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Macgregor: Ich denke, dass die NATO schwächer ist als je zuvor. Die Einheit, die Sie sehen, ist bestenfalls eine Fassade. Macron hatte absolut Recht, und er war nicht der erste, der diese Aussagen machte. Die Vereinigten Staaten haben keine Verbündeten in Europa. Es hat militärische Abhängigkeiten.
Es gibt ein Land in Europa, das in der Lage ist, bedeutende militärische Macht einzusetzen und die Szene bei Bedarf zu dominieren, und das ist Deutschland. Deutschland ist heute das, was es vor dem Zweiten und Ersten Weltkrieg war. Es ist die dominierende Macht, die Regionalmacht und zu einem großen Teil eine internationale Macht.
Weltwoche: Wirtschaftlich gesehen...
Macgregor: Ja. Aber es könnte über Nacht alles andere werden, wenn es sich dafür entscheiden würde. Daran hat sich grundsätzlich nichts geändert.
Was Schweden und Finnland betrifft, so glaube ich nicht, dass sie beitreten werden, weil ich nicht viele Beweise dafür sehe, dass die Türkei (die sich gegen die Gewährung der Mitgliedschaft an die beiden ausspricht) ihre Position ändern wird. Ich habe die NATO von innen beobachtet und gesehen, dass sie extrem dysfunktional ist. Immer wieder konnten sich die Europäer nie darauf einigen, dass ein europäischer Staat bei vielem die Führung übernehmen würde. Sie haben nie die Fähigkeiten aufgebaut, die notwendig waren, um europäische Interessen zu verteidigen. Also setzten sie auf Amerikas enorme Investitionen in Führung, Kontrolle, Kommunikation, Computer, Geheimdienste, Überwachung und Aufklärung zurück. Europa war ohne die Vereinigten Staaten praktisch wehrlos.
Eine Reihe amerikanischer Präsidenten hat diesen Zustand genossen, weil wir in den Vereinigten Staaten unter dem leiden, was ich als "nationalen Narzissmus" bezeichnen würde. Es ist schmeichelhaft für uns, uns selbst als diese große imperiale Macht zu betrachten, die alle schützt und beherrscht. Ich denke, das wird sich ändern, weil, offen gesagt, wir nicht über die Mittel oder die Ressourcen verfügen, um dieses Niveau der militärischen Investitionen auf Dauer aufrechtzuerhalten.
Weltwoche: Russland sagt seit Jahren, dass es die NATO-Erweiterung als existenzielle Bedrohung ansieht. Wenn das Bündnis so schwach ist,, hat Russland nichts zu befürchten, oder?
Macgregor: Russland hat keine Angst vor den Europäern. Russland betrachtete die europäischen Staaten immer als völlig unterwürfig und abhängig von Washington. Die NATO ist das von den Vereinigten Staaten geführte Bündnis. Solange wir als die dominierende Macht in Europa und eindeutig feindlich gegenüber Russland angesehen werden, wird Russland das, was unter dem weit gefassten Titel "NATO" geschieht, als existenzielle Bedrohung für Russland betrachten.
Das erklärt warum die Russen anfang des Jahres nur mit den Amis verhandeln wollten. Deutschland würden sie respektieren wenn unsere militärische Stärke größer wäre. Im derzeitigen dekadenten Buntzustand mit Scholz, Habeck und Baerbock an der Spitze wohl eher nicht.