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Vollständige Version anzeigen : Private Krankenversicherung und Hartz IV



GG146
09.06.2010, 13:37
Ich kopiere hier mal ein Thema von meinem Forum herüber, das dort schon fast 2 Wochen läuft. Ich wollte eigentlich nicht soviel von dort hier ausbreiten, aber zu diesem speziellen Thema gibt es derzeit einige neue Urteile und es ist hinsichtlich der Konsequenzen für die Betroffenen sowie in verfassungsrechtlicher Hinsicht schon ziemlich gravierend. Es geht um privat krankenversichert AlG II - Empfänger, die seit Anfang 2009 nicht mehr in die GKV zurückkönnen, von der ARGE aber nur den gegenüber dem PKV - Basistarif geringeren GKV - Mindestsatz erhalten. So bleiben ihnen nur ca. 180 Euro statt über 350 Euro für den Lebensunterhalt.

Hier der erste Beitrag des threads:

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Das hat heute eine neue Teilnehmerin auf dem Forum des Portals Bürgermeinungen (http://www.buergermeinungen.de/index.php?option=com_kunena&Itemid=55&func=view&catid=6&id=1437) geschrieben:


Es gibt inzwischen mehrere Entscheidungen, die davon ausgehen, dass Hartz-IV-Empfänger ein Anrecht auf volle Übernahme ihrer Beiträge für die private Krankenversicherung im Basistarif haben.

So hat das Sozialgericht Gelsenkirchen am 2.10.2009 (S 31 AS 174/09 ER) durch Eilbeschluss entschieden. Die unzureichende Übernahmeregelung in § 12 Abs. 1 c Versicherungsaufsichtsgesetz führt bisher dazu, dass eine Lücke von mindestens 155 € bleibt, die aus dem Regelsatz aufzubringen ist. Das Gericht sah einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz und hat die Regelung des § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB II für freiwillig gesetzlich Krankenversicherte, deren Beiträge ohne Begrenzung übernommen werden, analog angewandt.

Auch das Landessozialgericht Niedersachsen Bremen hat am 3.12.2009 durch Eilbeschluss (Az.: L 15 AS 1048/09 B ER) entsprechend entschieden, weil es die Regelung, aufgrund derer Bezieher von Alg II einen festen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung bekommen, für verfassungswidrig hält. Das Gericht stellte fest, dass es die verfassungsmäßige Grenze des Existenzminimums unterschreitet, wenn nach Abzug der Krankenversicherung nur 180 € zum Leben bleiben.

Danke für diese Hinweise, die sicher noch für viele sehr wertvoll sein werden.

Quelle: Grundgesetz Aktivierer > Gesundheitspolitik > Private Krankenversicherung und Hartz IV (http://35828.forendienst.de/show_messages.php?mid=4619138)

GG146
09.06.2010, 13:38
Von DJ_rainbow:
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Eine Meldung von gestern:

"Düsseldorf (dpa/lnw) - Jobcenter müssen die Kosten für die private Krankenversicherung von Hartz-IV-Empfängern vollständig übernehmen. Düsseldorfer Richter fällten zwei entsprechende Urteile zugunsten von Hartz-IV-Beziehern, wie das Sozialgericht am Dienstag mitteilte.

Die Kläger waren im günstigsten Tarif privat versichert, ein Wechsel in die gesetzliche Krankenversicherung war nicht möglich. Die Jobcenter (Argen) in Düsseldorf und im Kreis Viersen wollten nur einen Zuschuss in Höhe des Beitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung gewähren. Die Differenz sollen die Hartz-IV- Empfänger selbst zahlen. Doch dann sei das Existenzminimum nicht mehr gewährleistet, befand das Gericht und verurteilte die Jobcenter zur Zahlung des vollen privaten Krankenversicherungsbeitrags (Az.: S 29 AS 547/10; AS 412/10).

Die Urteile sind nicht rechtskräftig, die Argen in Düsseldorf und im Kreis Viersen gingen in Berufung."

http://www.justiz.nrw.de/Mitteilungen/dpa_08_06_2010_4/index.php

politisch Verfolgter
09.06.2010, 13:51
Kassen, Praxen, Apotheken und ArbeitsgesetzDreck abstellen, die AnbieterRechtsOrdnung herstellen.
Sozialstaat und ÖD um mind. 90 % reduzieren.
Behandlungszentren haben mit Finanzbehörden abzurechnen.
Diagosen definieren Methoden.
Globale Experten haben sich laufend untereinander aufs jeweilige MethodenOptimum zu verständigen, was dann umzusetzen ist.

GG146
09.06.2010, 15:06
Noch ein paar Beiträge auf dem Portal "Bürgermeinungen" und meine Antworten darauf:
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Die Urteile sind nicht rechtskräftig, die Argen in Düsseldorf und im Kreis Viersen gingen in Berufung."

Wieso gehen die Argen dagegen in Berufung? Es muss doch wohl klar sein das kein Mensch von nur 180,00 € mtl. richtig überleben kann.

Die ARGEn beziehen sich auf die einfachgesetzliche Rechtslage, nach der seit Anfang 2009 PKV - Versicherte eben von 180 Euro im Monat leben müssen. Dass das verfassungswidrig ist, ist ihrer Meinung nach eben nicht ihr Bier, weil jeder meint, dass nur das BVerfG für solche Fragen zuständig ist. Das ist allerdings eine allgemein vorherrschende falsche Vorstellung. Tatsächlich gilt das hier:


Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Quelle: http://dejure.org/gesetze/GG/1.html


Diese Praxis finde ich in verfassungsrechtlich glasklaren Fällen höchst problematisch. Das BVerfG hat sich bereits mehrfach dazu geäussert, was im Lichte des Art. 1 GG als Lebensminimum zu verstehen ist. Die Halbierung des verfügbaren AlG II - Satzes für PKV - Versicherte ist damit ganz offensichtlich nicht zu vereinbaren.

Wenn auch offensichtlich verfassungswidrige neue Regelungen in jedem Einzelfall immer wieder durch alle Instanzen geprüft und schliesslich vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt werden müssen, ermöglicht das vorsätzlich verfassungsrechtswidriges Handeln der Staatsorgane auf Zeit. Bis zur endgültigen Klärung der in Wirklichkeit nicht klärungsbedürftigen Fragen sparen die Behörden schliesslich sehr viel Geld durch nicht angefochtene verfassungsrechtswidrige Bescheide in vielen Einzelfällen.

Das soll eben durch die gerade von mir zitierte Formulierung des Artikel 1 Abs. 3 GG ausgeschlossen werden.
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Ich frage mich bloß, wie die erst- instanzlichen Gerichte dazu gebracht werden können, dieser klaren Auslegung zu folgen.

Es ist selbstverständlich, dass es mir lieber wäre, alle Unterinstanzen überzeugen zu können und die ARGE davon zu überzeugen, dass der Anspruch immer besteht.

Ich sehe das aber nicht funktionieren. Deshalb glaube ich eben, dass massenhaft durchgezogene Klagen mit der m.E. klaren Entscheidung der ggfs.letzten und höchsten Instanz die Behörden irgendwann zu überzeugen vermag, dass es recht teuer werden kann, klare Rechtsansprüche zu verweigern.

Ansonsten wäre es mir natürich lieber, wenn die Einsicht in grundrechtliche Basisgarantien Rechtssicherheit für die Betroffenen ermöglichen würde.

Ich wollte auch nicht behaupten, dass es derzeit andere Wege als den von Ihnen aufgezeigten gäbe.

Ich wollte nur hervorheben, dass das Verfassungspostulat des Artikel 1 Abs. 3 derzeit nicht in gesellschaftliche Realität umsetzbar ist (das gilt auch noch für weitere Ansprüche des GG, z. B. den aus Art. 38) und dass wir staatsrechtlich gesehen noch lange nicht in der besten aller Welten leben - auch wenn Deutsche sich das traditionell selbst einreden.