5. Kalte Kunst und Todeskunst
Die enormen Mortalitätsraten der Kleinen Eiszeit im Zuge von Missernten, Kriegen und Epidemien wirkten sich auch auf die Kunst aus: So ereignete sich die Blütezeit der Ars Moriendi um 1600 und die Vanitas-Symbolik in der Poesie erreichte mit Peter Gryphius ebenfalls ihren Höhepunkt im 17. Jh.
Das Zufrieren von Gewässern und Flüssen sowie die größeren Schneemengen während der Kleinen Eiszeit hinterließen ebenfalls Spuren in der europäischen Kunst. Während Winterlandschaften zuvor nicht abgebildet worden waren, änderte sich dies im Zuge der schärferen Winter der Kleinen Eiszeit. So malte Pieter Bruegel der Ältere seine ersten Winterlandschaften in Folge des harten Winters von 1565, wobei Bruegel neben der zugefrorenen Landschaft auch winterliche Sportarten wie das Schlittschuhlaufen darstellte. Die flämische Tradition der Winterlandschaftsmalerei beginnt im 17. Jh. mit Hendrick Avercamp, der die populären Motive an wohlhabende Familien verkaufte. Aber auch nach dem 17. Jh. wurden prominente Wetterereignisse wie etwa die Jahrmärkte auf der zugefrorenen Themse und anderen Flüsse in Gemälden und der zeitgenössischen Literatur festgehalten.
6. Französische Revolution
Im Verlauf der Neuzeit waren europäische Staaten aufgrund des Zugewinns an Ackerland und Verbesserungen der Agrartechniken, der Infrastruktur, der Verkehrs- und Kommunikationstechnologie und des Effizienzgrades von Bürokratien und Regierungen immer mehr dazu in der Lage, regionale Hungerkatastrophen auszugleichen und so sozialen Unruhen zuvorzukommen. Hungerkatastrophen galten bereits im 18. Jahrhundert als Zeichen schlechter Regierung. So auch im Falle Frankreichs, wo laut Brian Fagan und Wolfgang Behringer ungünstige Klimaereignisse im Zusammenspiel mit einer falschen Wirtschaftspolitik das Entstehen der Französischen Revolution begünstigten.[7]
Nachdem das Maunderminimum ein Jahrhundert zuvor schlechte Ernten und Kälteeinbrüche bewirkt hatte, verursachte der achtmonatige Ausbruch des Vulkans Laki (1783-1784) auf Island ähnliche klimatische Schwankungen: Der Ausbruch tötete unmittelbar durch den Austritt von Fluorgasen eine große Anzahl von Menschen und Vieh und beförderte erhebliche Mengen von Schwefelverbindungen und Schwebstoffen in die Atmosphäre, die zu einer Abkühlung des Klimas und Missernten führten. Ungünstigerweise hatte sich Frankreich, das gerade zu einer Freihandelspolitik überging, zu dieser Zeit zur Auflösung der staatlichen Vorratshaltung entschieden – das Land glich ab 1785 einem Pulverfass. Die Lage verschärfte sich zusätzlich gegen Ende des Jahrzehnts, als Frankreich 1788 ein extremes Dürrejahr erlebte und Hagel ganze Landstriche verwüstete. Nach einem sehr kalten Winter 1788 brachte das Frühjahr 1789 zudem heftige Überschwemmungen auf die erneut eine Dürre folgte, die ganze Flussläufe austrocknen ließ. Der Brotpreis, schon immer ein Indikator gesellschaftlicher Stabilität, stieg im Zuge dieser Entwicklungen in dramatische Höhen und erreichte am 14. Juli 1789 – dem Tag des Sturms auf die Bastille – seinen Höhepunkt. Obwohl politische, soziale und kulturelle Faktoren Ausbruch und Verlauf der französischen Revolution maßgeblich bestimmten, so lässt sich zumindest konstatieren, dass die französische Revolution auch eine Revolution des Hungers beruhend auf klimatisch bedingten Schwankungen war.[8]
7. Die Erinnerung an die Kleine Eiszeit
Heutzutage wird die Kleine Eiszeit häufig mit der Debatte um die Auswirkungen und Mechanismen des Klimawandels in Verbindung gebracht und spielt eine wichtige Rolle bei der Erstellung von Klimamodellen. Da das Konzept von Eiszeiten erstmals 1837 formuliert wurde, hätten Zeitgenossen des 14. bis 18. Jahrhunderts mit dem Begriff der Kleinen Eiszeit wahrscheinlich kaum etwas anfangen können: Obwohl das Wachstum von Gletschern in ganz Europa, das Versagen von Ernten im Zuge veränderten Wetters und die Wiederkehr von Permafrost auf Grönland auch von Zeitgenossen wahrgenommen wurden, fehlten ihnen sowohl langfristige Archive als auch entsprechende naturwissenschaftliche Deutungsmodelle, um diesen Phänomenen einen Sinn zu geben. Deshalb ist die Erinnerung an die Kleine Eiszeit zwischen Zeitgenossen und heutigen Lesern grundverschieden.
8. Historiker und Klimadeterminismus
In der Geschichtswissenschaft wurde das Konzept der Kleinen Eiszeit zum ersten Mal von Gustaf Utterström (1911-1985) verwendet, um die Krisenzeit Skandinaviens während des 16. und 17. Jahrhunderts zu erklären. Damit wandte er sich gegen den vorherrschenden Trend der Sozialgeschichte nach 1945, die nicht-menschliche Faktoren innerhalb der Geschichte gegenüber menschlichen vernachlässigte. Aufgegriffen wurde Utterströms Ansatz der Klimageschichte unter anderem von dem Historiker der Annales-Schule, Emmanuel Le Roy Ladurie. Ladurie forderte in der Folge Historiker zur Sammlung von Klimadaten auf[9] und verfasste ein Standardwerk der Klimageschichtsschreibung.[10] Weitere Historiker, die sich mit der Kleinen Eiszeit befasst haben, sind Brian Fagan, Wolfgang Behringer, Christian Pfister, Rüdiger Glaser und Rudolf Brazdil.
Für Historiker ist der Umgang mit der Kleinen Eiszeit insofern schwierig, als einzelne Ereignisse nicht immer eindeutig mit den langfristigen klimatischen Prozessen in Verbindung zu bringen sind. So waren einige Winter und Sommer im mittelalterlichen Optimum durchaus kälter als in der Kleinen Eiszeit. Ebenso wenig ist klar, ob beispielsweise ein verregneter Sommer oder ein schwerer Sturm als Folge eines insgesamt kälteren Makroklimas oder doch nur als punktuelles Ereignis zu deuten sind. Zudem können Erklärungen von gesellschaftlichen Ereignissen und Prozessen über klimatische Faktoren leicht zu einem Klimadeterminismus führen. Obwohl die klimatischen Veränderungen der Kleinen Eiszeit sich mit Sicherheit auf die spätmittelalterliche und neuzeitliche Gesellschaft Europas ausgewirkt haben, können gesellschaftliche Entwicklungen nur in wenigen Fällen – wie bei den Wikingern auf Grönland – direkt auf klimatische Veränderungen zurückgeführt werden. In wirtschaftlich-kulturell enger gekoppelten Gegenden Europas wie etwa im deutschsprachigen Raum können gesellschaftliche Transformationsprozesse nicht auf Klimaphänomene reduziert werden.
Fußnoten
[1] Vgl. Wolfgang Behringer, Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung. München 2007 und Brian Fagan, The Little Ice Age. How Climate Made History 1300-1850. New York 2002.
[2] Vgl. Behringer, Kulturgeschichte; Fagan, The Little Ice Age und David Archer, The Long Thaw. How Humans Are Changing the next 100,000 Years of Earth's Climate. Princeton and Oxford 2009, S. 92-93.
[3] Vgl. Alfred Crosby, Ecological Imperialism. The Biological Expansion of Europe. 900-1900. Cambridge 1988, S. 44-56.
[4] Vgl. Wolfgang Behringer, Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung. München 2007, S. 142-148.
[5] Vgl. Ibid., S. 217-220.
[6] Vgl. Ibid., S. 169-202.
[7] Vgl. Behringer, Kulturgeschichte, S. 215-216 und Brian Fagan: The Little Ice Age. How Climate Made History 1300-1850. New York 2002, S. 149-166.
[8] Vgl. Ibid.
[9] Vgl. Emmanuel Le Roy Ladurie, The Territory of the Historian. Chicago and Hassocks 1977, S. 293-316.
[10] Vgl. Ders., Times of Feast, Times of Famine: A History of Climate Since the Year 1000. New York 1988.
http://umweltunderinnerung.de/index....kleine-eiszeit