Zitat von
A-Lincoln
Es ist faszinierend, wie hartnäckig sich das Narrativ hält, Mogherini sei "russlandfreundlich" gewesen, obwohl die Faktenlage diametral etwas anderes zeigt. Ja, sie war italienische Außenministerin – für ganze neun Monate. Und nein, in dieser Zeit hat sie weder die Krim-Annexion verharmlost noch eine Abkehr von EU-Sanktionslinien gefordert.
Ganz im Gegenteil: Als EU-Außenbeauftragte verurteilte sie die Annexion der Krim ausdrücklich und betonte die völkerrechtliche Illegalität dieser Handlung. Dass Rom traditionell eine weniger konfrontative Russland-Rhetorik pflegt, ist ein altbekanntes geopolitisches Muster und sagt ungefähr so viel über Mogherini persönlich aus wie die Außentemperatur über den Aggregatzustand eines Kühlschranks.
Der entscheidende Punkt wird gern ausgeblendet: Sobald sie EU-Außenbeauftragte war, war Mogherini strikt an konsensbasierte EU-Politik gebunden – und hat diese sogar aktiv mitgestaltet. Unter ihrer Ägide wurden die Russland-Sanktionen jedes einzelne Jahr verlängert, inklusive der Maßnahmen wegen der Krim und des Donbas. Eine "russlandfreundliche" Amtsführung, die jahrelang Sanktionen aufrechterhält und die Annexion der Krim verurteilt, klingt ungefähr so plausibel wie ein Veganer, der zufällig einen Grillhähnchenladen betreibt.
Die Behauptung, ihre Position sei "zum Glück nie mehrheitsfähig gewesen", lässt zudem elegant aus, dass die EU-Sanktionen Einstimmigkeit erfordern. Das bedeutet: Hätte Mogherini Russland auch nur ansatzweise bevorzugt, wäre sie die einzige Person in der EU gewesen, die Sanktionen hätte blockieren können. Hat sie aber nicht. Nie. Nullmal.
Was bleibt, ist eine rhetorische Konstruktion: Man extrapoliert aus der italienischen Tradition des Dialogfetischismus eine persönliche Gefolgschaft zum Kreml und hofft, dass niemand merkt, dass zwischen diesen beiden Dingen der Atlantik der institutionellen Realität liegt. Außenpolitik ist nun einmal kein moralischer Gemüsehobel, bei dem man nach persönlichen Sympathien schneidet.
Kurz gesagt: Worte machen zwar nichts ungeschehen – aber sie sollten wenigstens zutreffend sein. Und wer Mogherini nachweislich sanktionsgetränkte Amtszeit als "russlandfreundlich" etikettiert, illustriert eher seine Abneigung gegen Nuancen als irgendeinen realen außenpolitischen Sachverhalt. Dass manche Leute mittlerweile hinter jedem Politiker automatisch einen Putin-Agenten vermuten, ist dabei nicht nur analytisch fragwürdig, sondern fast schon absurd.