Aldebaran
02.02.2010, 23:51
So steht es geschrieben, scheint es. Dass der Mensch in jeder historischen Epoche derselbe wie der heutige sei und sich nur die "Verhältnisse" geändert haben, ist die Voraussetzung nahezu aller Erklärungsansätze für die langfristige Entwicklung der menschlichen Zivilisation.
Aber wo sind eigentlich die Beweise dafür? Tatsächlich mehren sich diejenigen für das Gegenteil.
Es ist allgemein bekannt, dass vor allem die letzten 100 Jahre einige physiologische Veränderungen gebracht haben. Wir sind im Durchschnitt größer als unsere Eltern und Großeltern und die Pubertät beginnt heute früher. Weniger bekannt ist der Prozess der "Debrachycephalisierung" in Euorpa: Die Schädel der Europäer werden nach Jahrtausenden der "Verrundkopfung" wieder länger und schmaler.
Hier haben wir es wahrscheinlich mit den Folgen der besseren Ernährung zu tun, die auch epigenetische Wirkungen haben könnte, also auf jenen immer noch etwas rätselhaften Mechanismus, der wohl für frühkindliche Prägungen und möglicherweise auch die Vererbung erorbener Eigenschaften verantwortlich ist.
Es sind aber nicht nur physiologische Eigenschaften betroffen - wenn man überhaupt diese Trennung aufrechterhalten möchte angesichts der Tatsache, dass auch Geist und Bewusstsein des Menschen an die Physiologie seines Gehirns gebunden sind.
Ganz wichtig ist der "Lynn-Flynn-Effekt", der sich in einem rapiden Anstieg der in IQ-Tests gemessenen "fluiden" Intelligenz zeigt. Die Fähigkeit der Menschen, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, hat offenbar deutlich zugenommen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Flynn-Effekt
Dies spielt m.E. eine ganz entscheidende Rolle für die technologische Entwicklung in den letzten 100 Jahren. Wir halten es heute für selbstverständlich, dass die Leistungen von Jahrhundertgenies wie Newton und Leibnitz heute Abiturstoff sind, aber das ist es nicht!
Es spielt auch eine Rolle bei der Entwertung von Erfahrung und Autorität. Kann man so weit gehen, diesen Effekt als den Grund all der "jugendlastigen" Ideologien und Revolutionen des 20. Jahrhunderts zu sehen, vom NS bis zu "1968"?
Aber auch über das letzte Jahrhundert hinaus hat es Veränderungen gegeben. Die Menschen des Mittelalters sahen z.B. im Durchschnitt anders aus als wir:
...
Die Auswertung der Röntgenbilder deckte zwei deutliche Unterschiede zwischen den Menschen im Mittelalter und ihren Nachfahren auf: Die mittelalterlichen Schädel hatten markantere, stärker hervortretende Gesichtszüge als die modernen Exemplare. Dagegen war jedoch der Abstand zwischen den Augenhöhlen und dem Schädeldach bei den alten Schädeln um fast ein Fünftel geringer als beim heutigen Menschen. Mit anderen Worten: Die Stirn der Mittelaltermenschen war deutlich niedriger als die der heute lebenden Zeitgenossen. Studienleiter Rock spekuliert, dass diese Veränderung mit einer Zunahme der geistigen Leistungsfähigkeit im Lauf der Jahrhunderte einhergegangen sein könnte. Welche Faktoren tatsächlich die Schädelformen geprägt haben, muss jedoch in weiteren Studien genauer untersucht werden.
http://www.rp-online.de/wissen/gesundheit/Gesichtszuege-beim-Menschen-weisen-Veraenderungen-auf_aid_173647.html
Und wie die hervorgehobene Passage zeigt, könnten diese morphologichen Veränderungen hin zu mehr "Eierköpfigkeit" mehr als nur die Schädelmaße verändert haben.
Lässt sich die Innovationsfeindlichkeit, das Misstrauen gegenüber Neuerungen in früheren Epochen ganz einfach mit einer geringeren Intelligenz erklären?
Auch die genetische Evolution dürfte eine große Rolle gespielt haben. Ich habe ja schon in einem anderen Strang darauf hingewiesen, dass sich die genetische Evolution des Menschen in den letzten Jahrtausenden beschleunigt haben muss und dieses auch mittlerweile im menschlichen Genom nachgewiesen wurde.
Die Analyse alter DNA aus Skelettresten gibt erste Anhaltspunkte für Selektionseffekte in historischer Zeit. Hier ein Ergebnis aus Polen:
...The results show rapid increase in PRNP allele A frequency (Met 129) since the beginning of the Second Millennium (0.51 v. 0.65), accompanied by slight drop in heterozygotes (0.49 v. 0.39) and significant rise in Met homozygotes (0.27 v. 0.45).
As compared to present Polish as well as present European PRNP alleles frequency, medieval specimens provided the data which suggest altered mode of PRNP alleles transmission within last 35-40 generations. Although the nature of mechanism leading to observed changes is unclear, the impact of demographic factors is probably the most pronounced one affecting the process of local fluctuations of Met allele spreading out. However, the effect of selection processes should also be considered.
https://sites.google.com/a/palaeo.eu/isba3/Home/abstracts/populations/nspi-typed-transition-within-prnp-gene-a385g--met129val-confirms-rapid-shift-in-allele-frequencies-during-the-second-millennium
Hierzu sind wohl ein paar erklärende Worte nötig: Das Ergebnis besagt zunächst einmal, dass die Häufigkeit einer bestimmten Genvariante im mittelalterlichen Polen geringer war als heute. Dies könnte auf eine Selektion in der Zwischenzeit hindeuten.
Dieses Allel ist deswegen interessant, weil seine Verteilung darauf hindeutet, dass unsere steinzeitlichen Vorfahren (und zwar weltweit) ausgiebig Kannibalismus betrieben haben müssen. Wer dieses Allel nur auf einem Chromosom trägt (also nicht auf beiden), ist nämlich vor infektiösen Prionen geschützt, die man sich einhandelt, wenn man sich über die Gehirne von Artgenossen hermacht (Kuru-Krankheit auf Neuguinea).
Andererseits - und dies ist ein schönes Beispiel für die teilweise ziemlich komplizierten Zusammenhänge zwischen Genvarianten und Phänotyp - hilft es dem Langzeitgedächtnis, wenn man dieses Allel (einfach oder doppelt macht keinen Unterschied) trägt. Tatsächlich haben seine Träger in Gedächtnistests deutlich besser abgeschnitten als die Nichtträger. So ist es vielleicht kein Wunder dass, seitdem das doppelte Vorhandensein des Allels kein Nachteil mehr ist, weil Menschenhirn nicht mehr auf den Speiseplan steht, es sich langsam, aber sicher ausbreitet. heute trägt es die große Mehrheit der Europäer und Asiaten.
Dieses Beispiel soll an dieser Stelle genügen. Es gibt in der Tat auch Beispiele für - möglicherweise - kulturprägende Verhaltensgene, wobei die kulturprägende Wirkung aus der geographisch unterschiedlichen Häufigkeit folgen würde.
Wie auch immer, die konstante menschliche Natur wird möglicherweise bald als falsche Voraussetzung entlarvt werden. Wenn es so kommt, muss über den Verlauf der Weltgeschichte ganz neu nachgedacht werden.
Aber wo sind eigentlich die Beweise dafür? Tatsächlich mehren sich diejenigen für das Gegenteil.
Es ist allgemein bekannt, dass vor allem die letzten 100 Jahre einige physiologische Veränderungen gebracht haben. Wir sind im Durchschnitt größer als unsere Eltern und Großeltern und die Pubertät beginnt heute früher. Weniger bekannt ist der Prozess der "Debrachycephalisierung" in Euorpa: Die Schädel der Europäer werden nach Jahrtausenden der "Verrundkopfung" wieder länger und schmaler.
Hier haben wir es wahrscheinlich mit den Folgen der besseren Ernährung zu tun, die auch epigenetische Wirkungen haben könnte, also auf jenen immer noch etwas rätselhaften Mechanismus, der wohl für frühkindliche Prägungen und möglicherweise auch die Vererbung erorbener Eigenschaften verantwortlich ist.
Es sind aber nicht nur physiologische Eigenschaften betroffen - wenn man überhaupt diese Trennung aufrechterhalten möchte angesichts der Tatsache, dass auch Geist und Bewusstsein des Menschen an die Physiologie seines Gehirns gebunden sind.
Ganz wichtig ist der "Lynn-Flynn-Effekt", der sich in einem rapiden Anstieg der in IQ-Tests gemessenen "fluiden" Intelligenz zeigt. Die Fähigkeit der Menschen, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, hat offenbar deutlich zugenommen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Flynn-Effekt
Dies spielt m.E. eine ganz entscheidende Rolle für die technologische Entwicklung in den letzten 100 Jahren. Wir halten es heute für selbstverständlich, dass die Leistungen von Jahrhundertgenies wie Newton und Leibnitz heute Abiturstoff sind, aber das ist es nicht!
Es spielt auch eine Rolle bei der Entwertung von Erfahrung und Autorität. Kann man so weit gehen, diesen Effekt als den Grund all der "jugendlastigen" Ideologien und Revolutionen des 20. Jahrhunderts zu sehen, vom NS bis zu "1968"?
Aber auch über das letzte Jahrhundert hinaus hat es Veränderungen gegeben. Die Menschen des Mittelalters sahen z.B. im Durchschnitt anders aus als wir:
...
Die Auswertung der Röntgenbilder deckte zwei deutliche Unterschiede zwischen den Menschen im Mittelalter und ihren Nachfahren auf: Die mittelalterlichen Schädel hatten markantere, stärker hervortretende Gesichtszüge als die modernen Exemplare. Dagegen war jedoch der Abstand zwischen den Augenhöhlen und dem Schädeldach bei den alten Schädeln um fast ein Fünftel geringer als beim heutigen Menschen. Mit anderen Worten: Die Stirn der Mittelaltermenschen war deutlich niedriger als die der heute lebenden Zeitgenossen. Studienleiter Rock spekuliert, dass diese Veränderung mit einer Zunahme der geistigen Leistungsfähigkeit im Lauf der Jahrhunderte einhergegangen sein könnte. Welche Faktoren tatsächlich die Schädelformen geprägt haben, muss jedoch in weiteren Studien genauer untersucht werden.
http://www.rp-online.de/wissen/gesundheit/Gesichtszuege-beim-Menschen-weisen-Veraenderungen-auf_aid_173647.html
Und wie die hervorgehobene Passage zeigt, könnten diese morphologichen Veränderungen hin zu mehr "Eierköpfigkeit" mehr als nur die Schädelmaße verändert haben.
Lässt sich die Innovationsfeindlichkeit, das Misstrauen gegenüber Neuerungen in früheren Epochen ganz einfach mit einer geringeren Intelligenz erklären?
Auch die genetische Evolution dürfte eine große Rolle gespielt haben. Ich habe ja schon in einem anderen Strang darauf hingewiesen, dass sich die genetische Evolution des Menschen in den letzten Jahrtausenden beschleunigt haben muss und dieses auch mittlerweile im menschlichen Genom nachgewiesen wurde.
Die Analyse alter DNA aus Skelettresten gibt erste Anhaltspunkte für Selektionseffekte in historischer Zeit. Hier ein Ergebnis aus Polen:
...The results show rapid increase in PRNP allele A frequency (Met 129) since the beginning of the Second Millennium (0.51 v. 0.65), accompanied by slight drop in heterozygotes (0.49 v. 0.39) and significant rise in Met homozygotes (0.27 v. 0.45).
As compared to present Polish as well as present European PRNP alleles frequency, medieval specimens provided the data which suggest altered mode of PRNP alleles transmission within last 35-40 generations. Although the nature of mechanism leading to observed changes is unclear, the impact of demographic factors is probably the most pronounced one affecting the process of local fluctuations of Met allele spreading out. However, the effect of selection processes should also be considered.
https://sites.google.com/a/palaeo.eu/isba3/Home/abstracts/populations/nspi-typed-transition-within-prnp-gene-a385g--met129val-confirms-rapid-shift-in-allele-frequencies-during-the-second-millennium
Hierzu sind wohl ein paar erklärende Worte nötig: Das Ergebnis besagt zunächst einmal, dass die Häufigkeit einer bestimmten Genvariante im mittelalterlichen Polen geringer war als heute. Dies könnte auf eine Selektion in der Zwischenzeit hindeuten.
Dieses Allel ist deswegen interessant, weil seine Verteilung darauf hindeutet, dass unsere steinzeitlichen Vorfahren (und zwar weltweit) ausgiebig Kannibalismus betrieben haben müssen. Wer dieses Allel nur auf einem Chromosom trägt (also nicht auf beiden), ist nämlich vor infektiösen Prionen geschützt, die man sich einhandelt, wenn man sich über die Gehirne von Artgenossen hermacht (Kuru-Krankheit auf Neuguinea).
Andererseits - und dies ist ein schönes Beispiel für die teilweise ziemlich komplizierten Zusammenhänge zwischen Genvarianten und Phänotyp - hilft es dem Langzeitgedächtnis, wenn man dieses Allel (einfach oder doppelt macht keinen Unterschied) trägt. Tatsächlich haben seine Träger in Gedächtnistests deutlich besser abgeschnitten als die Nichtträger. So ist es vielleicht kein Wunder dass, seitdem das doppelte Vorhandensein des Allels kein Nachteil mehr ist, weil Menschenhirn nicht mehr auf den Speiseplan steht, es sich langsam, aber sicher ausbreitet. heute trägt es die große Mehrheit der Europäer und Asiaten.
Dieses Beispiel soll an dieser Stelle genügen. Es gibt in der Tat auch Beispiele für - möglicherweise - kulturprägende Verhaltensgene, wobei die kulturprägende Wirkung aus der geographisch unterschiedlichen Häufigkeit folgen würde.
Wie auch immer, die konstante menschliche Natur wird möglicherweise bald als falsche Voraussetzung entlarvt werden. Wenn es so kommt, muss über den Verlauf der Weltgeschichte ganz neu nachgedacht werden.