Am 31. Dezember wird an den Opernhäusern der Welt die Fledermaus gespielt, abgestandenes Zeug von Anno Zopp. Vorsicht, selbst diese Operette ist bei weitem vielschichtiger als es zunächst den Anschein hat.
Im Zentrum steht ein Fest des russischen Prinzen Orlowsky, wo vielleicht nicht nur Champagner-Gläser gehoben werden, sondern auch anderes.
Graf Harnoncourt, Nachkomme Maria Theresias, unterstelle ich, daß er feinere Antennen für den Subtext dieses Stücks hat als die meisten von uns.
Von der «Fledermaus» erwartet man die fröhlichste Musik der Welt, ein ganz bestimmtes, sehr leicht verstehbares Genre; Tänze, Lieder und Arien, zu denen man schunkeln kann, die sehr schön sind, die man nachpfeifen kann, die ins Ohr gehen. Aber in Wirklichkeit ist die Strausssche Musik doppelbödig, eben wienerisch - eine sehr zwiespaltige Mischung, die auch Traurigkeit und eine gewisse Morbidität einschliesst. Das macht die Tiefe und Vielschichtigkeit seiner Musik aus.
Das setzt sich dann fort mit dem «Bruderlein und Schwesterlein» im zweiten Akt, das Nikolaus Harnoncourt als Kernstück des Werkes bezeichnet und dessen «Duidu» für ihn das Losungswort der «Fledermaus» ist.
Was hier passiert, muss man aus der Entstehungszeit des Werkes heraus begreifen, einer Zeit, in der sich sogar Eheleute in der Öffentlichkeit siezten. Wollte man Falkes Aufruf zur Verbrüderung von einander völlig Fremden in unsere Zeit übersetzen, er käme einer Aufforderung zum Gruppensex gleich.
Fledermaus - Harnoncourt (rodoni.ch)
Die Aufforderung zum Gruppensex aus der Münchner Vorstellung mit Carlos Kleiber:
https://youtu.be/eSQobZQBsdU?t=5594
Man kann darüber streiten, ob der bei Johann Strauss völlig unerwartete Kunstgriff, die Melodie des "Brüderlein, Brüderlein und Schwesterlein" imitatorisch ineinanderzuschieben, etwas mit Schnackseln zu tun hat, oder diese Auslegung nicht doch zu weit geht.
Was als Affekt auf dargestellt wird, ist der Zustand nach einer Flasche Schampus, wo man "man nicht mehr stehen kann, aber Autofahren geht noch", (Carlos Kleiber). Vielleicht schwingt etwas mehr mit? Wir wissen nicht, was sich der menschlich sehr angenehme Johann Strauss (Hanslick) gedacht hat, aber ausschließen kann man nicht, daß noch etwas anderes zumindest angedeutet wird.
In dieser Nummer springt jedem, der nicht völlig abgestumpft ist, der Subtext entgegen.
https://youtu.be/eSQobZQBsdU?t=4470
Unter Donner und vor dem atomaren Blitz?
https://youtu.be/eSQobZQBsdU?t=5833