gemeinsam beschlossen, auf große Zeremonien und festliche Paraden zu verzichten und das Weihnachtsfest in bescheidener Ausführung zu feiern.
Keine Weihnachtsdekoration der Kirchen in Bethlehems in diesem Jahr
Mit ihrer Entscheidung folgen die Kirchen der Stadtverwaltung Bethlehems, die bereits vor einigen Wochen in einem Facebook-Post bekannt gab,
„sämtliche Weihnachtsdekorationen und festliche Elemente zu Ehren der Märtyrer und in Solidarität mit den Menschen in Gaza zu entfernen”.
Vor der Geburtskirche, einer der ältesten Kirchen der Welt, befindet sich deshalb nicht wie sonst um diese Zeit ein mit bunten Lichtern geschmückter Weihnachtsbaum. Der
Krippenplatz, normalerweise
Mittelpunkt aller christlichen Weihnachtsparaden, dient in dieser Vorweihnachtszeit nur noch als einfacher Park- und Versammlungsplatz, auf dem an diesem Adventssonntag rund 20 palästinensische Sicherheitskräfte patrouillieren.
Gewargis Shaheen, der noch immer im Eingangsbereich der Marienkirche sitzt und der Liturgie von draußen lauscht, hat dieses Jahr keine Geschenke für seine Enkel vorbereitet. Sondra, die ihren dreijährigen Sohn auf dem Arm trägt, ist ebenfalls nicht zum Feiern zumute:
„Wir wollen hier nicht fröhlich feiern, während in Gaza Kinder sterben,” erklärt sie.
Wenige Meter entfernt von der Marienkirche feiert die Gemeinde der Evangelisch-Lutherischen Weihnachtskirche ihren Adventsgottesdienst. Dicht hintereinander drängen sich die Kinder in einer Reihe vor Pastor Munther Isaac. Einige zupften aufgeregt an ihrer Kleidung, während andere gespannt ihre kleinen Hände falten, bereit, das heilige Brot entgegenzunehmen. Darunter auch der vierjährige Sohn von Bahjat Khadar. Der Lehrer am Bethlehem Bible College erklärt nach dem Gottesdienst:
„Es gibt viele Familien in Gaza, die gerade ihre Söhne und Töchter verlieren. Wir fühlen uns mit ihrem Schmerz verbunden. Deshalb feiern wir dieses Jahr keine Weihnachten, wir fühlen keine Freude, wir stellen keine Kerzen auf, wir beten nur.”
Auch die Krippe der Evangelisch-Lutherischen Weihnachtskirche erinnert an den Krieg in Gaza. Fast vollständig von Steinbrocken bedeckt, liegt Jesus inmitten der Trümmer, eingehüllt in einer Kufiy, einem traditionellen palästinensischen Tuch mit schwarz-weißem Karomuster. Maria und Josef sind verstreut um ihn herum platziert, als ob sie ihn in den Trümmern suchen. Pastor Munther Isaac erklärt:
„Gott ist solidarisch mit den Unterdrückten, den Ausgegrenzten. Bei der Weihnachtsgeschichte handelt es sich um die Geschichte eines Babys, das unter den schwierigsten Umständen der Besatzung geboren wurde und das Massaker an Kindern bei seiner Geburt selbst überlebte. Wir haben diese Krippe geschaffen, um die wahre Bedeutung von Weihnachten zu vermitteln, aber auch, um der Welt zu zeigen, wie Weihnachten in Palästina aussieht: zerstörte Häuser, vertriebene Familien, Kinder unter den Trümmern. Ich hoffe, dass die Welt erkennt, dass wir dringend ein Ende dieses Krieges brauchen, der jeden Tag unschuldige Menschen tötet."
https://www.fr.de/politik/krieg-isra...-92744362.html