Handelsblatt / 21.01.2024 / Gerd Höhler
Gasversorgung
Wie sich die Ukraine vollständig von russischem Gas lösen will
Sieben Länder in Ost- und Südosteuropa wollen sich bei der Erdgasversorgung eng vernetzen, darunter auch die Ukraine. Damit wird Griechenland zu einem wichtigen Energie-Knotenpunkt.
Athen. Die Staaten im Osten und in der Mitte Europas wollen
unabhängiger von russischem Erdgas werden. Helfen sollen dabei die neuen
Terminals für
Flüssigerdgas (LNG) beim nordgriechischen Hafen Alexandroupoli. Die erste Anlage wird im
März ihren Betrieb aufnehmen und anfangs vor allem die Balkanländer mit Erdgas versorgen. Jetzt zeigen weitere Staaten Interesse. Griechenland, Bulgarien, Rumänien und Ungarn hatten bereits 2016 vereinbart, ihre Pipeline-Netze zusammenzuschließen. Sie gründeten dazu die Organisation Central and South Eastern Europe Energy Connectivity (CESEC). Die Pläne sehen vor, Erdgas von Griechenland über den sogenannten
„Vertikalen Korridor“ nach Bulgarien und von dort über bestehende Leitungen weiter zu transportieren. Jetzt wollen sich auch die Ukraine, Moldawien und die Slowakei an dem Projekt beteiligen.
Bei einem Treffen der Energieminister der CESEC-Staaten in Athen am vergangenen Freitag unterzeichneten Vertreter der drei Länder eine entsprechende Absichtserklärung. Griechenlands Energieminister Theodoros Skylakakis sprach von einem „sehr wichtigen Schritt zur Verbesserung der Energieversorgungssicherheit in der gesamten Region“.
Die Beteiligung eröffnet neue Perspektiven für Griechenland als Erdgasexporteur. Die Schlüsselrolle werden dabei zwei LNG-Terminals beim nordgriechischen Hafen Alexandroupoli spielen. Betreiber der Anlagen ist das griechisch-bulgarische Konsortium Gastrade. Mitte Dezember ging vor der Hafenstadt die „Alexandroupolis“ als schwimmende Speicher- und Regasifizierungsanlage (FSRU) vor Anker. Der ehemalige LNG-Tanker stammt aus dem Bestand der Reederei GasLog des griechischen Reeders Peter Livanos und wurde während der vergangenen Monate in Singapur für den Einsatz als LNG-Terminal umgerüstet. Livanos gehört mit 20 Prozent der Anteile zu den fünf Aktionären von Gastrade. Weitere Partner sind mit jeweils einem Fünftel die griechische Unternehmerin Elmina Copelouzou, der griechische Gasversorger Depa Commercial und der Hochdrucknetzbetreiber Desfa sowie die bulgarische Bulgartransgaz. Griechenland und die
EU fördern das auf
394 Millionen Euro veranschlagte Projekt mit
167 Millionen.
70 Prozent des LNG wird exportiert
Gastrade plant ein zweites Terminal acht Kilometer östlich von der ersten Anlage. In Betrieb gehen soll es 2025. Zusammen sollen beide Terminals eine maximale Kapazität von elf Milliarden Kubikmeter pro Jahr erreichen. 70 Prozent des in Alexandroupoli angelieferten LNG will Gastrade exportieren. Über Bulgarien soll das Gas nach Serbien, Nordmazedonien und Rumänien fließen. Später können
Moldawien und die
Ukraine sowie im Westen
Ungarn, Österreich und die
Slowakei angeschlossen werden.
Diese Länder bekommen mit der Anbindung an das griechische Netz die Möglichkeit, sich
weiter vom
Lieferanten Russland zu lösen. Der Kremlkonzern
Gazprom liefert auf
zwei Wegen Pipeline-Gas nach Westen: Die
Leitung Turkstream verläuft vom
Süden Russlands durch das
Schwarze Meer in die
Türkei und versorgt von dort mehrere Länder auf dem Balkan. Die
zweite Trasse ist die
Pipeline Transgas, die durch die
Ukraine, die
Slowakei und
Tschechien nach
Österreich und
Deutschland führt. Wichtigste Empfängerländer sind
Tschechien und
Österreich.
Trotz aller Sanktionen: Russland verdient wieder mehr Geld mit Öl und Gas
Die Ukraine selbst kauft schon seit 2015 kein Gas mehr
direkt in Russland ein, sondern
bezieht Gas aus Westen, vor allem aus der
Slowakei, Ungarn und
Polen. Dabei handelt es sich auch um
russisches Gas, das zuvor im
Transit durch die
Transgas-Pipeline über die
Ukraine nach
Westeuropa gepumpt wurde.
Der
Transitvertrag der
Ukraine mit dem russischen Staatskonzern
Gazprom läuft aber
Ende dieses Jahres aus. Anfang
2025 werde die
Ukraine die
Gaslieferungen deshalb einstellen, kündigte der Chef des staatlichen ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz, Olexij Tschernyschow, im vergangenen Oktober an. Die betroffenen Länder müssen sich deshalb nach anderen Quellen umsehen.
EU hat Aus für russisches Gas beschlossen
Ein Teil des Bedarfs könnte durch
Turkstream gedeckt werden. Die Kapazität der Leitung ist aber begrenzt. Zudem hat die EU für
2027 ein komplettes Aus für Gas aus Russland beschlossen. Ab dann soll russisches Gas weder über den Seeweg noch über die Pipelines in die EU gelangen. Als eine Alternative bietet sich deshalb für die mittel- und osteuropäischen Länder, die momentan noch von russischem Gas abhängig sind und keine eigenen Seehäfen für den Import von Flüssigerdgas haben, der
vertikale Korridor von Alexandroupoli über Bulgarien an.
Griechenland baut vor diesem Hintergrund seine LNG-Infrastruktur massiv aus. Neben den beiden Terminals bei Alexandroupoli sollen bis
2025 bei Korinth, Thessaloniki und Volos drei schwimmende Anlagen in Betrieb gehen. Die rechnerische Gesamtkapazität der fünf Terminals wird bei
22,5 Milliarden Kubikmeter im Jahr liegen. Das ist das Viereinhalbfache des derzeitigen griechischen Erdgasverbrauchs.
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