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Vollständige Version anzeigen : 1066 - Wilhelms Niederlage



Sauerländer
20.05.2010, 16:10
Verehrte Mitforisten mit geschichtlichem Interesse:
Aus meiner Sicht sind wir hier im Geschichtsforum sehr durchgehend ziemlich gegenwartsnah. Dabei besteht die Geschichte doch nicht nur aus dem 20. Jahrhundert. Auch zu anderen Zeiten sind Dinge geschehen, die auf lange Zeit Weichen gestellt haben. Da zudem der gute alte Sauerländer ein großer Freund des "Was wäre, wenn..."-Spielchens ist, lasst uns doch mal einen solchen Punkt herausgreifen und ein wenig spekulieren.
Bekanntlich betrat 1066 Wilhelm, Herzog der Normandie, englischen Boden, um sich die englische Krone zu erkämpfen. Die hatte zu diesem Zeitpunkt Harald Godwinson inne. Nachdem Wilhelm mit seinen Normannen gelandet war, eilte Harald mit seinem Heer in Gewaltmärschen aus dem Norden herbei, wo er zuvor eine norwegische Invasion hatte zurückschlagen müssen. So traf sein Heer nicht unbedingt ausgeruht am 14. Oktober 1066 bei Hastings auf den Feind. Im Verlaufe der Schlacht wurde Harald getötet, das Heer der Angelsachsen zerschlagen. Wenn Wilhelm danach auch noch einige Arbeit zur Konsolidierung vor sich hatte (und in der Zerschlagung von Widerstand war er gnadenlos), so konnte er sich doch bereits zum Weihnachstfest jenes Jahres zum König krönen lassen. Der größte Teil des sächsischen Adels wurde enteignet, Französisch hielt als Sprache der Oberschicht Einzug, das politische System änderte sich und erhielt eine deutlich kontinentalere Prägung. Vielfach wird dies als ein deutlicher Fortschritt angesehen.
Nun lasst uns einfach mal die Alternativgeschichtsmaschine anschmeißen und den Spieß umdrehen: Nicht Harald, sondern Wilhelm fällt in der Schlacht (und wird nie der Eroberer). Das normanische Heer wird vernichtet, die Invasion wird zurückgeschlagen, Harald bleibt König. Was bedeutet das langfristig für England - und gegebenenfalls für die Welt?

Pirx
20.05.2010, 16:54
England wäre ein skandinavisches Land geworden und hätte einen weltberühmten Dramatiker mit dem Namen Villem Sjækespyr hervorgebracht.

MorganLeFay
20.05.2010, 17:01
Die englische Sprache waere dem Deutschen noch aehnlicher.

Sauerländer
20.05.2010, 17:27
Die englische Sprache waere dem Deutschen noch aehnlicher.
Da muss ich gerade an diese Begebenheit denken, die Mark Twain im Deutschland-Abschnitt seines "Bummels durch Europa" schildert:
Er will ein Boot für sich und seinen Reisebegleiter mieten. Der Bootseigentümer, plattdeutsch sprechend, bemüht sich redlich, versteht aber nicht, was unser lieber Autor, eigener Aussage nach halbwegs korrektes Deutsch sprechend, von ihm will. Der Reisebegleiter, nicht wirklich Deutsch sprechend, versucht es mit einem Gemisch aus Englisch, Deutsch und ziemlich abstrusem Satzbau - und nach einem Versuch hat der Bootseigentümer begriffen, worum es geht. :D

Ausonius
20.05.2010, 17:31
Leider keine Zeit, jetzt ausführlich zu antworten: man darf hier nicht vergessen, dass der normannisch/wikingische Einfluss schon länger auf England wirkte. Wilhelm war der erfolgreichste in einer Reihe normannischer Eroberer, die sich mit mehr oder weniger Glück auf der insel festsetzten. Ohne ihn wäre England wohl lediglich etwas länger einem altmodischeren Stammesverständnis verhaftet geblieben, denn gerade die Normannen waren mit ihren "transnationalen" Söldnersippen besonders feudalistisch orientiert.

Blue Max
20.05.2010, 17:32
Sauerländer, ich habe etwas für dich: :)

http://s1.directupload.net/images/100520/guswtr3a.jpg (http://www.directupload.net)

Mütterchen
20.05.2010, 17:35
Die englische Sprache waere dem Deutschen noch aehnlicher.

Ah ja, das fand ich jetzt interessant, gleichwohl ich mich da überhaupt nicht auskenne.
Hier ist jedenfalls der gleiche Text einmal in althochdeutsch und einmal in altenglisch. Wobei ich allerdings nicht weiß, wie nahe beide Versionen zeitlich beieinander liegen.
Was meint ihr, ähneln sich die Texte?

Fæder ure þu þe eart on heofonum
si þin nama gehalgod
tobecume þin rice
gewurþe þin willa
on eorðan swa swa on heofonum
urne gedæghwamlican hlaf syle us to dæg
and forgyf us ure gyltas
swa swa we forgyfað urum gyltendum
and ne gelæd þu us on costnunge
ac alys us of yfele. Soþlice.


http://de.wikipedia.org/wiki/Altenglisch


Althochdeutsch

Fater unser, thu thar bist in himile,
si giheilagot thin namo,
queme thin rihhi,
si thin uuillo,
so her in himile ist, so si her in erdu,
unsar brot tagalihhaz gib uns hiutu,
inti furlaz uns unsara sculdi,
so uuir furlazemes unsaren sculdigon;
inti ni gileitest unsih in costunga,
uzouh arlosi unsih fon ubile.

http://www.schaefer-westerhofen.de/schule/bergpredigt/vusprachen.htm

Sauerländer
20.05.2010, 17:43
Sauerländer, ich habe etwas für dich: :)

http://s1.directupload.net/images/100520/guswtr3a.jpg (http://www.directupload.net)
Habe ich im Regal. Da gibt es auch noch ein dickeres von, mit rotem Einband. Da ist dann auch eine Überlegung zur hiesigen Frage drin. Da wird davon ausgegangen, dass England deutlich mehr Nordsee- und skandinavienorientiert sein wird, mit Überlegungen, dass das insgesamt "demokratischere" Verhältnisse bedeutet. Am Ende steht dann eine Skandinavisch-Irokesische (Letztere weil laut Buch charakterverwandt, kriegerisch-freiheitsliebend) Mischung bei der Erschließung Amerikas...:rolleyes:

Sauerländer
20.05.2010, 17:46
Leider keine Zeit, jetzt ausführlich zu antworten: man darf hier nicht vergessen, dass der normannisch/wikingische Einfluss schon länger auf England wirkte. Wilhelm war der erfolgreichste in einer Reihe normannischer Eroberer, die sich mit mehr oder weniger Glück auf der insel festsetzten. Ohne ihn wäre England wohl lediglich etwas länger einem altmodischeren Stammesverständnis verhaftet geblieben, denn gerade die Normannen waren mit ihren "transnationalen" Söldnersippen besonders feudalistisch orientiert.
Wobei die Normannen, die nun tatsächlich England eroberten, ja bereits frankisierte und somit romanisierte solche waren. Das kann man, glaube ich, etwa bezüglich Knuts des Großen so nicht sagen.

Sauerländer
20.05.2010, 17:50
Ah ja, das fand ich jetzt interessant, gleichwohl ich mich da überhaupt nicht auskenne.
Hier ist jedenfalls der gleiche Text einmal in althochdeutsch und einmal in altenglisch. Wobei ich allerdings nicht weiß, wie nahe beide Versionen zeitlich beieinander liegen.
Was meint ihr, ähneln sich die Texte?
Ich finde, man merkt auf jeden Fall, dass die Menschen, die Altenglisch sprachen, und die, die in unserem Raum verblieben sind, vor langer Zeit einmal die selbe Sprache sprachen. Dass sich das dann auseinanderentwickelt hat, ist klar. Aber die Verwandtschaft merkt man schon, finde ich.

MorganLeFay
20.05.2010, 18:01
Habe ich im Regal. Da gibt es auch noch ein dickeres von, mit rotem Einband. Da ist dann auch eine Überlegung zur hiesigen Frage drin. Da wird davon ausgegangen, dass England deutlich mehr Nordsee- und skandinavienorientiert sein wird, mit Überlegungen, dass das insgesamt "demokratischere" Verhältnisse bedeutet. Am Ende steht dann eine Skandinavisch-Irokesische (Letztere weil laut Buch charakterverwandt, kriegerisch-freiheitsliebend) Mischung bei der Erschließung Amerikas...:rolleyes:

Ist das nicht etwas linear gedacht?

Ich mein, Willem hin oder her, die Englaender haetten trotzdem spaeter Koenigreiche vereinigen oder sprengen koennen durch royale Heiraten und Allianzen oder Kriege.

Heinrich VIII haette, unter anderem Namen und aus einer anderen Blutlinie, trotzdem so oder ganz aehnlich passieren koennen.

MorganLeFay
20.05.2010, 18:03
Ah ja, das fand ich jetzt interessant, gleichwohl ich mich da überhaupt nicht auskenne.
Hier ist jedenfalls der gleiche Text einmal in althochdeutsch und einmal in altenglisch. Wobei ich allerdings nicht weiß, wie nahe beide Versionen zeitlich beieinander liegen.
Was meint ihr, ähneln sich die Texte?

Die aehneln sich ziemlich, wuerde ich als Nichtlunguistiker sagen.

Landogar
20.05.2010, 18:12
Ah ja, das fand ich jetzt interessant, gleichwohl ich mich da überhaupt nicht auskenne.
Hier ist jedenfalls der gleiche Text einmal in althochdeutsch und einmal in altenglisch. Wobei ich allerdings nicht weiß, wie nahe beide Versionen zeitlich beieinander liegen.
Was meint ihr, ähneln sich die Texte?

Fæder ure þu þe eart on heofonum
si þin nama gehalgod
tobecume þin rice
gewurþe þin willa
on eorðan swa swa on heofonum
urne gedæghwamlican hlaf syle us to dæg
and forgyf us ure gyltas
swa swa we forgyfað urum gyltendum
and ne gelæd þu us on costnunge
ac alys us of yfele. Soþlice.


http://de.wikipedia.org/wiki/Altenglisch


Althochdeutsch

Fater unser, thu thar bist in himile,
si giheilagot thin namo,
queme thin rihhi,
si thin uuillo,
so her in himile ist, so si her in erdu,
unsar brot tagalihhaz gib uns hiutu,
inti furlaz uns unsara sculdi,
so uuir furlazemes unsaren sculdigon;
inti ni gileitest unsih in costunga,
uzouh arlosi unsih fon ubile.

http://www.schaefer-westerhofen.de/schule/bergpredigt/vusprachen.htm


Was das betrifft ist das Alt-Isländische ein interessantes Bindeglied. Ich habe ein Exemplar der Edda, in welcher der isländische Text sowohl ins Englische, als auch ins Deutsche übersetzt wurde. Erstaunlich viele Worte sind dem Deutschen sehr ähnlich, das Englische wiederum erkennt man sowohl in der Sprache, als auch grammatikalisch. Spannende Sache.

Zum Thema: Es wird oft die Meinung vertreten, dass nur Wilhelm langfristig in der Lage gewesen wäre, die einfallenden Horden aus Dänemark zu stoppen, was ihm schließlich auch gelang, wenngleich er dabei zu brutalen Mitteln zurückgriff. Der Norden Englands war zum Beispiel über viele Jahre hinweg fast völlig entvölkert, weil die Menschen dort sich fast komplett gegen Wilhelm, und sich dafür den Dänen zuwanden.
Harold Godwinsson, der mütterlicherseits übrigens selbst dänischer Abstammung war, war durchaus eine tatkräftige und militärisch nicht ganz unbegabte Persönlichkeit. Darum kann man durchaus annehmen, dass er langfristig ebenfalls in der Lage gewesen wäre, den Dänen die Lust an ihren Kriegszügen zu nehmen.

Kulturell sind die Unterschiede natürlich wesentlich gewichtiger. Die Normannen etablierten das kontinental geprägte Feudalsystem. Auch das angelsächsische war in den niederen Strukturen feudalistisch geprägt, jedoch war die Tradition des "Wahlkönigtums" nicht völlig vergessen, wenngleich die dynastische Thronfolge sich durchgesetzt hatte. Trotzdem kam dem "Witenagemot", dem Thronrat und Wahlgremium eine gewaltige politische Macht zu. Darum finde ich sehr interessant, dass sich trotz der normannischen Eroberung und damit einhergehenden Prägung die traditionell starke Stellung des Adels gegenüber dem Königtum im Lauf der Jahrhunderte wieder durchsetzte, Stichwort: "Magna Charta".

Sauerländer
20.05.2010, 18:15
Ist das nicht etwas linear gedacht?
Ist es. Das ging auch mir als erstes durch den Kopf, als ich das las.
Grundsätzlich wird es natürlich immer spekulativer, je weiter man sich vom Ausganspunkt entfernt. Zumal man ja auch theoretisch Wechselwirkungen mit der Aussenwelt bedenken muss. Weshalb eben die Frage interessant ist, ob sich gar nicht so furchtbar viel geändert oder im Gegenteil dadurch einiges signifikant anders oder gar die Welt völlig anders ausgesehen hätte.

Landogar
20.05.2010, 18:18
Heinrich VIII haette, unter anderem Namen und aus einer anderen Blutlinie, trotzdem so oder ganz aehnlich passieren koennen.


Naja, was heisst "andere Blutlinie"? Sein Vater vereinigte das Haus Lancaster und das Haus von York, womit man Heinrich VIII durchaus wieder als "Plantagenet" bezeichnen könnte, wenngleich sein walisischer Urgroßvater ein "Niemand" war. Wobei ja auch das nicht so ganz stimmt, da dessen Blutlinie bis auf ein altes nord-walisisches Königshaus zurückgehen soll.

Sauerländer
20.05.2010, 18:20
Kulturell sind die Unterschiede natürlich wesentlich gewichtiger. Die Normannen etablierten das kontinental geprägte Feudalsystem. Auch das angelsächsische war in den niederen Strukturen feudalistisch geprägt, jedoch war die Tradition des "Wahlkönigtums" nicht völlig vergessen, wenngleich die dynastische Thronfolge sich durchgesetzt hatte. Trotzdem kam dem "Witenagemot", dem Thronrat und Wahlgremium eine gewaltige politische Macht zu. Darum finde ich sehr interessant, dass sich trotz der normannischen Eroberung und damit einhergehenden Prägung die traditionell starke Stellung des Adels gegenüber dem Königtum im Lauf der Jahrhunderte wieder durchsetzte, Stichwort: "Magna Charta".
Sehe ich das richtig, dass auch die...nennen wir es mal "Freiheiten des nichtadligen Untertanen" unter sächsisch-altfeudalem "Staats"wesen größer waren als unter normannisch-neufeudalem?

Davon abgesehen: Man kann also annehmen, dass ein Sieg Haralds zunächstmal das englische Königtum im Vergleich zudem, das Wilhelm durchsetzte, geschwächt hätte?

Stinkstiefel
20.05.2010, 18:29
Vor allem ist anzunehmen, daß England und Frankreich getrennte Wege gegangen wären, was wahrscheinlich für beide eine Stärkung für beide bedeutet hätte. Die Querelen nach dem Erwerb Aquitaniens bis zum Hundertjährigen Kriege wären wohl ausgeblieben.

Das heißt für England:
Das englische Königreich hätte sich mehr nach seinen unmittelbaren Nachbarn hin orientiert, vermutlich wäre die Eroberung der gesamten britischen Inseln schneller vonstattengegangen, da man die Kräfte in den unzähligen französischen Abenteuern gespart hätte und zudem in der englischen Gesellschaft größere Einigkeit geherrscht hätte, wenn die Diskrepanzen zwischen Angelsachsen und französisch-normannischer Oberschicht ausgeblieben wären. Die Version von einer Entdeckung Amerikas scheint mir jedoch etwas weit hergeholt; ich halte eine verlustreiche und unter Umständen erfolglose Expansion in Richtung Skandinavien für wahrscheinlicher. Die Wechselwirkungen mit den umliegenden Mächten bleiben reine Spekulation. Interessant wäre, ob die Hanse als der Machtfaktor aufgetreten wäre, den wir kennen oder ob der Deutsche Orden seine Eroberungen im Osten ebenso leicht hätte bewerkstelligen können.

Für Frankreich dürften die Entwicklungen ebenfalls nicht zu unterschätzen sein. Hier bieten sich zwei Szenarien an:
Entweder wäre die Bildung eines starken französischen Zentralstaats ausgeblieben, da die französischen Regionalherrscher ihre Macht nicht zugunsten Englands verloren hätten, noch im Hundertjährigen Kriege aus Furcht um ihre Existenz der französischen Krone in die Arme getrieben worden wären.
Heißt also: ein dezentrales, schwaches Frankreich.
Oder aber hätte es einen französischen König gegeben, der die Kräfte zu bündeln vermocht hätte? Dies hätte ein starkes, zentrales Frankreich bedeutet, was auf jeden Fall zuungunsten des HRR gewesen wäre - auch damals schon. Vor allem aber würen wir keine Periode eines quasi-souveränen Burgund kennen.
Interessant wäre, ob ein solches Frankreich die Reconquista eventuell unter seine Fittiche genommen hätte. Ähnliches Drängen nach Iberien kannte man ja bereits von Kral dem Großen oder den Grafen von Toulouse im 11. Jh.

Was die Normannen anbetrifft, kann ich nur spekulieren, daß man sich eher Richtung Mittelmeer orientiert hätte, wie wir es von den Guiscard Brüdern vor allem in den 1080ern kennen. Ein normannisches Gesamt-Italien, der Kirchenstaat als Protektorat dieses Reiches?...Man mag sich gar nicht ausdenken, was die Folgen gewesen wären.....

Pirx
20.05.2010, 18:32
Hier liest jemand Gotisch und Altenglisch (ab 2:55). Gesprochene Einleitung zwar englisch, aber trotzdem sehr interessant:

http://www.youtube.com/watch?v=RLJGTYkEKLI&feature=channel

Sauerländer
20.05.2010, 18:45
Vor allem ist anzunehmen, daß England und Frankreich getrennte Wege gegangen wären, was wahrscheinlich für beide eine Stärkung für beide bedeutet hätte. Die Querelen nach dem Erwerb Aquitaniens bis zum Hundertjährigen Kriege wären wohl ausgeblieben.

Das heißt für England:
Das englische Königreich hätte sich mehr nach seinen unmittelbaren Nachbarn hin orientiert, vermutlich wäre die Eroberung der gesamten britischen Inseln schneller vonstattengegangen, da man die Kräfte in den unzähligen französischen Abenteuern gespart hätte und zudem in der englischen Gesellschaft größere Einigkeit geherrscht hätte, wenn die Diskrepanzen zwischen Angelsachsen und französisch-normannischer Oberschicht ausgeblieben wären. Die Version von einer Entdeckung Amerikas scheint mir jedoch etwas weit hergeholt; ich halte eine verlustreiche und unter Umständen erfolglose Expansion in Richtung Skandinavien für wahrscheinlicher.
Klingt für mich logisch.
(Bringt die interessante, aber nun wirklich restlos spekulative Frage mit sich, was dann mit Amerika passiert. Es wird ja kaum bis in unsere Tage unerschlossen bleiben. Oder womöglich doch? Auch Spanien und Portugal können wir ja in diesem Verlauf nicht einfach als "gesetzt" annehmen).

Für Frankreich dürften die Entwicklungen ebenfalls nicht zu unterschätzen sein. Hier bieten sich zwei Szenarien an:
Entweder wäre die Bildung eines starken französischen Zentralstaats ausgeblieben, da die französischen Regionalherrscher ihre Macht nicht zugunsten Englands verloren hätten, noch im Hundertjährigen Kriege aus Furcht um ihre Existenz der französischen Krone in die Arme getrieben worden wären.
Heißt also: ein dezentrales, schwaches Frankreich.
Damit fiele ein realhistorisch ab der Zentralisierung mächtiger Nachbar des HRR faktisch aus bzw bliebe von internem Gekabbel geprägt. Ist die Frage, was das für das Reich bedeutet.

Oder aber hätte es einen französischen König gegeben, der die Kräfte zu bündeln vermocht hätte?
Der hätte sich ja vermutlich unter erheblichem Aufwand gegen den eigenen Adel durchsetzen müssen. Oder vielleicht wagenburgartig im Angesicht eines mächtigen Feindes? Vielleicht, Du erwähntest es, in Auseinandersetzung mit den Muselmanen der iberischen Halbinsel? Wird für diesen Fall ein französisch-iberisches Großreich möglich? Oder ist auch denkbar, dass der Schuss nach hinten losgeht und der Islam über die Pyrenäen hinausdrängt?

Was die Normannen anbetrifft, kann ich nur spekulieren, daß man sich eher Richtung Mittelmeer orientiert hätte, wie wir es von den Guiscard Brüdern vor allem in den 1080ern kennen.
Wiederum: Klingt logisch.

Ein normannisches Gesamt-Italien, der Kirchenstaat als Protektorat dieses Reiches?...Man mag sich gar nicht ausdenken, was die Folgen gewesen wären.....
In diesem Fall wäre es wohl um Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit des Papsttums in diesem Fall schlechter bestellt gewesen. Potentiell mit handfesten Auswirkungen auf die Religionsgeschichte Europas.

dZUG
20.05.2010, 18:45
Hier liest jemand Gotisch und Altenglisch (ab 2:55). Gesprochene Einleitung zwar englisch, aber trotzdem sehr interessant:

http://www.youtube.com/watch?v=RLJGTYkEKLI&feature=channel

wambe :D

Landogar
20.05.2010, 18:50
Sehe ich das richtig, dass auch die...nennen wir es mal "Freiheiten des nichtadligen Untertanen" unter sächsisch-altfeudalem "Staats"wesen größer waren als unter normannisch-neufeudalem?


So ganz kriege ich das auch nicht mehr zusammen. Aber soweit ich weiss, war dem prinzipiell so. Zumindest gab es wohl tatsächlich noch wirklich freie Bauern, die ihr eigenes Land bewirtschafteten, sowie ganze Dörfer, die nicht Teil eines Lehens waren. Auf der anderen Seite gab es aber auch Sklavenmärkte und somit Sklaven, die noch weniger Rechte genossen, als die Leibeigenen unter normannischer Herrschaft. Ganz pauschal kann man wohl sagen, dass die Normannen den Status der völlig rechtslosen Sklaven, als auch den der freien Bauern abschafften, und dafür der weitesgehende rechtlose leibeigene Bauer hervorkam. Weniger Rechte als die früheren Freibauern, etwas mehr Rechte als die früheren Sklaven. In der Summe wuchs wohl die Abhängigkeit und Rechtlosigkeit des Landvolkes.


Davon abgesehen: Man kann also annehmen, dass ein Sieg Haralds zunächstmal das englische Königtum im Vergleich zudem, das Wilhelm durchsetzte, geschwächt hätte?

Das ist halt die Frage. Sicherlich hätte sich der Status des englischen Königtums anders entwickelt, als unter den Normannen. Allerdings war Harold seinerseits eine machthungrige Person. Er wäre sicherlich ein starker König gewesen, und es hätte somit während seiner Regentschaft ein starkes Königstum gegeben. Man muss wissen, dass er bereits während der Regentschaft seines Vorgängers (und Schwagers) "Edward der Bekenner" der "starke" Mann Englands war. Er war der mächtigste Adelige mit der größten Hausmacht. Er hätte sicher schon zu Lebzeiten seines Schwagers (der nur am Kirchenbau interessiert war und später heilig gesprochen wurde) nach der Krone greifen können. Diese hätte allerdings nur symbolischen Charakter gehabt, da er ja faktisch schon der heimliche Herrscher Englands war.

EinDachs
20.05.2010, 19:01
Verehrte Mitforisten mit geschichtlichem Interesse:
Aus meiner Sicht sind wir hier im Geschichtsforum sehr durchgehend ziemlich gegenwartsnah. Dabei besteht die Geschichte doch nicht nur aus dem 20. Jahrhundert. Auch zu anderen Zeiten sind Dinge geschehen, die auf lange Zeit Weichen gestellt haben. Da zudem der gute alte Sauerländer ein großer Freund des "Was wäre, wenn..."-Spielchens ist, lasst uns doch mal einen solchen Punkt herausgreifen und ein wenig spekulieren.
Bekanntlich betrat 1066 Wilhelm, Herzog der Normandie, englischen Boden, um sich die englische Krone zu erkämpfen. Die hatte zu diesem Zeitpunkt Harald Godwinson inne. Nachdem Wilhelm mit seinen Normannen gelandet war, eilte Harald mit seinem Heer in Gewaltmärschen aus dem Norden herbei, wo er zuvor eine norwegische Invasion hatte zurückschlagen müssen. So traf sein Heer nicht unbedingt ausgeruht am 14. Oktober 1066 bei Hastings auf den Feind. Im Verlaufe der Schlacht wurde Harald getötet, das Heer der Angelsachsen zerschlagen. Wenn Wilhelm danach auch noch einige Arbeit zur Konsolidierung vor sich hatte (und in der Zerschlagung von Widerstand war er gnadenlos), so konnte er sich doch bereits zum Weihnachstfest jenes Jahres zum König krönen lassen. Der größte Teil des sächsischen Adels wurde enteignet, Französisch hielt als Sprache der Oberschicht Einzug, das politische System änderte sich und erhielt eine deutlich kontinentalere Prägung. Vielfach wird dies als ein deutlicher Fortschritt angesehen.
Nun lasst uns einfach mal die Alternativgeschichtsmaschine anschmeißen und den Spieß umdrehen: Nicht Harald, sondern Wilhelm fällt in der Schlacht (und wird nie der Eroberer). Das normanische Heer wird vernichtet, die Invasion wird zurückgeschlagen, Harald bleibt König. Was bedeutet das langfristig für England - und gegebenenfalls für die Welt?

Das ist vor allem insofern interessant, da es wohl eine der knappsten Angelegenheiten der Weltgeschichte war. Ein Pfeil 5 cm weiter links und die Sache wär anders gelaufen.

Nun, zunächst, die Skandinavier hätten sich wohl auf den britischen Inseln gehalten. Zentrale Herrschaft wär zwar im Grunde kaum möglich gewesen, aber die halbautonomen Gebiete hätten wohl die Seereisen weiter angespornt. Das sie mithilfe dieser zusätzlichen Stützpunkte gleich das (bereits bekannte) Amerika besiedeln ist natürlich möglich, dass ganze wär aber langsamer und mit mehr Vermischung passiert. Der Grund wieso die "realen" Briten den Kontinent so "schnell" erobern konnen, war eine deutliche waffentechnische Überlegenheit.
Die Eroberung Amerikas wäre langsamer und primär durch "Norweger" erfolgt.

Interessant ist auch, wie sich die Situation auf Kontinentaleuropa ausgewirkt hätte. Ich glaube, im Grunde nicht sehr viel anders. Das waren eher feudale Zeiten und die Tatsache, dass Dänen und Schweden eng miteinander verwandt sind hat die nie davon abgehalten einen Krieg gegeneinander zu führen. Das wär mit Skandinavierbriten nicht sehr viel anders gewesen. Da es kein geschlossener Machtblock wäre, wäre der Unterschied zur realen Situation dann auch nicht sehr groß. Der 100jährige Krieg hätte einen anderen Anlass gebraucht, gekommen wär da sicher was. Der eigentliche Kriegsgrund ist ja eher der, dass da zwei (relativ) mächtige Könige sind, die von einem schmalen Streifen Wasser getrennt werden. Ob der eine König jetzt Edward oder Knut heißt, wird nicht so den großen Unterschied machen. Und auch die Kriege danach, wurden doch eher wenig von Hastings und seinem Ausgang beeinflusst.

Und was "Verfassungen" etc angeht, hier hat sich sowohl bei den Briten, als auch bei den Skandinaviern und bei den Franzosen seit damals alles mehrfach geändert. Um einiges radikaler, als ich den Unterschied zwischen Norwegen und Franzosen im 11 Jhdt einschätzen würde.

Ich bin mir also gar nicht so sicher, ob der Gesamtunterschied so groß wäre.
Linguistisch ja, partiell gäb es große Abweichungen, aber ob es zwangsläufig die alles verändernde Situation ergäbe, mag ich bezweifeln. Dafür ist die Geschichte zu lang, es hätt soviele andere Abzweigungen geben können.
Zb bedeutet ein Scheitern bei Hastings 1066 nicht zwangsläufig, dass sich nie wieder ein Normannenherzog auf den Weg macht. Und so ein Blick auf die Karte zeigt schon, dass Frankreich deutlich näher an England ist, als die skandinavischen Länder, eine Beeinflussung von dieser Richtung aus als schon stets sehr wahrscheinlich war.

MorganLeFay
20.05.2010, 19:17
Naja, was heisst "andere Blutlinie"? Sein Vater vereinigte das Haus Lancaster und das Haus von York, womit man Heinrich VIII durchaus wieder als "Plantagenet" bezeichnen könnte, wenngleich sein walisischer Urgroßvater ein "Niemand" war. Wobei ja auch das nicht so ganz stimmt, da dessen Blutlinie bis auf ein altes nord-walisisches Königshaus zurückgehen soll.

Ich habe Heinrich VIII einfach als irgendein Beispiel genommen. Mit oder ohne Hastings haette es ganz anders kommen koennen, mit anderen Dynastien, anderen Allianzen, anderen Reibereien.

Jeder andere Koenig haette es als Beispiel ebenso getan.

Ausonius
21.05.2010, 00:29
Ich finde, man merkt auf jeden Fall, dass die Menschen, die Altenglisch sprachen, und die, die in unserem Raum verblieben sind, vor langer Zeit einmal die selbe Sprache sprachen. Dass sich das dann auseinanderentwickelt hat, ist klar. Aber die Verwandtschaft merkt man schon, finde ich.

Rudimentär ist die Ähnlichkeit übrigens schon in der ältesten bekannten germanischen Variante vorhanden:


http://www.heiligenlexikon.de/Literatur/Vaterunser_Wulfila.html

Ausonius
21.05.2010, 00:36
Zb bedeutet ein Scheitern bei Hastings 1066 nicht zwangsläufig, dass sich nie wieder ein Normannenherzog auf den Weg macht. Und so ein Blick auf die Karte zeigt schon, dass Frankreich deutlich näher an England ist, als die skandinavischen Länder, eine Beeinflussung von dieser Richtung aus als schon stets sehr wahrscheinlich war.

Na ja, ich finde es schon interessant, dass einer der bekanntesten und erfolgreichsten Normannen-Eroberer auch so ziemlich einer der letzten war - zusammen mit Robert Guiscard, der ein noch größeres Wagnis einging, und dessen Reich stets um die Existenz kämpfte und relativ rasch scheiterte (was die apulisch-sizilischen Normannen für mich noch viel spannender macht).

Polemi
21.05.2010, 11:51
Klingt für mich logisch.
(Bringt die interessante, aber nun wirklich restlos spekulative Frage mit sich, was dann mit Amerika passiert. Es wird ja kaum bis in unsere Tage unerschlossen bleiben. Oder womöglich doch? Auch Spanien und Portugal können wir ja in diesem Verlauf nicht einfach als "gesetzt" annehmen).
Hätte, hätte, Fahradkette - das nur vorneweg!

Ich tendiere dazu, dass es zwei gestärkte Mächte gegeben hätte, denen der 100jährige Krieg erspart geblieben wäre, da ich durchaus die Möglichkeit sehe, dass man sich zunächst um andere Einflussspähren gesorgt hätte - die 'Entdeckung' Amerikas wäre davon m.E. weitaus unbeeinflusst geblieben, selbst wenn starker französicher Einfluss evtl. zu anderen Entscheidungen innerhalb eines (potentiell gar nicht mehr vorhandenen) Spanischen Königreiches geführt hätten, wäre relativ zeitnah eine Expedition dann eben durch italienische Handelsmächte o.ä. aufgebrochen, die genau denselben Wettlauf um Territorien in der 'Neuen Welt' in Gang gesetzt hätte, nur eben mit etwas anders gelagerten Mitspielern. Welche Macht dann nun aber welchen Einfluss in der Lage gewesen wäre zu gewinnen, mag ich nicht beantworten, tippe aber auch hier auf ein starkes Frankreich...

Efna
21.05.2010, 13:23
Leider keine Zeit, jetzt ausführlich zu antworten: man darf hier nicht vergessen, dass der normannisch/wikingische Einfluss schon länger auf England wirkte. Wilhelm war der erfolgreichste in einer Reihe normannischer Eroberer, die sich mit mehr oder weniger Glück auf der insel festsetzten. Ohne ihn wäre England wohl lediglich etwas länger einem altmodischeren Stammesverständnis verhaftet geblieben, denn gerade die Normannen waren mit ihren "transnationalen" Söldnersippen besonders feudalistisch orientiert.

Naja ich denke nicht das der normannische Einfluss grösser wurde. Mit dem Willhelm kam kaum ein normannischer Einfluss nach England. Mit den ursprünglichen Normannen hatten Willhelm seine Leute nicht mehr viel zu tun. Sehr stark wurde danach der franztösische Einfluss auf die Insel.

Berwick
27.05.2010, 07:17
England wäre ein skandinavisches Land geworden und hätte einen weltberühmten Dramatiker mit dem Namen Villem Sjækespyr hervorgebracht.

Wieso ein skandinavisches Land?

Es wäre eine deutsche Region geworden, wie auch Holland mal.

Und jener Dichter hätte Wilhelm Schüttelspeer geheißen.