T-Online / Nachrichten / 15.04.2021 (Auszug)
Telegram-Experte mit Mission
Aufgespürt: Dieser Mann vernetzt alle Umsturzideen
Auf Telegram gärt der Protest gegen Corona-Maßnahmen und "das System". t-online und das ARD-Magazin "Kontraste" haben eine Schlüsselfigur gefunden:
den Mann, der hinter Tausenden Kanälen und Gruppen steckt.
Frank friert. Der kalte Wind lässt das Sweatshirt an seinem knochigen Körper flattern, und dazu fliegen ihm Fragen um die Ohren, mit denen er nicht gerechnet hat. Die Sonne schien noch und es war warm, als er begonnen hatte, von Licht, friedvollen Absichten und dem Besten für alle Menschen zu erzählen.
Aber
Frank Schreibmüller ist nicht irgendwer:
Er drang mit mutmaßlichen Rechtsterroristen in eine Asylunterkunft ein und ist für Thüringens Verfassungsschutz selbst Rechtsextremist, er war Hochzeitsgast bei einem Sektenführer, er kooperierte mit der Anführerin des Sturms auf die Reichstagstreppen und unterstützte bei der Aktion DDay2.0 die Organisation von Blockaden auf der Autobahn.
Michael Ballweg, dem "Querdenken"-Gründer, hat er er nach eigenen Angaben Telegram erklärt: "Michael hat mich eingeladen, er wollte von mir mehr lernen darüber." Telegram war ein Schlüssel für das Aufkommen von "Querdenken", sagt Ballweg.
Der Nachrichtendienst ist für die meisten Nutzer vor allem zensurfreie Alternative zu WhatsApp, mit weniger Einschränkungen und mehr Möglichkeiten. In diesem Netzwerk gärt und organisiert sich der Corona-Protest. Und Frank ist so etwas wie die Spinne im Netz. Er ist mittendrin und hat den Auf- und Ausbau seit Jahren vorbereitet.
Frank hat bereits 2018 auf Telegram ein Netzwerk für Gelbwesten in Deutschland aufgebaut, in dem vom Umsturz geträumt wurde. Auf Telegram ist "Frank der Reisende" wahrscheinlich der aktivste Nutzer in Deutschland und der am besten vernetzte.
Er ist an bis zu
4.000 "Projekten", beteiligt, wie er das nennt. Das sind viele Gruppen und noch mehr Kanäle in dem Messengerdienst. Technisch sind dafür Hunderte SIM-Karten nötig. t-online und das ARD-Politikmagazin "Kontraste" haben ihn ausfindig gemacht und tiefe Einblicke gewonnen.
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Seit er keinen festen Wohnsitz mehr hat, mal hier, mal dort lebt, nennt er sich "Frank der Reisende". Er hält sich da auf, wo seine Hilfe gerade benötigt wird. So sieht er das. Denn Frank wird nicht nur gerne gefragt, er hilft auch gern. Gerade in Österreich, bei einer wichtigen Figur der "Querdenker"-Szene.
Frank ist im Team von Alexander Ehrlich, dem Mann, der "Honk for Hope" ("Hupen für Hoffnung") gegründet hat und der zuerst Busreisen zu Demos organisierte und längst Demos selbst organisiert. Nach Ulm ist Ehrlich aber ohne Frank gekommen und rät zu einer Mail an seinen Assistenten.
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Ohne Maske hat ihn die Bundespolizei in Erfurt im vergangenen Jahr aus dem Zug geholt. Von ihm war dann zu lesen: "Die haben nicht mal annähernd eine Ahnung, wer da bei ihnen in der Dienststelle saß. Ich bin in der BRD nicht existent." Er hatte nur ein Attest eines Kasseler Arztes dabei, der sie blanko angeboten und in Videos vor einem "Q" in den Farben des Deutschen Reichs beworben hatte. Mit dem Arzt hat Frank auch auf Telegram kooperiert, schrieb er. Natürlich.
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Wie Frank zum Aussteiger und Aktivisten wurde
Als er in München 2019 in eine Asylbewerberunterkunft eingedrungen ist, hat er nicht nachgefragt. Ermittlungen deshalb laufen noch. Er war in gelber Weste unterwegs, andere Eindringlinge trugen Jacken der "Wodans Erben Germanien". Ihr Führer in Bayern, Frank H., steht seit Dienstag in Stuttgart mit elf anderen Mitgliedern der Gruppe S. vor Gericht. Laut Ermittlungsakten gingen Pläne in der Gruppe sogar so weit, auf einen Schlag alle Politiker im Reichstag auszuschalten. Frank und Frank H. trafen sich mehrfach.
Schreibmüller, der nicht so genannt werden will, ist doch nicht allein zum See gekommen. Der "Honk for Hope"-Gründer Alexander Ehrlich kommt angeschlendert, mit ihm eine Frau mit Sonnenbrille und Maske aus einem schwarzen Netz. Sie filmt, wie gefilmt wird, will aber selbst nicht auf Bildern sein. Die Frau war unter den "alternativen" Journalisten, die AfD-Abgeordnete im vergangenen Jahr in den Bundestag eingeschleust und damit einen Eklat ausgelöst hatten.
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Frank war zuvor schon seit Jahren in einem Reichsbürger-"Netzwerk der Staatsangehörigen" aktiv. Auf Facebook warb er 2016: "Hier findet ihr jede Menge Gleichgesinnter, wacht auf, vernetzt euch." Nur nicht auf Facebook: "zu gefährlich". Gegen Facebook hat er etwas, und gegen WhatsApp inzwischen auch.
Dabei hat er dort das größte deutschsprachige Netzwerk aufgebaut, erzählt er im Interview. "Was wir heute auf Telegram haben, ist aber 20-fach größer." Das ist durchaus bescheiden, denn auf Telegram schrieb er: tausendfach größer.
Expansion:
Das Netzwerk, das sie früher auf WhatsApp hatten, hätten sie auf Telegram vertausendfacht, schrieb Frank in einer Gruppe. (Quelle: Screenshot Telegram)Expansion: Das Netzwerk, das sie früher auf WhatsApp hatten, hätten sie auf Telegram vertausendfacht, schrieb Frank in einer Gruppe. (Quelle: Screenshot Telegram)
Im Februar 2019 forcierte der Netzwerker eine Kampagne "WhatsApp zu Telegram". "Wir haben das auch schon selber zu 100en in WhatsApp gepostet", erklärte er. Im Kanal zu der Aktion stehen damals rund 50 verschiedene Grafikvorlagen bereit, die Argumente liefern sollten. Eines davon: "In WhatsApp wird die nächste Revolution an dir komplett vorbeigehen." Keine Revolution ohne Telegram – das ist die Botschaft.
Und auf Telegram mit Franks Hilfe auch ohne Gegenrede: Wenn er einen Nutzer sperrt, handelt der sich "eine Art Telegram-Aus" ein, erklärte er im August: Eine Sperre galt dann gleich für 263 Gruppen. Vernetzung und Bots machen es möglich, und Frank hat einen eigenen Bot programmieren lassen, den er auch zur Nutzung und als Arbeitserleichterung anbietet.
Wie Franks riesiges Netzwerk funktioniert
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Fürs riesige Telegram-Netzwerk braucht es aber auch noch weitere Administratoren und Helfer. Technisch können mit einem Account nur zehn öffentliche Projekte gegründet werden, dann ist ein neuer Account mit anderer SIM-Karte nötig. Für Franks Netzwerk sind also Hunderte Accounts notwendig. Von 200, 300 SIM-Karten war mal die Rede. Er habe die nicht, "das macht jemand anderes". Telefonkarten ohne Registrierung sind auch auf Telegram zu bekommen.
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Bei der OCG-Sekte: Auch bei der "Anti-Zensur-Koalition" trug "Frank der Reisende" seinen Hut, als er aus einer der ersten Reihen Laienprediger Ivo Sasek zuhörte. (Quelle: kla.tv (CC-BY))Bei der OCG-Sekte: Auch bei der "Anti-Zensur-Koalition" trug "Frank der Reisende" seinen Hut, als er aus einer der ersten Reihen Laienprediger Ivo Sasek zuhörte. (Quelle: kla.tv (CC-BY))
Die Sekte dankte ihm 2019 mit einer Einladung zur "Anti-Zensur-Koalition", einem jährlichen Stelldichein für rechte Esoterik, Verschwörungstheorien, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Geschichtsrevisionismus. Und er traf mit Heiko Müller die ganze Familie Sasek und wurde zur Doppelhochzeit von zwei der zehn Kinder des Sektenchefs eingeladen. "Es war ein Geschenk, eingeladen und familiär aufgenommen worden zu sein." Frank und Heiko Müller saßen weit vorne, wie ein Video zeigt.
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Im Frühling 2020 nahm Müller auch viele gemeinsame Filmchen mit Frank auf. "Corona-Fantasien über dem tiefen Loch ..." heißt eines, es wurde in einem Steinbruch aufgenommen. "Hier könnte man den ein oder anderen Politiker hinschicken. Oder Banker", erklärt Müller in dem Video – und Frank nickt. "Das ist eure Zukunft, wenn es zu einem Wechsel kommt." Also Zwangsarbeit für Politiker und Banker? Müller relativiert am Telefon, das sei "Satire".
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Bei Ballweg sei er gewesen, um ihm Telegram zu erklären, sagt Frank im Interview. Ballweg teilte am Donnerstag mit, "Frank der Reisende“ adminstriere Telegram-Gruppen, allerdings nicht die von Querdenken-711. Die Aussagen könne er nicht beurteilen, da sie ihm nicht bekannt seien. Es sei nicht seine Aufgabe, Telegram-Posts von Nutzern zu kommentieren.
Im Messengerdienst berichtete Frank auch von einem Treffen mit Bodo Schiffmann, dem Schwindel-Arzt, der mit weinend vorgetragenen Lügen zu toten Kindern aufgefallen ist. Schiffmann, zu der Zeit Parteigründer, lehne Parteien ab, "sonst hätten wir ihn gar nicht unterstützt. Es wird in den nächsten Jahren sowieso nicht mehr gewählt", schrieb Frank da. Schiffmanns damalige Partei "Widerstand 2020" durfte bereits bestehende Frank-Gruppen verwenden.
Wie Frank seine Rolle relativiert
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Eine Frage erwischt ihn wie ein kalter Schauer: Er hat in Telegram-Gruppen geschrieben, dass er bei "Querdenken"-Veranstaltungen hinter den Bühnen "Koffer mit Scheinen gesehen [hat], davon träumt jeder Unternehmer." Es seien vor allem Scheine von 20 Euro aufwärts gewesen, "und die Koffer in Reisekoffer-Größe gingen kaum noch zu."
Frank will nun darüber nicht reden. "Ich glaube, damit tue ich weder Ihnen noch mir einen Gefallen", sagt er.
Der "Honk for Hope"-Gründer Ehrlich schaltet sich ein. Vorhin hat ihm eine Windböe sein auf den Boden gelegtes Face-Shield davongeweht. Für "inhaltlich fundiertere Angaben zur Finanzierung der Friedensbewegung" sei Frank der falsche Ansprechpartner, sagt er jetzt. Frank sei schließlich Techniker.
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Politikwissenschaftler Josef Holnburger, Geschäftsführer des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), widerspricht der Relativierung: "Nach meiner Einschätzung hat er 'Querdenken' durch seine Infrastruktur durchaus beeinflusst. Durch seine Werkzeuge waren Mobilisierungen wie in Berlin und zuletzt auch Kassel oft möglich."
Holnburger meint Gruppen und Kanäle von und mit Frank: Sie tragen Demo-Termine zusammen, sie dienen zum Austausch über Unterkünfte und Mitfahrgelegenheiten für Demos. Derartige Gruppen gehörten früh zu seinen Projekten. "Frank der Reisende" erklärt: "Wenn ich ein Thema sehe, mache ich ein Projekt."
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Xavie Naidoo in einem Video auf Telegram: Hinter seinem Kanal steckte Frank der Reisende. (Quelle: Screenshot Telegram)Xavie Naidoo in einem Video auf Telegram: Hinter seinem Kanal steckte Frank der Reisende. (Quelle: Screenshot Telegram)
Frank hat zuletzt auch einen Kanal für Nena vorbereitet, sagt er. Und die Sängerin über ihren Webmaster davon informiert. Nena sei schon bei Telegram. In der Szene ist die Hoffnung groß, dass sie wie Naidoo oder der Wendler zum nächsten Verstärker von Verschwörungsideologien wird.
Frank hilft mit, dass Grenzen verschwimmen:
Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan J. Kramer weiß von Frank. Er sagt: "Hier zeigt sich sehr deutlich, dass wir Überschneidungen haben zwischen der Reichsbürger-Szene, und der Hardcore-Rechtsextremismus-Szene und jetzt, wie wir eben auch feststellen, mit der 'Querdenken'-Szene und der insgesamt aufgeheizten Anti-Corona-Lage."
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