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Text: Olga Samofalova
Die Chefin der russischen Zentralbank verspricht, den Zinssatz weiter zu senken, allerdings ohne scharfe Schritte. Eine zu schnelle Senkung des Leitzinses auf 3-4% kann zu einer Hyperinflation führen, mit der Russland in den 90er Jahren geplagt wurde, glaubt Elvira Nabiullina. Gleichzeitig sind die Zinsen in den USA und der EU noch niedriger, und dennoch es gibt es dort keine zweistellige Inflation. Warum ist das in Russland aber anders ?
Die russische Zentralbank befürwortete eine Senkung der Inflation, aber eine starke Senkung des Leitzinses auf 3-4% könnte eine Hyperinflation in Russland auslösen, sagte die Gouverneurin der Zentralbank, Elvira Nabiullina, auf einer Plenarsitzung der Staatsduma. Ihrer Meinung nach gab es eine ähnliche Situation bereits in den 90er Jahren - es gab eine totale Dollarisierung der Wirtschaft und des Finanzsystems.
"Wenn jetzt unter Bedingungen einer relativ hohen Inflation die Rate auf 3-4 % bei uns gesenkt werden würde, glauben einige Beobachter, dass dies das Wirtschaftswachstum in Russland stark fördern wird. Wir werden auf jeden Fall eine solche Analyse erstellen, darauf haben wir uns geeinigt, allerdings bin ich mir sicher, dass dies nur zu zeigen wird, wie der Weg zur Hyperinflation dann aussehen könnte. Obwohl die meisten im Saal sitzenden Menschen diese Situation aus erster Hand kennen. In den 90er Jahren haben wir es in vollen Zügen ausgestanden", sagte Nabiullina vor den Abgeordneten. Ihrer Meinung nach wird dies ein doppelter Schlag für die Konjunktur sein: Zuerst wird die Inflation zwar ansteigen, was aber zu einer Leitzinserhöhung wieder führen würde, um das Preiswachstum zu bremsen.
In den Vereinigten Staaten und der EU sowie in einer Reihe anderer Länder kann der Zinssatz leicht sogar unter 3-4 % gehalten werden. So lagen die Zinssätze der EZB in der Eurozone bis 2022 in der Regel bei null, in der Schweiz war der Diskontsatz der Nationalbank sogar negativ. Und das führt nicht zu einer Hyperinflation – im Gegenteil, es hilft dem Wirtschaftswachstum. Warum ist das in Russland aber ganz anders ?
"Es hängt alles von der Lage der Wirtschaft in Russland ab. Wenn die Wirtschaft an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit arbeitet, was sich oft durch eine niedrige Arbeitslosigkeit zeigt, dann wird eine niedrige Zinsrate einen unkontrollierten Anstieg der Inflation provozieren. In Russland ist genau diese Situation jetzt gegeben, so dass die Senkung des Zinssatzes auf 3-4% der Weg zum türkischen Szenario wäre. Es ist nicht nötig, spezielle Beispiele dafür zu erfinden, was passieren wird – das Beispiel der Türkei mit einer Inflation von 30 Prozent haben wir vor aller Augen", sagt Jewgeni Gorjunow, Leiter der Abteilung für Geldpolitik des Gaidar-Instituts.
Was die Vereinigten Staaten und die EU betrifft, so der Experte, haben sie keine so überhitzte Wirtschaft wie in Russland. Außerdem sind die Inflationserwartungen niedrig, anders als in Russland, wo die Kreditvergabe selbst bei einem hohen Zinssatz derzeit nicht einbricht. Wenn der Zinssatz auf 3-4% gesenkt werden würde, werden die Kreditvergaben stark bei uns steigen und die Preise dann ebenfalls, fügt Gorjunow hinzu.
Auf welches Niveau kann der Zinssatz in Russland sicher gesenkt werden, damit die Wirtschaft wächst, Kredite erschwinglich werden und die Inflation gleichzeitig auf dem Zielniveau von 4 % bleibt ?
"Es hängt alles vom Zeithorizont ab. Im Laufe der Zeit wird die Rate in Russland auf 7-8 % sinken, wenn es keine neuen makroökonomischen Schocks gibt. Im Moment ist es notwendig, die Wirtschaft wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu bringen, dafür hält die Zentralbank den Zinssatz auf einem hohen Niveau. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Rate für weitere eineinhalb bis zwei Jahre auf einem erhöhten Niveau bleiben", glaubt Gorjunow.
Ein Satz von 4-5 % für Russland ist jedoch immer noch nicht unerreichbar und unrealistisch. Am Ende kann es durchaus in unserem Land passieren, aber unter anderen wirtschaftlichen Bedingungen.
"Als der Refinanzierungssatz durch den "modernen" Leitzins der Zentralbank der Russischen Föderation ersetzt wurde, betrug sein erster Wert 5,5 % pro Jahr.
Im Jahr 2020, während der Coronavirus-Pandemie, senkte die Zentralbank der Russischen Föderation den Leitzins auf ein historisches Tief von 4,25 % pro Jahr. Es gab also bereits einen Präzedenzfall in Russland, als der Leitzins auf fast 4 % gesenkt worden und es damals zu keiner Hyperinflation gekommen ist.
Im Jahr 2020 lag die jährliche Inflation unter 5 %", erinnert Natalia Milchakova, leitende Analystin bei Freedom Finance Global.
Wenn der Leitzins jetzt stark auf 4% pro Jahr gesenkt wird, wird dies laut der Expertin zwar die Kreditvergabe und die Inflation erhöhen, aber sie bezweifelt immer noch, dass die Wirtschaft in die Hyperinflation abgleiten wird. Auf der anderen Seite, fügt die Expertin hinzu, werde die Schuldenlast der Bevölkerung und der Unternehmen steigen, ebenso wie die Höhe der überfälligen Kredite und die daraus resultierende Zahl von Insolvenzen sowohl von Unternehmen als auch von Privatpersonen, was das Bankensystem teilweise destabilisieren kann. "Der Wert des Zinssatzes der Zentralbank sollte den wirtschaftlichen Realitäten angemessen sein und das Wirtschaftswachstum nicht negativ beeinflussen", sagte Milchakova.
Der neutrale "Korridor" des Leitzinses, der einerseits die Inflation nicht erhöht und andererseits nicht zu einem Produktionsrückgang führt, liegt bei einem Niveau von 9-12 %, so dass der "Schlüssel" noch Spielraum für eine Reduzierung hat.
Die Zentralbank der Russischen Föderation verspricht, den Zinssatz im Jahr 2026 das ganze Jahr über zu senken. "Wir gehen davon aus, dass die Zentralbank der Russischen Föderation im Dezember eine Pause einlegen wird, um die Mehrwertsteuererhöhung ab dem 1. Januar 2026 zu antizipieren, die die Inflation kurzfristig erhöhen könnte, und Russland wird das Jahr 2025 mit einem Leitzins auf dem aktuellen Niveau von 16,5 % pro Jahr abschließen. Im Jahr 2026 gehen wir davon aus, dass der Leitzins bis Ende des Jahres auf 11-12 % pro Jahr gesenkt werden kann. Wenn der Leitzins sogar auf 12 % sinkt, werden Kredite sowohl für die Unternehmen als auch für die Bevölkerung bereits erschwinglicher", so Milchakova abschließend.
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