PDA

Vollständige Version anzeigen : Und nochmal Daschner



GG146
08.09.2009, 19:31
Heute habe ich mir Wikipedia zum Thema "Ehrenmord" angesehen und bin da auf diesen Link gestoßen:


Ehrenmord und Würdemord, Vor eigener Tür, Ehrenmord und Würdemord, Mord aus niedrigen und aus höchsten Beweggründen, Kommentar von Ulrich Perwass (http://de.wikipedia.org/wiki/Ehrenmord)

Der Autor und HP - Betreiber befasst sich unter diesem Link auch zunächst mit dem erwarteten Thema:

http://www.ulrich.perwass.de/Kommentare/Vor_eigener_Tuer.htm

Auf der selben HP besitzt er dann aber die Chuzpe, den heutigen Umgang in Deutschland und Europa mit dem Begriff "Menschenwürde" mit dem orientalischen Ehrbegriff zu vergleichen. Den Schutz der Menschenwürde des damaligen Tatverdächtigen Gäfgen um den Preis der Aufgabe des Lebens des Kindes (m. M. n. = staatliche Tötung durch Unterlassen) bezeichnet er als "Würdemord".

Das hat mich veranlasst, noch einmal neu über diesen Fall nachzudenken. Kann das wirklich richtig sein, von einem Menschen die Aufopferung seines Lebens zu verlangen bzw. direkt staatlich darüber zu verfügen, um die Menschwürde eines Dritten zu schützen? Oder wird überhaupt erst durch diese Verfügungsanmaßung des Staates gegen das Leben des Opfers bzw. Adressaten einer verbrecherischen Aggression mit dem Ziel des Schutzes der tatsächlich oder auch nur vermeintlich bedrohten Menschenwürde des Aggressors die eigentliche Menschenrechtsverletzung gegen den Entführten und seine Angehörigen begangen und ihre Menschenwürde völlig übersehen und durch aktives staatliches Handeln (Wahrnehmung der Fürsorgepflicht gegenüber dem inhaftierten Aggressor während der Begehung des Mordes durch Unterlassen) verletzt?

Ich habe fast den Eindruck, dass das so ist. In dem Zusammenhang hier der letzte Artikel der Menschenrechtserklärung zur UNO - Charta:


Artikel 30:
Keine Bestimmung der vorliegenden Erklärung darf so ausgelegt werden, daß sich daraus für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht ergibt, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu setzen, welche auf die Vernichtung der in dieser Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten abzielen." (http://www.bankkaufmann.com/c-145-Menschenrechte-Artikel-1-30.html)

Die Autoren kannten anscheinend ihre §§ - Pappenheimer und wollten mit der abschliessenden Vorschrift verhindern, dass aus den Normen der Menschenrechtserklärung von einem bestimmten Juristen - Typus Waffen gegen die Schutzbereiche eben jener Normen geschmiedet werden.

Mir scheint, die üblichen Verdächtigen, die der Artikel 30 MRK ansprechen sollte, haben sich nicht angesprochen gefühlt. Jedenfalls nicht in Deutschland und Europa.

Gawen
08.09.2009, 19:59
Kann das wirklich richtig sein, von einem Menschen die Aufopferung seines Lebens zu verlangen bzw. direkt staatlich darüber zu verfügen, um die Menschwürde eines Dritten zu schützen?

Das ist kodifizierte Selbstentmachtung.

Kein Problem, wenn eine Gesellschaft die möglichen Folgen zu tragen bereit ist.


"Ich habe eine Bombe platziert und wenn die hochgeht... Aber das macht euch ja nichts aus... Also seid schön brav!"

Das organisierte Gegenteil ist Guantanamo...

GG146
08.09.2009, 20:11
Das ist kodifizierte Selbstentmachtung.

Mir geht es weniger um politische Machtfragen, als um die Widersprüchlichkeit auf höchster staatlicher Ebene. Sie verletzen durch aktives Tun genau das, was zu schützen nach eigenem Bekunden und Art. 1 Grundgesetz die oberste Pflicht des Staates ist, nämlich den Kernschutzbereich des Artikel 1 GG auf der Seite des entführten Kindes und der Angehörigen.

Gawen
08.09.2009, 20:22
Mir geht es weniger um politische Machtfragen, als um die Widersprüchlichkeit auf höchster staatlicher Ebene. Sie verletzen durch aktives Tun genau das, was zu schützen nach eigenem Bekunden und Art. 1 Grundgesetz die oberste Pflicht des Staates ist, nämlich den Kernschutzbereich des Artikel 1 GG auf der Seite des entführten Kindes und der Angehörigen.

Das ist falsch, es ist unterlassene Hilfeleistung aus rechtlich gegebenem Grund, nämlich dem für die Staatsgewalt absolut geltenden Folterverbot.


Nicht, daß ich ein solches Vorgehen evolutionär betrachtet nicht auch idiotisch fände, aber so sind nunmal die geltenden Regeln.

Ich wäre da nicht so pienzig, die richtige Droge oder eine Schraubzwinge an der richtigen Stelle angesetzt, wenn es mal schnell gehen muss, wirkten sicherlich manchmal Wunder, aber wir leben halt nunmal in einer mehrheitlich gewollten Gutmenschendiktatur.

Wir führen ja auch Kriege, die man nicht so nennen darf... :]

FranzKonz
08.09.2009, 20:23
Mir geht es weniger um politische Machtfragen, als um die Widersprüchlichkeit auf höchster staatlicher Ebene. Sie verletzen durch aktives Tun genau das, was zu schützen nach eigenem Bekunden und Art. 1 Grundgesetz die oberste Pflicht des Staates ist, nämlich den Kernschutzbereich des Artikel 1 GG auf der Seite des entführten Kindes und der Angehörigen.

Dieses Problem hast Du praktisch überall. Du kannst aber dem Herrn Daschner nicht im Vorraus einen Freifahrtschein geben. Du kannst lediglich hoffen, daß im entscheidenen Moment an der entscheidenen Stelle ein aufrechter, gewissenhafter Mann sitzt. Nach meiner Überzeugung ist Daschner ein solcher Mann.

Gawen
08.09.2009, 20:27
Du kannst lediglich hoffen, daß im entscheidenen Moment an der entscheidenen Stelle ein aufrechter, gewissenhafter Mann sitzt. Nach meiner Überzeugung ist Daschner ein solcher Mann.

Aber Du musst den aufrechten, gewissenhaften Mann dann halt für seine aufrechte Haltung verurteilen, auch wenn er nur seine subjektive Pflicht getan hat.

Objektiv nach Gutmenschengesetz hat er sich halt strafbar gemacht, da Nothilfe eine gegenwärtige Gefahr voraussetzt, der unmittelbar abgeholfen werden kann, was bei einer Entführung mit unbekanntem aufenthalt des Opfers oder einer versteckten zeitgezündeten Bombe halt nicht gegeben ist...

FranzKonz
08.09.2009, 20:38
Aber Du musst den aufrechten, gewissenhaften Mann dann halt für seine aufrechte Haltung verurteilen, auch wenn er nur seine subjektive Pflicht getan hat.

Objektiv nach Gutmenschengesetz hat er sich halt strafbar gemacht.

Ja. Hätte der Kleine noch gelebt, und hätte ein blödes Bürokratenarschloch auf Daschners Stuhl gesessen, wäre der Kleine aus diesem Grund gestorben. Hätte der Kleine noch gelebt und Daschner hätte ihn gerettet, wäre er ein Held geworden. So hätte Daschner die Arschkarte gezogen, wenn nicht eine vernünftige Justiz sein Strafverfahren vernünftig gehandhabt hätte und seine vorgesetzte Behörde keine vernünftige Ausweichstelle für ihn gefunden hätte.

Egal, wie Du es drehst und wendest: Du wirst letztlich immer einen Rest von Ermessensspielraum für die Akteure haben müssen, denn selbst wenn es möglich wäre, alles bis ins letzte Detail zu regulieren, wäre niemand mehr in der Lage alle Regeln zu überschauen.

GG146
08.09.2009, 20:57
Das ist falsch, es ist unterlassene Hilfeleistung aus rechtlich gegebenem Grund, nämlich dem für die Staatsgewalt absolut geltenden Folterverbot.


Unterlassene Hilfeleistung auf keinen Fall, wenn man diesen Unwertgehalt staatlichen Handelns schon Strafrechtsnormen zuweist, dann Totschlag durch Unterlassen, §§ 212, 13 StGB.

Und ob es Folter ist, jemanden zu einer Handlung bzw. Aussage, zu der er rechtlich verpflichtet ist, mit Gewalt zu zwingen, ist noch die Frage. Schliesslich ging es da nicht primär um die Erzwingung eines Geständnisses, sondern um die Rettung des Kindes.

meckerle
08.09.2009, 20:59
Dieses Problem hast Du praktisch überall. Du kannst aber dem Herrn Daschner nicht im Vorraus einen Freifahrtschein geben. Du kannst lediglich hoffen, daß im entscheidenen Moment an der entscheidenen Stelle ein aufrechter, gewissenhafter Mann sitzt. Nach meiner Überzeugung ist Daschner ein solcher Mann.
:top: Und genau die aufrechten, fähigen Leute werden dann strafversetzt!
Eine Schande ist das.

GG146
08.09.2009, 21:02
Dieses Problem hast Du praktisch überall. Du kannst aber dem Herrn Daschner nicht im Vorraus einen Freifahrtschein geben. Du kannst lediglich hoffen, daß im entscheidenen Moment an der entscheidenen Stelle ein aufrechter, gewissenhafter Mann sitzt. Nach meiner Überzeugung ist Daschner ein solcher Mann.

Ich will überhaupt keinem Beamten einen Freifahrtschein geben, wenn ich den Konfliktstoff zu regeln hätte, müsste ein Richter die Entscheidung treffen, ob hier eine legale Gewaltanwendung zur Rettung eines Menschenlebens geboten ist oder absolut verbotene Folter droht.

Dazu fehlen natürlich die Gesetze und die dazugehörigen Einrichtungen - richterliche Bereitschaftsdienste für solche Extremfälle z. B. - aber die praktischen Schwierigkeiten stehen in keinem Verhältnis zu der ungeheuerlichen Dimension des Problems der Kollision der Schutzgüter aus dem Kernschutzbereich des Artikel 1 GG zweier Konfliktparteien in einem vom Staat zu regelnden Konflikt.

meckerle
08.09.2009, 21:02
Unterlassene Hilfeleistung auf keinen Fall, wenn man diesen Unwertgehalt staatlichen Handelns schon Strafrechtsnormen zuweist, dann Totschlag durch Unterlassen, §§ 212, 13 StGB.

Und ob es Folter ist, jemanden zu einer Handlung bzw. Aussage, zu der er rechtlich verpflichtet ist, mit Gewalt zu zwingen, ist noch die Frage. Schliesslich ging es da nicht primär um die Erzwingung eines Geständnisses, sondern um die Rettung des Kindes.
Nur um der Wahrheit willen: Herr Daschner hat dem Kindermörder keine Gewalt angetan, sondern nur angedroht!

GG146
08.09.2009, 21:08
Nur um der Wahrheit willen: Herr Daschner hat dem Kindermörder keine Gewalt angetan, sondern nur angedroht!

Schon klar, das macht aber rechtlich nicht so einen grossen Unterschied. Das Damoklesschwert, das zeitweise über Herrn Daschner schwebte, hiess "Aussageerpressung", ein Verbrechenstatbestand (Mindesstrafe ein Jahr), dessen Anwendung ihn die Pensionsansprüche gekostet hätte. Da macht es keinen grossen Unterschied, ob eine Aussage durch Gewalt oder Drohung damit erpresst wird.

Das Gericht hat das in Richtung "Nötigung" abgebogen (m. M. n. begrüssenswert, aber rechtlich ziemlich fragwürdig) und dann auch noch die mildest mögliche Sanktion verhängt: "Verwarnung unter Vorbehalt der Verhängung einer Geldstrafe".

FranzKonz
08.09.2009, 22:03
:top: Und genau die aufrechten, fähigen Leute werden dann strafversetzt!
Eine Schande ist das.

Er bekam einen anderen Job, man könnte das auch als "aus der Schußlinie bringen" bezeichnen.

GG146
08.09.2009, 22:22
Er bekam einen anderen Job, man könnte das auch als "aus der Schußlinie bringen" bezeichnen.


Oder "aus den Augen, aus dem Sinn" schieben, zusammen mit dem Problem des nächsten entführten Kindes in der gleichen Situation.

meckerle
08.09.2009, 22:31
Er bekam einen anderen Job, man könnte das auch als "aus der Schußlinie bringen" bezeichnen.
Wenn ich mich richtig erinnere, bei der Verkehrspolizei im Innendienst.

Gawen
08.09.2009, 22:35
Ich will überhaupt keinem Beamten einen Freifahrtschein geben, wenn ich den Konfliktstoff zu regeln hätte, müsste ein Richter die Entscheidung treffen, ob hier eine legale Gewaltanwendung zur Rettung eines Menschenlebens geboten ist oder absolut verbotene Folter droht.

Das bringt aber nichts, weil die Menschenwürde per Definition unteilbar ist und gegen sie keine Rechtsgüter-Abwägung möglich ist.

Die Menschenwürde des Verbrechers ist unantastbar.

(Ausser er stünde politisch rechts... :D)

meckerle
08.09.2009, 22:37
Schon klar, das macht aber rechtlich nicht so einen grossen Unterschied. Das Damoklesschwert, das zeitweise über Herrn Daschner schwebte, hiess "Aussageerpressung", ein Verbrechenstatbestand (Mindesstrafe ein Jahr), dessen Anwendung ihn die Pensionsansprüche gekostet hätte. Da macht es keinen grossen Unterschied, ob eine Aussage durch Gewalt oder Drohung damit erpresst wird.

Das Gericht hat das in Richtung "Nötigung" abgebogen (m. M. n. begrüssenswert, aber rechtlich ziemlich fragwürdig) und dann auch noch die mildest mögliche Sanktion verhängt: "Verwarnung unter Vorbehalt der Verhängung einer Geldstrafe".
Man soll seinen Mitmenschen ja nichts Schlechtes wünschen, aber in diesem Fall wünschte ich denen, die Herrn Daschner für seine "Tat" verurteilten, dass sie ein ähnliches Schicksal trifft wie die Eltern dieses zu Tode gekommenen Jungen. X(

GG146
08.09.2009, 22:59
Das bringt aber nichts, weil die Menschenwürde per Definition unteilbar ist und gegen sie keine Rechtsgüter-Abwägung möglich ist.

Die Menschenwürde des Verbrechers ist unantastbar.

(Ausser er stünde politisch rechts... :D)

Selbstverständlich würde eine richterliche Bereitschaft für solche Situationen etwas bringen. So könnte man die eigentlichen Verantwortung für den Umgang mit solchen rechtsstaatlichen Grenzsituationen den richtigen Leuten zuweisen, denen, die sich heute regelmäßig verpissen und anschliessend den Stab über Polizeibeamte oder psychologisch - psychatrische Gutachter brechen.



Man soll seinen Mitmenschen ja nichts Schlechtes wünschen, aber in diesem Fall wünschte ich denen, die Herrn Daschner für seine "Tat" verurteilten, dass sie ein ähnliches Schicksal trifft wie die Eltern dieses zu Tode gekommenen Jungen. X(

Sie haben ihn doch gar nicht wirklich "verurteilt", sie haben nur ihre eigene Verantwortung umschifft und etwas, das tatsächlich entweder legal (gerechtfertigt) oder schwerkriminell (Aussageerpressung = Verbrechen) ist, zu einem ganz leichten Fall der Nötigung "umgedichtet", um sich dem Problem nicht wirklich stellen zu müssen.

Das ist zwar feige, aber Dein Todeswunsch sollte wirklich solchen Staatslumpen vorbehalten bleiben, die in so einer Situation noch nicht einmal so einen "Kompromiss" eingehen, sondern tatsächlich den Polizisten oder Gutachter, auf den sie die Verantwortung abgeschoben haben, richtig fertigmachen.

Gehirnnutzer
09.09.2009, 01:05
Veritas2009, deine Argumente sind zwar interessant, jedoch beinhalten sie einen entscheidenen Fehler, der auch in früheren Diskussionen gemacht wurde, die den Fall Gäfgen heranziehen.
Du argumentierst auf Basis eines abgeschlossenen Falles, dessen einzelne Aspekte und Faktoren bekannt sind.

Bei Gäfgen wusste man ja das er Täter bzw. tatbeteiligt war.

Was ist aber wenn man dies nicht klar weiß und man nur einen Verdächtigen hat?

Was ist wenn sich herausstellt, das dieser Verdächtige unschuldig ist?

Was ist mit den Rechten und der Menschenwürde dieses Unschuldigen?

Sind die Rechte und die Menschenwürde eines Unschuldigen nichts mehr wert, wenn es um das Leben, die Rechte und die Menschenwürde eines unschuldigen Opfers geht?

Was ist, wenn du der unschuldige Verdächtige bist?

Das sind alles Aspekte, die du bei deinen Überlegungen berücksichtigen muss und die man schnell vergisst, wenn man die Aspekte und Faktoren eines konkreten Falles seiner Argumentation zu Grunde legt.

GG146
09.09.2009, 11:09
Veritas2009, deine Argumente sind zwar interessant, jedoch beinhalten sie einen entscheidenen Fehler, der auch in früheren Diskussionen gemacht wurde, die den Fall Gäfgen heranziehen.
Du argumentierst auf Basis eines abgeschlossenen Falles, dessen einzelne Aspekte und Faktoren bekannt sind.

Bei Gäfgen wusste man ja das er Täter bzw. tatbeteiligt war.

Was ist aber wenn man dies nicht klar weiß und man nur einen Verdächtigen hat?

Was ist wenn sich herausstellt, das dieser Verdächtige unschuldig ist?

Was ist mit den Rechten und der Menschenwürde dieses Unschuldigen?

Sind die Rechte und die Menschenwürde eines Unschuldigen nichts mehr wert, wenn es um das Leben, die Rechte und die Menschenwürde eines unschuldigen Opfers geht?

Was ist, wenn du der unschuldige Verdächtige bist?

Das sind alles Aspekte, die du bei deinen Überlegungen berücksichtigen muss und die man schnell vergisst, wenn man die Aspekte und Faktoren eines konkreten Falles seiner Argumentation zu Grunde legt.

Ich hatte zu Anfang schon auf einen Einwand von Konz hin geschrieben, dass ein Richter feststellen müsste, dass die Gewaltandrohung oder - anwendung zur Rettung des Kindes notwendig ist und es nicht um eine Aussage für die Ermittlungen - d. h. für den Strafprozess - geht.

Konsequenterweise müsste dann auch noch klargestellt werden, dass eine solche Aussage auf keinen Fall im Prozess verwertet werden darf, um die Missbrauchsgefahr gegen 0 zu drücken.

Heute verlangt die deutsche Rechtsprechung offiziell Untätigkeit in der Notsituation, verwertet aber die "Folgebeweise" einer rechtswidrig erlangten Aussage - was z. B. die amerikanische Rechtsprechung als "Früchte des vergifteten Baumes" total ausschliesst. Wieder eine typisch deutsche Widersprüchlichteit auf höchster staatlicher Ebene, das fügt sich alles in das Gesamtbild einer dekadenten Rechtskultur ein.

maxikatze
09.09.2009, 11:18
Das bringt aber nichts, weil die Menschenwürde per Definition unteilbar ist und gegen sie keine Rechtsgüter-Abwägung möglich ist.

Die Menschenwürde des Verbrechers ist unantastbar............



Die Würde des Opfers müsste in so einem Fall höher gestellt werden. In diesem Zusammenhang finde ich eine sogenannte *Rettungsfolter* vollkommen gerechtfertigt.

GG146
09.09.2009, 11:38
Die Würde des Opfers müsste in so einem Fall höher gestellt werden. In diesem Zusammenhang finde ich eine sogenannte *Rettungsfolter* vollkommen gerechtfertigt.

Wenn wirklich klar ist, dass man es nicht mit einem völlig Unbeteiligten zu tun hat (im Ermittlungsverfahren gilt die Unschuldsvermutung), es bräuchte also schon eine Vorab - Feststellung eines Gerichts, dass der U - Häftling etwas weiss, das er zur Rettung des Kindes preiszugeben verpflichtet ist. Das erfordert widerum, dass diese Aussage auf keinen Fall mehr vor Gericht gegen ihn verwendet werden darf, auch nicht die Folgebeweise (durch die Aussage gefundene neue Beweise). Wenn das alles gewährleistet ist, liegt überhaupt keine Folter im eigentlichen Sinne mehr vor, sondern nur noch die Androhung oder Anwendung einfacher körperlicher Gewalt als verhältnismäßiges Mittel zur Nothilfe.

DJ_rainbow
09.09.2009, 11:44
Es wird sich an dieser absurden Gutmenschen-Ideologie der Täterversteher und Opferverhöhner erst dann etwas ändern, wenn unsere Elfenbeinturm-Rechtsverdreher selbst mal Angehörige eine Opfers sein werden.

GG146
09.09.2009, 11:53
Es wird sich an dieser absurden Gutmenschen-Ideologie der Täterversteher und Opferverhöhner erst dann etwas ändern, wenn unsere Elfenbeinturm-Rechtsverdreher selbst mal Angehörige eine Opfers sein werden.

Grundsätzlich bestehen diese Risiken ja jetzt schon auch für die Verantwortlichen in Politik und Justiz, jedenfalls wenn sie ihre eigenen Kinder nicht gerade aus den Innenstädten und von Partys etc. fernhalten wollen.

DJ_rainbow
09.09.2009, 11:59
Grundsätzlich bestehen diese Risiken ja jetzt schon auch für die Verantwortlichen in Politik und Justiz, jedenfalls wenn sie ihre eigenen Kinder nicht gerade aus den Innenstädten und von Partys etc. fernhalten wollen.

Das mag sein - man könnte dieses Gesindel hier aber zwangsweise (damit sind sie doch immer schnell zu Hand, wenn es um die Gängelung der Bürger und Steuerzahler geht!) der Realität der Normalsterblichen annähern: Jeder Richter muss einen Monat im Jahr mittendrin in einem derartigen Brennpunkt wohnen.

Gehirnnutzer
09.09.2009, 12:05
Ich hatte zu Anfang schon auf einen Einwand von Konz hin geschrieben, dass ein Richter feststellen müsste, dass die Gewaltandrohung oder - anwendung zur Rettung des Kindes notwendig ist und es nicht um eine Aussage für die Ermittlungen - d. h. für den Strafprozess - geht.

Konsequenterweise müsste dann auch noch klargestellt werden, dass eine solche Aussage auf keinen Fall im Prozess verwertet werden darf, um die Missbrauchsgefahr gegen 0 zu drücken.

Heute verlangt die deutsche Rechtsprechung offiziell Untätigkeit in der Notsituation, verwertet aber die "Folgebeweise" einer rechtswidrig erlangten Aussage - was z. B. die amerikanische Rechtsprechung als "Früchte des vergifteten Baumes" total ausschliesst. Wieder eine typisch deutsche Widersprüchlichteit auf höchster staatlicher Ebene, das fügt sich alles in das Gesamtbild einer dekadenten Rechtskultur ein.

Das deutsche Rechtssystem ist gar nicht so widersprüchlich, das Problem ist, das sich viele die es kritisieren, sich gar nicht damit beschäftigen.
Du führst die Beweisverwertung als Beispiel auf, gerade da kommt es auf etwas an, was du in diesem Thema auch ansprichst nämlich Rechtsgüterabwägung.
Das ist nämlich das, was der Richter, der die entsprechenden Maßnahmen anordnet, machen muss.
Er muss zu der Meinung kommen, das eine Notsituation tatsächlich vorliegt und dann abwägen ob diese Notsituation entsprechende Eingriffe rechtfertigt.

Hinsichtlich der Beweisverwertung hat der Gesetzgeber klare Richtlinien und Gesetzesnormen aufgestellt.

Aber zurück zum eigentlichen Thema, dein Verweis auf einen Richter zeigt auf, das du den von mir erwähnten Problematiken ausweichen willst.
Du sagst die einfach, warum sich darüber Gedanken machen, wenn ein Richter darüber entscheidet, dann ist es einfach ebenso.

Ich wiederhole mich, du machst den Fehler alles anhand eines Falles mit klaren Konstellationen aufzubauen. Das dumme ist nur, das zu dem Zeitpunkt an dem dein Richter seine Entscheidung treffen muss, in den seltesten Fällen klare Konstellationen herrschen, so etwas stellt sich meist erst nach Abschluß der Ermittlungen raus.

Don
09.09.2009, 12:05
:top: Und genau die aufrechten, fähigen Leute werden dann strafversetzt!
Eine Schande ist das.

In diesem Fall war das eine sehr weise Entscheidung, der Mann wäre seines Lebens nicht mehr froh geworden.

Das ultimative Folterverbot für den Staat ist in keinem Punkt zu kritisieren, es ist sowieso schon eine der letzten Bastionen gegen dieses Monster die überhaupt noch exisiteren. Dasselbe gilt für die Todesstrafe.

Fallen diese, hätten wir die Stasi Keller der DDR gar nicht erst zu schließen brauchen.

GG146
09.09.2009, 12:41
Aber zurück zum eigentlichen Thema, dein Verweis auf einen Richter zeigt auf, das du den von mir erwähnten Problematiken ausweichen willst.
Du sagst die einfach, warum sich darüber Gedanken machen, wenn ein Richter darüber entscheidet, dann ist es einfach ebenso.

Ich wiederhole mich, du machst den Fehler alles anhand eines Falles mit klaren Konstellationen aufzubauen. Das dumme ist nur, das zu dem Zeitpunkt an dem dein Richter seine Entscheidung treffen muss, in den seltesten Fällen klare Konstellationen herrschen, so etwas stellt sich meist erst nach Abschluß der Ermittlungen raus.

Ich weiche nicht aus, ich habe das Problem der Unschuldsvermutung selbst zuerst erwähnt.

Deshalb muss ein Gericht Vorabfeststellungen treffen, die unabhängig von der Frage des Gesamtergebnisses des Verfahrens zum Zeitpunkt des Notstandes schon unanfechtbar klären, dass der Gefangene etwas weiss, was er zur Rettung des Kindes preiszugeben verpflichtet ist. Dabei ist es dann unerheblich, ob es sich wirklich um den Täter oder nur um einen Mitwisser handelt, die Rechtspflicht, zur Rettung des Kindes beizutragen, obliegt auch Unbeteiligten. Das zu erzwingen, ist beim besten Willen keine Folter. Es ist wie in einer typischen Notwehrsituation: Der Aggressor hat die eigentliche Herrschaft über den gesamten Geschehensablauf, wenn er seiner Rechtspflicht nachkommt, die Aggression einzustellen, darf niemand mehr legal weitere Gewalt anwenden, ohne das Notwehrrecht zu überschreiten und selbst kriminell zu werden.

Eine Verletzung der Menschenwürde des Betroffenen und der Begriff "Folter" erfordern aber, dass über diesen Menschen verfügt wird. Das ist in einer Situation, die der Aggressor auch hinsichtlich der Gegengewalt beherrschen kann, in keiner Weise gegeben.

GG146
09.09.2009, 19:07
In diesem Fall war das eine sehr weise Entscheidung, der Mann wäre seines Lebens nicht mehr froh geworden.

Das ultimative Folterverbot für den Staat ist in keinem Punkt zu kritisieren, es ist sowieso schon eine der letzten Bastionen gegen dieses Monster die überhaupt noch exisiteren. Dasselbe gilt für die Todesstrafe.

Fallen diese, hätten wir die Stasi Keller der DDR gar nicht erst zu schließen brauchen.

Normalerweise gilt für mich in diesem Zusammenhang auch der Satz "wehret den Anfängen." Allerdings ist es ganz sicher auch ein Anfang von etwas sehr Schlechtem, wenn ein Mörder während der Begehung der Tat von staatlichen Kräften nicht nur nicht behindert, sondern auch noch vor Selbsthilfemaßnahmen der Angehörigen des Opfers geschützt wird.

GG146
27.06.2010, 12:34
U. Perwass zu den Leitsätzen des Urteils des EuGHMR in Sachen Gäfgen ./. Bundesrepublik Deutschland:


1. Rational und richtig:

Keine Folter!

Es gibt also doch graduelle Unterschiede in der Behandlung von Tätern! Polizeivizepräsident Daschner und Kommissar E. haben somit nicht gefoltert! Ein absolutes Tabu gibt es demnach nicht! Dem Opfer jegliches Abwägen seiner Rechte von vorneherein zu versagen, ihn gnaden- und würdelos abzuweisen ohne im konkreten Fall die Situation zu klären, verstößt demnach gegen die Würde des Opfers und somit gegen unsere Verfassung.



2. Irrational und missdeutend:

Drohungen mit der Absicht Informationen zu erpressen!

Die Drohungen wurden ausgesprochen, um ein Menschenleben zu retten, nicht um Informationen zu erpressen. Die Information, dass der Entführer vor ihnen saß, hatte die Polizei bereits. Es brauchte nicht mehr ermittelt zu werden. Es ging jetzt eindeutig um Gefahrenabwehr, um die Rettung eines Menschenlebens!



3. Unfassbar unmenschlich:

Absolutes Verbot sogenannter unmenschlicher Behandlung auch bei Gefahr für Leib und Leben des Einzelnen und selbst der ganzen Nation

Quelle: ulrich.perwass.de/VerfassungsbruchWuerdemord (http://www.ulrich.perwass.de/Kommentare/VerfassungsbruchWuerdemord.htm)

Die Bezeichnung "Würdemord" für das Aufopfern des Lebens eines entführten Menschen zum Schutz der Menschenwürde des Entführers ist von dem "Ehrenmord" in archaischen Kulturen abgeleitet und soll das Selbstverständnis europäischer staatlicher Unterlassungstäter in Frage stellen, nach dem sie selbst den höchsten Stand der Rechtskultur erreicht zu haben glauben.

GG146
16.12.2010, 18:24
Magnus Gäfgen hat die Wiederaufnahme seines Verfahrens beantragt:


Der Anwalt von Gäfgen, Michael Heuchemer, beruft sich in seinem Wiederaufnahmeantrag auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg vom Juni. Dieser hatte im Juni entschieden, dass die Gewaltandrohung gegen den heute Fünfunddreißigjährigen während des Polizeiverhörs nach dem Verschwinden des Jungen ein Verstoß gegen das Folterverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention war. Gleichwohl befanden die Straßburger Richter, dass Gäfgen ein faires Strafverfahren hatte und der Prozess nicht neu aufgerollt werden muss.

Anwalt sieht Voraussetzung für Wiederaufnahme

Der Rechtsanwalt sieht dagegen die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens durch den Straßburger Richterspruch dennoch erfüllt. Ein Urteil, das auf einem Verstoß gegen das Folterverbot beruhe, dürfe keinen Bestand haben, sagte Heuchmer.

Quelle: faz.net (http://www.faz.net/s/Rub77CAECAE94D7431F9EACD163751D4CFD/Doc~EBCF793765F0D478493D15F1E73B17EC7~ATpl~Ecommon ~Scontent.html)

Es mag ja ein gewisser Widerspruch in den Festellungen des EuGHMR liegen, dass das absolute Folterverbot, nicht aber der Anspruch auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK verletzt sei. Aber mit dem Widerspruch wird jedes Gericht irgendwie fertig werden, den Kerl lassen sie ganz sicher nicht laufen.

Nicht auszudenken, mit Haftentschädigung auch noch...