Tagesschau.de / EXKLUSIV
11.04.2022 / von Jakob Mayr / ARD Bruessel
Sanktionen gegen Russland
Die meisten EU-Staaten wollen Russland am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen. Aber das
Geld aus
beschlagnahmten russischen Vermögen lässt sich
nicht einfach verwenden. Brüssel arbeitet an einer Lösung.
Die Ansage Richtung Moskau kam schon öfter seit Beginn des russischen ... in der Ukraine, aber noch nie war sie so klar: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat in der vergangenen Woche bei einer Konferenz in London angekündigt, Hilfe für die Ukraine auch durch
Erlöse finanzieren zu wollen, die aus eingefrorenem russischem Vermögen stammen.
Dafür will Brüssel noch vor der Sommerpause einen Vorschlag vorlegen. "Der Täter muss zur Rechenschaft gezogen werden", betonte die Kommissionspräsidentin in London.
Gewinne aus russischem Vermögen besteuern?
So sieht man das auch in vielen europäischen Staaten. Trotzdem kam von der Leyens Vorstoß überraschend. Die EU hat Schätzungen zufolge etwa
300 Milliarden Euro russische Zentralbankreserven festgesetzt, rund
zwei Drittel dieses
Vermögens befinden sich
innerhalb der
EU.
Das Geld gehört dabei immer noch Moskau, der Kreml kann nur nicht frei darüber verfügen und es etwa weiter zur Finanzierung des ... einsetzen.
Die
EU kann dieses Vermögen
nicht einfach beschlagnahmen und an die Ukraine weiterleiten. Das wäre ein Novum und ein
Bruch internationalen Rechts mit
unabsehbaren Folgen für das Vertrauen in den
Finanzmarkt.
Stattdessen liegt das Geld zur Zeit bei sogenannten
Zentralverwahrern - Unternehmen, die wie riesige Tresore Wertpapiere und anderes Vermögen im Auftrag von Banken
verwalten. Die EU könnte das Vermögen zwar
investieren und die Gewinne
einstreichen. Damit würde sie aber auch für mögliche Verluste
haften.
Seit Februar brütet eine Arbeitsgruppe der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft über Alternativen. Ihr Vorschlag: eine
Steuer auf Gewinne, die die Verwahrstellen derzeit durch das
Verzinsen des auf Eis gelegten Vermögens erzielen. Namentlich sind das die
Zentralverwahrer Euroclear in Belgien oder
Clearstream in Luxemburg.
Euroclear hat im ersten Quartal
734 Millionen Euro solcher
Zinsgewinne gemeldet. Anders Ahnlid, der die Arbeitsgruppe leitet, ist nach eigenen Worten zuversichtlich:
"Ich glaube, dass es unter den Mitgliedstaaten genügend Interesse gibt, weiter daran zu arbeiten, um Zufallsgewinne aus diesem mehr als 200-Milliarden-Euro-Vermögen der russischen Zentralbank in der EU für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden."
"Keine unvernünftige Idee"
Der Wirtschaftswissenschaftler
Nicolas Vergon von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel mahnt zu
besonderer Vorsicht: Nach seinen Worten geht es dabei um eine
komplexe Mischung strategischer, politischer und rechtlicher Erwägungen. Trotzdem hält er Überlegungen für legitim, die riesigen Geldmengen unter EU-Kontrolle zum Wohle der Ukraine zu nutzen.
Dabei könnte die
Besteuerung von
Übergewinnen der
Vermögensverwahrer eine Lösung sein:
"Das ist keine unvernünftige Idee. Sie wirft zwar auch Probleme auf, zum Beispiel, dass diese Besteuerung mit Euroclear nur auf einen Marktteilnehmer abzielt. Aber das könnte ein Weg sein, um dieser Herausforderung zu begegnen."
Grundsätzlich fordern fast alle EU-Regierungen, den Aggressor am Wiederaufbau der Ukraine zu beteiligen. Besonders nachdrücklich tun das
osteuropäische und die
baltischen Staaten. Aber wenn es
konkret wird, sehen viele
rechtliche und
politische Hürden.
Große Bedenken, kleiner Ertrag
Gerade große Mitgliedsstaaten melden Bedenken an, darunter Deutschland. Die Europäische Zentralbank warnt laut Medienberichten davor, dass sich
internationale Anleger aus Europa
zurückziehen könnten, wenn die EU auf
Zufallsgewinne der
Verwahrer von
russischem Vermögen zugreift.
Die möglichen Erträge eines solchen Schrittes wären nach Darstellung von Arbeitsgruppenleiter Ahlid überschaubar:
"Konservativ gemessen schätze ich drei Milliarden Euro pro Jahr zu Beginn und diese Zahl könnte steigen, wenn mehr Vermögenswerte fällig werden. Das mag sich nach einer ziemlich kleinen Summe anhören, aber für den Wiederaufbau der Ukraine wird es doch ziemlich bedeutend sein."
Drei Milliarden Euro - das ist weniger als
ein Prozent dessen, was die Weltbank für den Wiederaufbau des zerstörten Landes veranschlagt. Sie rechnet mit Kosten von mindestens 380 Milliarden Euro.
Geringer Ertrag bei großen politischen und rechtlichen Risiken - es ist gut möglich, dass den markigen Worten
keine Taten folgen. Ende der Woche diskutiert der EU-Gipfel darüber. Die schwedische Arbeitsgruppe gibt den Stab jedenfalls an die Spanier weiter, die ab Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen.
https://www.tagesschau.de/ausland/eu...-geld-100.html