RUSSLAND
Wie Putin seinem Volk mit Sowjet-Ideologien den Krieg verkauft
Von Pavel Lokshin
Um im Ukraine-Krieg zu bestehen, will Putin die Ausgaben für Militär und Sicherheit
steigern. Bei Bildung und Infrastruktur sollen sie sinken. Damit ihm die Menschen folgen, greift er zu Mitteln aus der Sowjetzeit: Patriotismus-Stunden an Schulen. Doch laut Umfragen ist es dafür zu spät.
Russland soll keine Staatsideologie haben. So entschieden die Väter der russischen
Konstitution 1994 nach den Erfahrungen aus der Ära des Kommunismus. '
Die Kommunistische Partei der Sowjetunion wurde verboten, Scharen von Historikern und Politologen begaben sich, auch im Staatsauftrag, auf die erfolglose Suche nach der politischen Identität des neuen russischen Staates.
Konsens bestand, außer bei Kommunisten, in nur einem Punkt:
Nie wieder sollte eine diktatorische Staatspartei die Führungsrolle übernehmen und der ganzen Gesellschaft vorgeben, was sie glauben soll.
Im Artikel 13 der russischen Verfassung steht: „Ideologische Vielfalt wird anerkannt. Keine Ideologie kann als staatlich oder verpflichtend bestimmt werden.“
Dieser Punkt gilt selbst in der geänderten Verfassung von 2020 weiter, die Wladimir Putin das Weiterregieren bis zum Jahr 2036 erlaubt.
Der russische Autokrat traute sich nicht, diese Regelung zu kassieren.
https://www.welt.de/politik/ausland/...chen-will.html
Seit mehr als 20 Jahren behauptet Putin, sich demokratisch gegen seine Gegner durchzusetzen –während er in Wahrheit die gesamte offizielle Politik kontrolliert und seine Gegner
unterdrückt.
Vor zwei Jahren, als Putin die Verfassung ändern ließ, führte er allerdings noch keinen
offenen Krieg gegen die Ukraine.
Seinem Volk musste er weder die Folgen westlicher Sanktionen verkaufen noch die Mobilisierung, die mindestens 300.000 Männer und Frauen aus ihrem Alltag riss und in seinen Krieg schickte.
Vor der Invasion rechneten die Russen mit politischer und wirtschaftlicher Kontinuität: keine
politischen Freiheiten, aber bescheidener Wohlstand.
Jetzt muss Putin allerdings einem Volk den Krieg verkaufen, samt Rekordwachstum des
Militärbudgets sowie der Ausgaben für die innere Sicherheit ab 2023 – beide Bereiche sollen
um etwa 50 Prozent wachsen. Für diese Ressorts wird Russland dann etwa ein Drittel des
Staatshaushalts ausgeben. Investitionen in zivile Bereiche wie Schulen, Krankenhäuser oder
den Straßenbau sollen um mindestens 20 Prozent sinken.
Innenpolitisch hat Putin ein Modell gebrochen, das er selbst aufgebaut hat.
Propaganda im Fernsehen reicht da nicht mehr aus.
Selbst öffentliche Umfragen legen nahe, dass die Russen kaum Interesse an der Weiterführung des Ukraine-Kriegs haben. In einer Meinungsumfrage des Forschungsinstituts Lewada sprachen sich 57 Prozent für Friedensverhandlungen aus. Nun soll Putins Ideologie die gesamte Gesellschaft durchsetzen.
So hielten sogenannte Patriotismusstunden im neuen Schuljahr Einzug in den Alltag der
russischen Schüler, die im Sinne der Kreml-Propaganda den Krieg und Putins Herrschaft
erklären.
Lehre von den „russländischen Werten“
An Universitäten ist ein verpflichtender Kurs zu „Grundlagen der russischen Staatlichkeit“
geplant. Vor wenigen Tagen erließ Putin ein Dekret zu den „Grundlagen der Staatspolitik zur
Bewahrung und Festigung der traditionellen russländischen geistig-moralischen Werte“ –
inklusive einer Liste dieser Werte, die angeblich alle Staatsbürger Russlands quer durch
Religionen, Altersgruppen und soziale Schichten teilen, wie „Leben“, „Würde“ oder eine
„starke Familie“.
Ohne Bezahlschranke hier
https://www.docdroid.net/WBaPYpC/rus...elt-pdf#page=2