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Vollständige Version anzeigen : Fjordman: Der Vernunftkult – die dunkle Seite der Aufklärung



Liz
11.12.2009, 14:15
Der Vernunftkult – die dunkle Seite der Aufklärung
von Fjordman


In der heutigen Zeit erscheinen nur wenige Bücher, die einen zweiten Blick wert sind, aber The Suicide of Reason ( http://www.lee-harris.org/books/the-suicide-of-reason ) von Lee Harris ist eine Ausnahme. Viele Beobachter glauben derzeit – meiner Meinung nach ( http://gatesofvienna.blogspot.com/2009/12/surviving-coming-crash.html ) zu Recht -, dass etwas grundlegend falsch gelaufen ist in der westlichen Welt, aber sie unterscheiden sich erheblich in ihrer Analyse der Ursache (n) dafür. Der Erste und Zweite Weltkrieg waren schrecklich, und die meisten denkenden Menschen sind sich darüber einig, dass etwas schief gelaufen ist mit der westlichen Kulturrevolution der 60er und 70er Jahre, die sich im Gegensatz zur chinesischen Kulturrevolution, institutionalisiert hat. Aber bedeutet dies, dass in den 50er Jahren alles in Ordnung war?

Das Kommunistische Manifest wurde bereits im Jahre 1848 von Karl Marx und Friedrich Engels geschrieben und Marx veröffentlichte Das Kapital im Jahre 1867. Es gibt diejenigen, die glauben, dass sich der Marxismus nur in einer christlichen Umgebung entwickeln konnte, und es gibt auch diejenigen, die behaupten, dass der leibliche Vater des Kommunismus eigentlich Platon im antiken Griechenland war, und nicht Karl Marx. Also, was genau hat die westliche Gesellschaft falsch gemacht, und wie weit müssen wir zurück gehen, als alles noch „richtig" war? 1950? 1850? Vor die Zeit der Aufklärung und der Industrialisierung? Vor das Christentum? Vor Plato?

Sogar der christlich-konservative Schriftsteller Lawrence Auster ( http://www.amnation.com/vfr/archives/014933.html ) räumt ein, dass der moderne Liberalismus „nicht zustande gekommen wäre ohne das Christentum, und den Liberalismus kann man getrost als einen säkularisierten Ableger des Christentums beschreiben ", aber er glaubt, dass dies nicht zwangsläufig bedeutet, dass alle Formen des Christentums in jedem Kontext selbstzerstörerisch sein müssten, das mag wahr sein.

Das Urteil steht noch aus, ob der christliche Universalismus für Europäer zur Selbstzerstörung führt, in einer Welt der globalen Kommunikation, in der die meisten Christen nicht-europäisch sind, aber ich bin davon überzeugt, dass wir einen Blick auf die dunkle Seite der Aufklärung werfen müssen, die man auch mit dem Begriff „Vernunftkult“ umschreiben kann.

In einigen westlichen Ländern – insbesondere in den Vereinigten Staaten – wird der Begriff „jüdisch-christlich" häufig beschworen. Dies macht, in manchen Zusammenhängen durchaus Sinn, aber nicht in allen. Das europäische, künstlerische Erbe aus dem Mittelalter könnte man genauer mit dem Begriff „hellenisch-christlich" beschreiben, da die bildende Kunst in der traditionellen jüdischen Kultur keine herausragende Rolle gespielt hat. Es ist zwar möglich, dass Elemente des jüdischen Gesangs Bestandteil der frühen christlichen, religiösen Musik waren, die Tradition der Polyphonie, die zu Bach, Mozart und Beethoven führte, war eine einzigartige, christlich europäische Entwicklung des Mittelalters, ohne direkte Entsprechung im Judentum.


Obwohl das Christentum von seiner griechisch-römischen und germanischen Umgebung stark beeinflusst war, besteht kein Zweifel daran, dass es eine Reihe von wichtigen philosophischen Ideen und ethischen Konzepten übernahm, die eindeutig jüdischen Ursprungs waren und die keine wirklichen Vorgänger in den heidnischen europäischen Religionen hatten, zum Beispiel die Vorstellung von Geschichte als einem linearen Fortschrittsprozess in Richtung auf ein bestimmtes Endziel hin. Der Autor Henry Bamford Parkes schreibt in seinem Buch Gods and Men - The Origins of Western Culture:

„Das wichtigste Charakteristikum des jüdischen Erbes, war jedoch ihre Auffassung von Geschichte. Andere antike Völker hatten an ein goldenes Zeitalter geglaubt, hatten es aber in der Vergangenheit immer am Anfang der Zeit verortet. Allein Israel freute sich auf ein goldenes Zeitalter in der Zukunft und interpretierte die Geschichte als eine sinnvolle und progressive Bewegung in Richtung dieser messianischen Vollendung. Ursprünglich basierend auf Stammesloyalität und der Reflexion der Bestimmung eines schwachen Volkes, das seine Identität bewahrt, trotz der Eroberung und Versklavung, erhielt die messianische Hoffnung eine universale Geltung durch die Propheten und wurde zu dem Ende, auf das sich alle irdischen Ereignisse hinbewegten. In verschiedenen Manifestationen, religiösen und weltlichen, geistlichen und materiellen, wurde es einer jener dynamischen sozialen Mythen, die dem menschliche Leben Sinn und Richtung geben, und die mehr Einfluss auf das menschliche Handeln haben als irgendeine vernunftbetonte Philosophie. Wenn man seine Bedeutung nicht versteht, wird die Entwicklung, nicht nur diejenige des jüdischen Volkes, sondern auch die der ganzen westlichen Welt, unverständlich. "

Lynn White, eine bekannte amerikanische Professorin für mittelalterliche Geschichte, stellt fest ( http://www.zbi.ee/~kalevi/lwhite.htm ), dass „der Sieg des Christentums über das Heidentum, die größte psychische Revolution in der Geschichte unserer Kultur war" und seine Auswirkungen sind deutlich sichtbar, auch in unserer angeblichen post-christlichen Kultur: „Unsere täglichen Handlungsmuster, zum Beispiel, werden beherrscht durch ein implizites Vertrauen in ständigen Fortschritt, etwas, das in der griechisch-römischen Antike oder im Orient unbekannt war. Es ist tief verwurzelt in, und unbestreitbar ein Teil der jüdisch-christlichen Theologie.“ Die Tatsache, dass die Marxisten dieses Konzept einer nicht wiederholbaren und linearen Progression teilen, in dem sich die Geschichte unaufhaltsam auf ein bestimmtes Ende hin bewegt, beweist für Lynn White, dass der Marxismus „eine jüdisch-christliche Häresie“ ist.

In seinem Buch Defending the West, behauptet der Autor Ibn Warraq, dass die „Goldene Fäden" westlicher Kultur negative Nebenwirkungen haben können: „Man könnte darüber streiten, dass die drei kennzeichnenden Merkmale der westlichen Gesellschaft - Rationalismus, Universalismus (mit dem ihm zugrunde liegenden oder stillschweigenden Liberalismus) und Selbstkritik – zu ihrem Gegenteil führen können, oder andere unerwünschte Folgen haben können."

Die niederländisch-somalische Ex-Muslimin und Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali stellt in einer Besprechung ( http://www.nytimes.com/2008/01/06/books/review/Ali-t.html?_r=2&pagewanted=2 ) des Buchs The Suicide of Reason in der New York Times fest, dass Lee Harris Recht hat, wenn er sagt, dass viele westliche Staats-und Regierungschefs über die islamische Welt total irritiert sind. "Das Problem ist jedoch nicht ein zuviel an Vernunft, sondern zu wenig. Harris verfehlt es auch, die Feinde der Vernunft innerhalb des Westens zu benennen: die Religion und die Romantikbewegung. Aus der Ablehnung der Religion entstand die Aufklärung; die Romantik war eine Revolte gegen die Vernunft. Sowohl die Romantik als auch die organisierten Religionsgemeinschaften haben viel zur Kunst und Spiritualität des abendländischen Geistes beigetragen, aber sie haben eine Abneigung gegen die Moderne. Moral und kultureller Relativismus (und seine beliebte Manifestation, der Multikulturalismus) sind die Markenzeichen der Romantiker. "

Obwohl ich großen Respekt vor dem persönlichen Mut von Ali habe, denke ich doch, dass ihr vereinfachendes Verständnis für diesen Zeitraum der fundamentalistischen Aufklärung entspricht, und ihre Herabsetzung der Religion als inhärent anti-rational, ist eine Karikatur. Rémi Brague ( http://www.jihadwatch.org/2009/11/the-legend-of-the-middle-ages.html ), ein französischer Professor für Religionsphilosophie, stellt fest, dass die Verbindung zwischen Rationalismus und Irrationalismus ziemlich komplex ( http://www.press.uchicago.edu/Misc/Chicago/070803.html ) ist:

„Zwei Beispiele: der Höhepunkt der Magie liegt nicht im Mittelalter, sondern kurz davor und kurz danach. Der erste Höhepunkt war der späte Neuplatonismus: Proklos († 485) platziert Magie (oder ‚Theurgie ') vor allem menschlichen Wissen, der zweite Höhepunkt lag im Florenz der Renaissance des fünfzehnten Jahrhunderts. Wir sollten auch nicht den Inhalt von Newtons berühmtem Koffer vergessen. Der große Denker war ebenso interessiert an einer Auslegung der Offenbarung des Johannes, wie auch an der Himmelsmechanik. Magie und Wissenschaft sind Zwillingsschwestern, aber während die eine einen Aufschwung erlebte, entwickelte sich die andere zurück. Die wirkliche Gefahr liegt in der Paradoxie deiner Formel: "glaube an die Vernunft." Für die Ideologie der Aufklärung, die immer noch unter dem intellektuellen Proletariat weit verbreitet ist, ist es entweder das eine oder das andere: Entweder man glaubt, oder man ist rational. Die Vernunft zerstört den Glauben und ersetzt ihn durch Wissen. Dass die Vernunft selbst das Objekt des Glaubens sein könnte, ist ein bisschen schwer zu schlucken. Dennoch, Nietzsche hatte bereits in dem Glauben an die Wahrheit das endgültige Echo einer Überzeugung identifiziert, das zunächst platonisch war, danach christlich ( „Platonismus für das Volk"). Viele, die sich selbst als Rationalisten bezeichnen [sind], ebenso irrational wie ihre Ziele. "

weiterlesen (http://die-gruene-pest.com/showthread.php?t=26059)

kotzfisch
13.12.2009, 14:13
c und p.depp, hirnloser....

Pescatore
13.12.2009, 14:42
(...) Die wirkliche Gefahr liegt in der Paradoxie deiner Formel: "glaube an die Vernunft." Für die Ideologie der Aufklärung, die immer noch unter dem intellektuellen Proletariat weit verbreitet ist, ist es entweder das eine oder das andere: Entweder man glaubt, oder man ist rational. Die Vernunft zerstört den Glauben und ersetzt ihn durch Wissen. Dass die Vernunft selbst das Objekt des Glaubens sein könnte, ist ein bisschen schwer zu schlucken. Dennoch, Nietzsche hatte bereits in dem Glauben an die Wahrheit das endgültige Echo einer Überzeugung identifiziert, das zunächst platonisch war, danach christlich ( „Platonismus für das Volk"). Viele, die sich selbst als Rationalisten bezeichnen [sind], ebenso irrational wie ihre Ziele. "

10.000 wohlgeschriebene Worte um am Ende sich eine Begründung zu basteln, nach 200 Jahren endlich wieder das liebe Jesulein aus dem Kasten springen lassen zu können. Der Ratzinger-Papst kam etwas langsamer zum selben Ziel.

"Ideologie der Aufklärung", "Vernunft als Objekt des Glaubens", wenn man solchen Verbalkot liest könnte man wirklich verzweifeln. Oder ab und zu ein wenig schmunzeln.

http://www.gkpn.de/Hoefer_Habermas.pdf

Gawen
22.12.2009, 22:39
"Vernunft als Objekt des Glaubens", wenn man solchen Verbalkot liest könnte man wirklich verzweifeln. Oder ab und zu ein wenig schmunzeln.

http://www.gkpn.de/Hoefer_Habermas.pdf

Die Gehirne sind heutzutage so spezialisiert und überfüllt, daß sie sich nicht mehr bewußt sind, was sie alles nicht wissen.

Voller Kopf glaubt halt gerne, daß sein Füllstand das Maß des potentiellen Wissens sei. Ich halte mich an Sokrates, wissend, dass ich im Vergleich zur Fülle des potentiellen Gesamtwissen halt nun mal nichts weiß. Ergo weiss ich, dass ich nur glaube zu wissen... ;)